Cien días

von 13 martin

Gedanken zu den ersten einhundert Tagen … Wo bin ich? Vor 100 Tagen hab ich mich auf den Weg gemacht in ein Abenteuer. Ich bin an einem Ort gelandet, der andere Stärken fordert als der Alltag in Deutschland. Einem Ort, der mir viel abverlangt, aber auch sehr viel zurück gibt.

Es ist ein Ort voller Grün, voller Lärm. Das Land von Arbofilia bei El Sur de Turrubares ist entlegen und schwer zu erreichen, jedoch nicht so entrückt, dass einen die Realität nicht einholen könnte. Hier kann nur gesund bleiben, wer die Natur liebt, zu Kompromissen bereit ist und verzichten kann und weiß, sich selbst zu genügen. Mir wurde gesagt, den wenigen Einwohnern von El Sur fehle es an Wurzeln, an der Beziehung zu dieser Region. Die Kultur liegt hier unter der Erde und in der Vergangenheit. Die Bäume erzählen hier die Geschichten. Hier kann nur gesund bleiben, wer die Natur liebt, zu Kompromissen bereit ist und verzichten kann und weiß, sich selbst zu genügen.

Was ist passiert?

Der Start in den Freiwilligendienst war holprig und ein Lehrstück in Sachen Warten, Missverständnissen und organisatorischen Katastrophen. Schuldige und Opfer gab es auf beiden Seiten des Ozeans, sprich in Costa Rica und Deutschland.

Obwohl ich nicht an vielen Orten war, konnte ich tiefer in die Kultur Costa Ricas eintauchen, als es so mancher Tourist konnte. Es ging erstaunlich viel um Politik und natürlich um Fussball. Schließlich hat sich ein Trio von drei Freiwilligen gefunden, das sich gegenseitig hilft, aufeinander achtet, immer wieder exzellent zusammenarbeitet, sehr gut kocht und sich manchmal auch auf die Nerven geht. Es hat sehr viel geregnet und der Dschungel hat sich von seiner gefahrvollen Seite gezeigt. Neben ungeliebten Gästen besuchten uns auch die Affen, Ameisenbären, Kolibris, Gürteltiere,…

Ich habe viel gelernt, viel gelesen und viel geschrieben. Viel geplant und viel verworfen.

Wir hatten Gäste aus Deutschland, die wir verwöhnt haben und bespaßt. Uns ist bescheinigt worden, der Dschungel sei uns längst zu Kopf gestiegen und wir wären für die moderne Zivilisation.

Viel Arbeit im Feld war angesagt. Zu Beginn der Regenzeit ist Pflanzzeit. Und in den letzten Monaten ohne Freiwillige im Corredor ist viel liegen geblieben.

Was haben wir gemacht?

1. Innerhalb eines kleinen Areals am Rande des Corredor-Gebietes soll ein Agroforest-System zur Produktion von hochwertigem Kakao entstehen. Diesem System auf die Beine zu helfen war unsere wichtigste Aufgabe zu Beginn der Regenzeit von April bis Juni. Wir kultivierten neue Kakao-Bäume in der Vivero, pflanzten über 600 davon ins Feld, verbesserten die Produktivität der alten Bäume durch Baumschnitt und Mineraldünger. Nicht zu letzt säten wir dutzende Begleit-Arten, die dem Kakao in der Zukunft Schatten spenden und das System mit Nährstoffen versorgen können. Von heute auf Morgen wird diese Plantage keine Gewinne abwerfen. In der Natur braucht alles seine Zeit. Und wie im Leben, bergen Investitionen – ob Zeit oder Geld – immer ein gewisses Risiko.

2. Der Zahn der Zeit nagt an jedem Holz und an jeder noch so durchdachten Konstruktion. So verbrachten wir Tage und Wochen auch damit, Dinge zu reparieren, die wir in Deutschland nie selbst reparieren – entweder weil sie nie kaputt gehen oder weil wir andere Leute dafür bestellen. Zu nennen wäre: die unendliche Geschichte der Wasserleitung, eine Toilette, ein Regenabflusskanal, ein Stuhl, eine Telefonleitung. Auf der Mängelliste stehen ferner ein Dach, ein Zaun, Stromleitungen und vieles mehr.

3. Vieles weitere konnten wir ebenfalls schnell noch in den vergangenen drei Monaten erledigen, aber das zähle ich hier nicht auf.

Was habe ich gelernt?

