Mit 63 Jahren, da fängt das Leben an

von 14 marit  


Gerardo, 70

Zumindest ist es noch lange nicht zu Ende. In Costa Rica liegt die Lebenserwartung der Menschen bei durchschnittlich 78.06 Jahren, worauf auch alle Ticos/as sehr stolz sind (Vergleich Deutschland: durchschnittlich 80.32 Jahre). Diesen Blog möchte ich Gerardo V. widmen, einem 70 Jahre altem Campesino in Sarapiqui, Heredia, auf dessen Finca ich mehrere Tage gearbeitet habe. Warum, möchte ich euch erklären:

Kennengelernt habe ich Gerardo durch seinen Sohn, Elmer, der auf der Feria Verde ins San Jos‚ verschiedene, ökologisch angepflanzte Produkte wie u.a. Kokosnüsse, unterschiedlichste Sorten Bananen, Yucca und Plátanos (Kochbananen) verkauft. Produkte, die von der Familienfinca in Sarapiqui stammen. Eine Woche verbrachte ich als Volunteer auf dieser Finca, lebte mit Elmers Eltern Geraldo und Illane und arbeitete mit Geraldo und dessen einzigen Arbeiter, Alfredo, auf dem Feld.


Anbau relativ kleinflächig

Die Finca ist ca. 10 ha groß und ziemlich belebt. Ein Paradies für eine Vielzahl von Vögeln und Echsen. Täglich springen Kapuzineraffen durch die Bäume und morgens brüllen Brüllaffen im Hintergrund. Das war aber nicht immer so.

Erst vor sieben Jahren beschloss Gerardo seine Finca auf ökologischen Anbau umzustellen. Viele Jahre davor hatte er Pestizide und Fungizide benutzt, um seine Felder und Pflanzen zu kontrollieren. Warum auch nicht? Zum einen hatte man es nie anders gelernt bzw. nie über andere Möglichkeiten nachgedacht. Zum anderen war die Beetpflege somit schnell erledigt gewesen und Schädlinge konnten einfach in Schach gehalten werden.


Hier wachsen: Ananas ..

Warum sollte man dann, mit stolzen 63 Jahren, seine ganze Finca umstellen und aufeinmal einen anderen Weg einschlagen? Bewusst in Kauf nehmen, dass sich die Arbeit verdreifachen wird? Das habe ich Gerardo auch gefragt, während wir zusammen Unkraut jähten und in der Abendsonne schwitzen. Immerhin steht er jeden Tag spätestens um vier Uhr auf, um rechtzeitig zum Sonnenaufgang das Arbeiten anzufangen. "La vida en el campo es dura", sagt er und lacht. Aber eines Tages seien ihm malwieder die Spritzmittel ausgegangen und er wollte einfach keine Neuen kaufen. Irgendwie muss das ja auch ohne gehen. Also informierte er sich über Alternativen, besuchte viele Workshops und fing Schritt für Schritt nochmal ganz von vorne an.

Er zeigt mir stolz die 10 Meter lange Wurmbox und ich greife in die saftige Erde, die als natürlicher Dünger genutzt wird. Er ist sichtlich stolz und freut sich, dass jemand interresiert zuhört. Wie man sich seinen eigenen Dünger herstellt muss ja auch erstmal erlernt werden.


.. und Bananen

Ich bewundere den Mut und den Willen von Gerardo seinen Anbau komplett umzustellen. So ein Wechsel ist mit vielen Fragen und Unsicherheiten verbunden. Die Arbeit ist jetzt "más duro", wie er sagt. Wir laufen zu ein paar Bananenstauden und Alfredo und Gerardo fangen an, dicht an den Stämmen, Löcher zu graben. Ein lästiges Nagetier fresse den Stamm an, bis die Bananenstaude absterbe, wird mir erklärt. Wir finden den Eingang des Tunnels und pumpen Calciumpulver mit Knoblauchgeruch hinein, um das Nagetier zu vertreiben. An der nächsten Staude machen wir das selbe, solange bis alle Tunneleingänge bepumpt sind und ich mir einbilde Knoblauchdämpfe aus dem unterirdschen Tunnensystem aufsteigen zu sehen. Durch den Geruch wird das Nagetier vertrieben. Wohin? Ich traue mich nicht zu fragen, denn um uns sind noch so viele Bananenstauden, die als mögliche Nahrungsquelle für das Nagetier dienen können, dass es mir unmöglich erscheint, dass das Tier so von der gesamten Finca vertrieben wird, sondern einfach ein paar Meter weiterläuft. Nicht einfach, sondern schweißtreibend ist diese Art der Schädlingsbekämpfung. Aber so wird das Problem (erstmal) gelöst und die Bananenstauden tragen weiterhin ihre Früchte, ohne dass Pestizide auf die Pflanze gegeben werden müssen.

