Gefährlich: Terciopelo

von sven_10  

Hier im Korridor gibt es einige Gefahren, die während der Arbeit zu beachten sind, um Unfälle zu vermeiden. Schließlich arbeiten wir mit Macheten und Kettensägen und begeben uns an steile Hänge mit teils sehr rutschigem Untergrund. Natürlich gibt es hier auch eine Fülle an gefährlichen Insekten und Tieren, doch bisher sind wir von ihnen verschont geblieben. Malaria- oder Dengefiebermücken gibt es zum Glück nicht, doch eine der einheimischen Giftschlangen macht uns derzeit echt Angst. Spätestens seit im Nationalpark nebenan ein Besucher gebissen wurde und Minuten später verstarb, sind wir im Gelände äußerst vorsichtig.

Die Terciopelo (oder Fer de lance, wie sie die Einheimischen auch nennen), zu deutsch Lanzenotter, gilt als eine der giftigsten Schlangen der Welt. Ihr Gift wirkt durch spezielle Enzyme gewebezersetzend und verursacht Nekrosen sowie Muskelatrophien. Innerhalb ihres Lebensraums ist sie für den Großteil der durch Schlangenbisse getöteten Menschen verantwortlich. Überlebt man den Biss, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, eine lebenslange Behinderung davonzutragen. Seien es Lähmungen, Gewebezerstörungen oder notwendige Amputationen von Gliedmaßen.

Der zoologische Name der Terciopelo ist Bothrops asper, ausgewachsen ist sie zwischen 1,5 und 2,5 Meter lang. Die Weibchen sind meist erheblich größer als die Männchen. Die Grundfarbe der Oberseite kann rotbraun, braun, olivgrün, graubraun, rosa oder fast schwarz sein. Die Oberseite des Kopfes ist im Normalfall ungezeichnet und braun bis schwarz, die Unterseite hellbraun bis beige. Sie ist durch eine auffällige X-Zeichnung am Rücken leicht identifizierbar, allerdings entdeckt man sie aufgrund ihrer guten Tarnung meistens erst wenn es zu spät ist. Denn die Lanzenotter ist ein tapferes und aggressives Tier. Statt bei Annäherung zu verschwinden und Deckung zu suchen, beißt sie lieber mal prophylaktisch zu. Mit unseren dicken Gummistiefeln fühlten wir uns vor der bodenlebenden Schlange relativ sicher, bis wir erfuhren, dass sie aufgrund ihrer Größe und Agressivität meist oberhalb des Knies zubeißt um ihr Gift effektiver einzusetzen. Ihr bevorzugtes Jagdgut sind kleine Reptilien (Echsen), Amphibien wie Kröten, kleine Säugetiere (Ratten oder Taschenmäuse) und kleine Vögel.

Der Lebensraum der Terciopelo erstreckt sich von Süd-Mexiko bis Kolumbien und Venezuela. und sie kommt zwischen Meereshöhe und ca. 1300 Metern über Meeresniveau vor. Bevorzugter Lebensraum sind feuchte und dichte Tropenwälder, bestenfalls mit trockenen Lichtungen und kleinen Bächen. Genau unser Einsatzort also! In dem halben Jahr, in dem wir nun in Costa Rica arbeiten, haben wir bisher 8 Exemplare gesichtet. 6 ausgewachsene und 2 Jungtiere. 3 davon hat unser einheimischer Begleiter mit Stock und Machete zur Strecke gebracht. Erst schlägt er sie bewusstlos und tötet sie dann mit einem gezielten Stoß der Machete durch den Kopf. Da er hier aufgewachsen ist, kann er das ziemlich gut. Jeder Tierschützer würde jetzt bestimmt sagen: Was soll das, haltet euch doch einfach aus den betroffenen Gebieten fern. Jedoch kommt die Lanzenotter auf ihrer Nahrungssuche auch in die Dörfer und beißt Mensch und Vieh bei ungewolltem Kontakt. Direkt in Stationsnähe wurde eine Kuh zu Tode gebissen, die dann tagelang vor sich hin verweste und einen üblen Gestank im Dorf verbreitete. Auch wurde der Hund von einem der Ticos gebissen und verstarb rasch am Biss.

Was also tun im Fall des Falles? Antiserum wird nicht mehr an die Landbevölkerung ausgegeben, da durch unfachmännische Verabreichung bereits mehr Leute starben als durch die Schlangenbisse selbst. Verschiedene Quellen sagen, unerlässlich ist das Ruhigstellen der betroffenen Gliedmaße und die rasche Überführung ins nächste Krankenhaus. Nur muss man erstmal vom Berg runter und von El Sur bis zum nächsten Hospital sind das leider ca. 2 Stunden Autofahrt mit Vollgas. Auch konnten wir bisher keine nenneswerten Erste-Hilfe-Maßnahmen herausfinden, daher bleibt uns nur die Achtsamkeit im Gelände und das vorsorgliche Töten der Tiere mit der Machete...

Rein statistisch ist die Möglichkeit eines tödlichen Bisses jedoch verschwindend gering. In ganz Costa Rica wurden im Zeitraum 1990-2000 im Mittel 504 Menschen pro Jahr von Giftschlangen gebissen. Die Anzahl der Todesfälle lag zwischen 0 und 7 pro Jahr. Der Großteil der Bisse und fast alle Todesfälle wurden auf Bothrops asper zurückgeführt. Insgesamt gelang es hier, die Mortalität unter den Bissopfern erheblich zu senken, 1947 lag sie noch bei 7 %, in den 1990er Jahren nahe 0 Prozent.

Von 10 Feldbiologen, die in Mittelamerika zwischen 1980 und 1991 durch Schlangenbisse vergiftet wurden, waren alle von Lanzenottern gebissen worden. Alle überlebten den Biss, aber in einem Fall musste ein Unterschenkel amputiert werden, in einem zweiten Fall musste zerstörtes Gewebe chirurgisch ersetzt werden und in einem dritten Fall verhinderte eine psychische Traumatisierung die weitere Berufsausübung als Feldbiologe. Die Autoren der Studie relativieren jedoch das Risiko eines Bisses, drei Bisse erfolgten bei 4 Projekten mit insgesamt mehr als 1,5 Mio. „Feldstunden„; das Risiko lag also bei einem Biss auf rund 500.000 im Feld verbrachten Stunden.

Zum Weiterlesen: Wissen Giftschlangen

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