'All we are saying is give trees a chance'

von 17 radka  


Die passen auf.

Der Titel dieses Blogbeitrags ist der Beginn einer Erkundungstour. Sie beginnt am 1 Dezember in der Kölner Innenstadt. Für alle die es nicht wissen: am 1 Dezember kamen 20.000 Menschen in Köln zusammen um für den Kohleausstieg zu demonstrieren. Zeitgleich versammelten sich 16.000 in Berlin.

Ich stehe mit einem Chor aus Frührentnern also in der Innenstadt, die Demonstrantenmenge strömt an uns vorbei lacht und jubelt, während wir umgedichtete als 68er Lieder mit Gitarrenbegleitung schmettern. Es klingt auch einfach wirklich gut!

Eine wunderbare Demo mit doppelt so vielen Besuchern wie erwartet. Und natürlich steht im Mittelpunkt: der Hambacher Wald. Symbol, Aussgangsort, Mobilisierungsmotor. Die hart umkämpften 200 Hekter zwischen Köln und Aachen. Die grünen Flagen, allgegenwärtig, das Fussballstadion Flair versprühende 'HAMBI, HAMBI, HAMBI' - 'BLEIBT BLEIBT BLEIBT!'. Und die Rede der Waldbesetzer zum Ende hin.

Eine Truppe bunt gemischter, vermummter, verwahrloster Gestalten stammelt mehr schlecht als recht wütend über Polizeigewalt, Diskriminierung von schwarzen, schwulen, behinderten.... Und reden dabei kaum über den Hambi. Diesen legendären Wald. Den ich nun schon ewig wirklich sehen will.

Schon zwei mal war ich da, aber immer nur sprunghaft, ohne echten Einblick. Schon so oft habe ich mit Freunden über diesen Wald geredet vor Allem über seine Besetzung. Ist sie gerechtfertigt, angebracht, notwendig? Ich habe mir Urteile erlaubt, aber das DA sein, das hat gefehlt.

Und so sitze ich in einer leeren S-Bahn in Richtung Buir. Der grosse Rucksack mit Isomatte, Zelt und Schlafsack sowie der Strickpulli und die Ungleich geschnittenen Haare verraten jedem Buirer meine Mission.

Meine Mission? Zu wissen was in diesem Wald vor sich geht, was die Menschen, die dort leben, wollen, was sie fordern.


Optimales Campwetter ist anders.

Was ich gefunden habe:

eine zerstückelte Bewegung; unterteilt in Wald Wiese Mahnwache redet keiner wirklich mit dem anderen; es herrscht konstantes Misstrauen und eine extreme Unorganisiertheit oder eben Anarchie. Das, was die Menschen dort leben wollen.

Der Hambacher Wald ist längst nicht mehr reine Baumbesetzung. Er ist der Versuch eines anderen Lebensmodelles.

Menschen mit Drogenvergangenheit, ohne zu Hause, mit schwierigem Geisteszustand leben neben Menschen, die parallel zur Uni gehen, zwei mal die Woche den Zug nehmen und im Baumhaus ihre Master Arbeit schreiben. Neben idealistischen Jugendlichen, die an Weihnachten nach Hause fahren.

Man muss jedes Wort auf die Goldwage legen. Ja nicht verletzen, kein Gender assumen, nichts was potenziel nicht PC (diese Abkürzung kursiert ständig politically correct) sein könnten.

Das Plenum wird begonnen mit einer Namensrunde, bei der jeder direkt sein Pronomen dazu sagen soll.

Schon während der Namensrunde beschwert sich ein Besetzer über die Sinnlosigkeit einer solchen Runde, es wird laut und schnell persönlich.

Man spürt dass die Menschen angespannt sind. Kälte, drohende Räumungen. Das setzt den Nerven zu.

Jeder Polizeiwagen sorgt für Panik; generell ist der Hass gegenüber der Polizei allgemein weit verbreitet und wird immer wieder Diskussionspotenzial für mich geben.

Ich schlafe im Wald und wir kochen am Feuer. Das Leben ist einfach, bodenständig auch in 18 Meter Höhe. Es ist gut. Es erdet und ich kann jeden nachvollziehen, der dafür hier hin kommt. Nachts höre ich noch lange das melodische Summen aus der Kohlegrube und einige Bewohner wegen ihres steigenden Alkoholpegels. Denn ja: es kommen eben auch die, die Spass am wilden, freien Leben haben. Der Wald nimmt jeden auf.

Nach 3 Tagen ziehe ich eine ernüchternde Bilanz. Meine utopische Vision der Waldbesetzung ist zerstört und hat einem realistischen Bild Platz gemacht. Anarchie ist nicht unrealistisch. Aber in so einem System will eben auch niemand Verantwortung übernehmen und daran zerbricht so viel Initiative.

Doch bevor ich wieder das Zelt abbaue geschieht etwas sehr schönes. Ich habe ein tiefes Gespräch mit einer Schlingpflanze, einem kuscheligen Waldtier und einer russischen Märchenfigur (und ich merke das klingt wie ein ziemlicher Trip, war es nicht!). Es geht um ihre Beweggründe im Hambacher Forst zu leben. Und ich höre ihnen zu und sehe mich. Genau wie ich, jung und voller Ideale und Motivation und Wille aber eben ein bisschen anders ausgelebt. Sie sind mir so ähnlich und ich kann sie deshalb komplett nachvollziehen auch wenn ich ihr Handeln nicht nachlebe.

Ich argumentiere immer wieder 'Aber hier steckt so viel Potenzial, so viele motivierte junge Menschen warum macht ihr nicht mehr? Das ist so ein passiver Aktivismus, wieso nicht mobilisieren?'

Und sie antworten 'Aber wir wollen nicht. Wir müssen nicht mobilisieren, wir sind genug hier. Wir mögen es in Ruhe gelassen zu werden und wir wollen nichts beibringen.

'Es nervt mich so wenn alle immer sagen der Hambi ist symbolisch. Nein ich würde auch in einem Wäldchen von 10 Bäumen sitzen. JEDER Baum zählt. mit jedem Baum kann man sich verbinden und ich spüre eine tiefe Beziehung zu diesem Wald. Und er ist nicht klein. 'Nur' 200 ha. Lauf mal los. Hier kannst du dich auch verlaufen. Klein, gross. Was sind das für Maßstäbe?'

Zu dieser Aussage einer Waldbewohnerin kann ich nur sagen: ich bin ganz deiner Meinung. Und ich lerne damit mensch (ganz PC) sich eine echte Meinung bilden kann, muss er/sie/es sich tiefer ins Wasser begeben, als nur die Zehen hinein zu stecken.

Jeder Baum zählt!
(hat das nicht schon der FCB gesagt?)

BlogNo:20

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