Die Angst, die gesamte Ernte, beispielsweise durch Schädlinge zu verlieren und eine oder mehrere Wochen nichts verkaufen zu können, ist seit dem Umstieg auf ökologischen Anbau nicht mehr im selben Ausmaß präsent wie früher. Auch ein Grund, warum die Familie diesen Schritt gegangen ist.

Ein Ernteausfall, zum Beispiel durch das Absterben mehrerer Bananenstauden durch ein Nagetier, wird durch den restlichen, diversen Anbau abgepuffert und es geht somit nie die gesamte Ernte verloren. Zum einen sind vielfältige Mischkulturen weniger anfällig für Schädlinge, zum anderen ist in der Regel dann nur ein kleiner Teil des Anbaus betroffen. Die Vielfalt macht den Unterschied und gibt dem Farmer eine gewisse Sicherheit.


Natürliche Elemente, wie alte Bäume, sind geschickt eingebunden ..

Will ein Campensino seine Finca ökologisch zertifizieren lassen, muss er sich an klare Regeln halten und vor allem alles dokumentieren. Dies stellt für die meisten Farmer das größte Hindernis da. Sie mögen alles richtig machen, vielleicht sowieso schon seit Jahren ökologisch anbauen, aber wenn es nicht für einen gewissen Zeitraum töglich auf dem Papier festgehalten wird, ist es eben doch nicht passiert. Und das, haben die Campensinos nie gelernt. Alles Wissen, alle Ideen sind im Kopf, warum abends noch Stunden aufbringen um alles aufzuschreiben? Diesen Part hat auf Gerardos Finca sein Sohn Elmer übernommen. Er kümmert sich um den Papierkram. Das ist viel Arbeit und alles dauert sehr lange, sodass die Finca erst im Januar 2015 offiziel "certificada orgánica" sein wird.


.. und während Ananasplantagen Tiere vertreiben, kommen auch seltene Vögel gerne auf diese Finca

Die Feria Verde als Verkaufsort hat Elmer zufällig entdeckt und verkauft seitdem nicht mehr auf den konventionellen Märkten, sondern nur noch auf der Feria Verde in San José. Durch das SIC (Sistema Interna de Control) können auch Fincas auf der Feria ihre Produkte verkaufen, die sich offiziel noch im Übergang befinden, aber eigentlich schon seit mehreren Jahren organisch sind. Sie werden durch ein internes Team der Feria kontrolliert. Auch alle Fincas, die schon als "orgánico certifcado" registriert sind, werden zusätzlich durch das SIC kontrolliert, um Betrugsfällen entgegen zu wirken.

Natürlich ist die Zertifizierung auch mit Kosten verbunden. Die Kontrollbesuche und der Arbeitsaufwand der Agenturmitarbeiten müssen von den Farmern mit bezahlt werden. So wird es den Kleinbauern, die umsteigen möchten, nicht einfach gemacht: die zusätzlichen Kosten und der anstehende Papieraufwand schrecken am meisten ab.

Generell meiden Menschen Veränderungen. Keiner scheint sie so wirklich zu mögen und dies ist auch der Grund warum ich diesen Blogeintrag Gerardo widme. Ich finde, dass Geschichten wie diese zeigen, dass es nie zu spät ist sich für einen Wechsel einzusetzen und sein eigenes Handeln zu überdenken und zu ändern, egal wie alt man ist. Letztendlich ist man nicht der einzige Mensch, der davon profitieren wird!

BlogNo:06

1 Kommentar

Kommentar von: Fabi J. [Besucher]  

Hallo Marit,
deine Erfahrungen klingen interessant, auch die Bilder sind schön. Hat Gerardo denn Möglichkeiten seine Erfahrungen und sein Wissen weiterzugeben? Interessieren sich Nachbarn oder Bekannte dafür?
Bei Veränderungen ist ja immer sehr wichtig, dass man sich funktionierende Beispiele anschauen kann, um wirklich überzeugt zu werden, dass es auch anders geht. Gerade im Bereich der Landwirtschaft, wo die gewachsenen Bewirtschaftungsformen oft sehr stark in den Köpfen der Menschen verankert sind. Auch weil man sehr stark vom Funktionieren des Anbaus abhängig ist. Wenn es funktioniert, ändert man nicht ohne Grund oder Motivation etwas. Funktionierende Beispiel-Fincas können genau diese Motivation oder der Anstoß zu einer Veränderung sein.
Grüße, Fabian


Formular wird geladen...