Mehr über Kakao, als ich je wissen wollte — etliche tropische Pflanzenarten, aber noch immer nicht genug — wie man mit einem klapprigen Jeep durch Flüsse fährt — den sicheren und effektiven Umgang mit der Machete — Spanisch, bis zu einem Niveau zwischen überlebensfähig und Smalltalk — Achtsamkeit und Wahrnehmung — dass das Fehlen der selbstverständlichen Dinge ein Vorhaben zu Fall bringen können — Improvisation — an alles zu denken, und dass ich nicht an alles denken kann— ein Ökosystem zu lesen (da stehe ich trotzdem noch am Anfang) — sehr viel über Interkulturalität (doch noch zu wenig) — viel, viel mehr (was sich in der Zukunft noch offenbaren wird)

Wo stehen wir?

Der Monat Juli ist eine Zäsur. El Nino bringt uns eine Trockenzeit und wir zittern um unsere Pflanzungen. Gleichzeitig verschafft er uns so eine Atempause. Das Land Costa Rica ist in einer Phase der Rezession und Inflation. Alles wird teurer, aber die Menschen verdienen nicht mehr. In so einer Phase haben es private, spendenbasierte Projekte besonders schwer. Diese Probleme sind auch meine Probleme, denn ich bin Freiwilliger im Corredor.

Mir wurde oft erzählt, dass ein halbes Jahr zu kurz sei um etwas zu reißen. Ich habe darauf immer entgegnet, dass man Vorhaben die man im 6 Monaten nicht in die Tat umsetze auch in einem Jahr nicht anpacken würde. Trotz einiger Enttäuschungen bleibe ich bei meiner Meinung. Viele Ideen werde ich dennoch nicht umsetzen können. Es fehlt eben nicht nur an Zeit, sondern auch an Wissen, Technik, Geld und Freiräumen.

Costa Rica ist ein Land der Warteschlangen, des „ Kommste heut nicht, kommste morgen“. Die Wege sind weit, die geographischen ebenso wie die institutionellen. Die abgeschiedene Lage des Corredors verschärft das Problem noch. Aber die Störfaktoren sind nicht nur externer Art. Wie lange habe ich gebraucht, mich an diese neue Umgebung zu gewöhnen? Erst nach Wochen konnte ich meinen Platz im Projekt finden, mir einen strukturierten Alltag zurechtbasteln, Missverständnisse mit meinen costaricanischen Kollegen ausräumen und eine Vertrauensbasis aufbauen.

Zwischen Tag 90 und heute schlug sich das Gefühl nieder, angekommen zu sein.

Was habe ich noch vor?

Der Mensch pflegt nach dem Bergfest gerne, die Hände in den Schoß zu legen. Gedanklich schon zu hause, leisten sie Dienst nach Vorschrift. In dieses Verhalten möchte ich nicht fallen, denn dafür sind 6 Monate doch zu kurz.

Da die Probleme des Corredors auch meine sind, will ich helfen Geld aufzutreiben. Ich werde mich weiter mit dem Gebiet beschäftigen, mehr über Tiere und Pflanzen und das Ökosystem lernen. Vor allem will ich vor meiner Abreise einiges Wissen aufbereiten und verschriftlichen, damit Nachkommende etwas davon haben. Und ich denke dieses Projekt sollte der Weltöffentlichkeit näher gebracht werden (Stichwort: PR)

Selbstversorgung aus eigenem Anbau ist ein faszinierender Ansatz, der uns oft zu fern ist, weil wir so sehr an Supermärkte gewöhnt sind. In unserem Gebiet ist reichlich Platz für Gemüseanbau. Es regnet viel. Allerdings ist die Erde schlecht und viel Mutterboden muss geschoben und Kompost gebildet werden. Immerhin, Yuca, Kürbis und Spinat sind schon in der Erde. In den nächsten Wochen verfolgen wir das Ziel eines nachhaltigen Nahrungsmittelanbau, auch wenn wir unsere Früchte nicht mehr selbst ernten werden.

Der Corredor ist nicht Costa Rica. Das Land hat einiges zu bieten. Je öfter es mich in die Stadt oder an andere Ecken des Landes verschlägt, spüre ich die Lust mehr herumzureisen und ja, auch die etlichen touristischen Ziele abzugrasen.

Dieser Blog erfreut sich wachsender Beliebtheit, was mich wiederum sehr freut. In Zukunft versuchen, diesem Sammelsurium an kuriosen Geschichten, schönen Bildern, und leckerem Essen ein paar ernsthaftere Gedanken und einen Roten Faden hinzuzufügen.

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