Eine Physalis tötet nicht - Über die Landwirtschaft in Deutschland und Costa Rica

von 14 marit  

Die Fakten sind in aller Kürze: Costa Rica ist mit 51.100 km² flächenmäßig ungefähr so groß wie Niedersachsen. 26.050 km², also 51%, sind von Wald oder waldähnlichen Plantagen bedeckt. Die Landwirtschaftliche Nutzfläche liegt bei 18.000 km², also 35%. Innerhalb der letzten Jahre ging die Fläche an organisch bewirtschafteter Fläche zurück. Waren es 2012 noch 9.360 Hektar, sind es im Jahr 2013 nur noch 7.448 Hektar.

Im Dezember 2014 verkündete der Präsident Luis Guillermo Solís deswegen, die organische Landwirtschaft und die dazu verwendete Fläche wieder um 22% zu vergrößern. Genauere Pläne gab es dazu aber noch nicht [1].

Laut einem Artikel in der Tageszeitung la Nacion fühlen sich die Ökolandwirte hier vom Staat alleine gelassen. Es gibt wenig bis kaum Unterstützung. Wie schon in meinem letzten Blog beschrieben (Mit 63 Jahren, da fängt das Leben an) ist die Umstellung auf ökologischen Anbau, wie auch in Deutschland, anstrengend und langwierig und muss vom Farmer alleine gestemmt werden. Insgesamt sind 2.159 Ökolandwirte in Costa Rica registriert [2]. Daneben gibt es noch wenige Indigene und einige weitere Kleinbauern die schon seit etlichen Jahren ohne den Einsatz von Pestiziden auf natürliche Art und Weise anpflanzen.

Im Vergleich dazu werden in Deutschland 52% der Bodenfläche landwirtschaftlich genutzt (Stand 2009). 60% davon sind alleine für die Futtermittelproduktion. Ca. 5,6% der landwirtschaftlich genutzen Fläche wurden im Jahr 2009 für den Ökolandbau genutzt [3]. Einem Artikel des Spiegels zufolge geben in Deutschland jedes Jahr bis zu 600 Biobauern ihr Gewerbe auf oder wechseln zur konventionellen Landwirtschaft [4].

Einer der Gründe dafür ist der Preiskampf um die Flächen. Pachtland geht verloren weil sich die Biobauern, im Gegensatz zur subventionierten Agrargasproduktion, das Land nicht mehr leisten können. Ca. 1/5 des gesamten Ackerlandes in Deutschland wird für Energiepflanzen genutzt. Früher wuchsen auf den jetzigen Maisfeldern für die Energiewende vielfältige Kartoffelsorten, Zuckerrüben oder Weizen. Was für ein Wandel.

Costa Rica exportiert u.a. Kaffee (Rohkaffee: 2.8% der Exporteinnahmen im Jahr 2010), Bananen (7.9%), Ananas (7.1%), Palmöl, Melonen und Blumen, Zierpflanzen und Macadamianüsse. Der Verbrauch von Düngern ist in Costa Rica mit 342 kg pro Hektar Ackerland fünfmal höher als der zentralamerikanische Durchschnitt, was mit am intensiven Bananenanbau liegt [5].

Auch Deutschland schaut beim Thema Düngung und Pestizideinsatz nicht gerade vorbildlich aus der Wäsche. Laut Umweltbundesamt liegt der Stickstoffüberschuss mit 105 Kilogramm pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche immer noch weit über dem angestrebten Ziel von 80 Kilogramm pro Hektar. Hohe Einsätze von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln wirken sich negativ auf Boden und Wasser aus. Jedes Jahr gibt der deutsche Staat acht Milliarden Euro aus um die Nitratbelastung des Wassers zu reduzieren. Ein Irrsinn in meinen Augen. Vor allem Kunstdünger und Gülle sind ein Problem. Bis zu eine Million Tonnen Stickstoff und 35.000 Tonnen Phosphat werden jedes Jahr in die Ostsee gespült. Dass das nicht in irgendeiner Weise schädlich sein soll, glaubt hoffentlich keiner mehr.

In Deutschland werden die Biobauern genausowenig gefördert wie in Costa Rica. Das Gegenteil ist der Fall. Sie drohen in Bürokratie zu ersticken. Hinzu kommt, dass ein Ökolandwirt im Durchschnitt knapp 6% weniger verdient, als ein konventioneller Bauer. Die Biobauern stecken in einer Krise. Zwar ist Bio in Deutschland gefragt wie nie, aber scheint es als haben die Bio-Konsumenten den Bezug zu den Produkten, die Regionalität, verloren. Bio wird vielfach billig importiert und der Konsument kauft Tomaten aus Israel, Frühkartoffeln aus Ägypten, Soja auch China, Brasilien oder Indien und vor allem ganz viel verschiedenes Obst und Gemüse aus dem spanischen Almeria. Dabei ist die vermeintliche Biogurke aus Almeria nicht vergleichbar mit der Biogurke vom regionalen Hof um die Ecke. Aber genau dahin - zur "Bio"-Gurke aus Almeria, hat sich Deutschland katapultiert. Bio ist so gefragt wie nie. Alle wollen bio, es ist irgendwie trendy. Aber durch den Verlust an Regionalität hat sich die lokale Biobranche selbst zerstört und wirklich bio ist es dann doch nicht mehr. Zu recht ist die Branche Verruf geraten [4].

Fehlende Kommunikation über die Vorteile des regionalen Ökolandbaus, gelten als Grund für den Kauf vermeintlich billigerer Produkte. Eine Studie der Universität Kassel hat gezeigt, dass die Deutschen eigentlich gerne mehr Geld für ihre Lebensmittel ausgeben würden, wenn ihnen nur direkt beim Einkauf die entsprechenden Vorteile des teureren Produktes vor Augen geführt würden. Bio scheint auf den ersten Blick teurer, das schreckt viele ab. Doch würde man die tatsächlichen Kosten der Bioprodukte denen der konventionellen gegenüberstellen, wäre Bio aufeinmal garnicht mehr so teuer.

Wasserrechnungen für Säuberungen des Trinkwassers. Hochwasserschutz weil ausgelaugte Böden Wasser nicht mehr gut aufnehmen und halten können, Klimaschutzprogramme, Programme zur Rettung der Meere. Letztendlich zahlen wir alle also doch mehr. Warum dann nicht gleich gesunde, nachhaltig produzierte Lebensmittel kaufen statt hinterher für die Säuberung unseres Wassers und die Krankenhausrechnungen blechen zu müssen?

Doch zurück zu Costa Rica: In den letzten Wochen war ich viel auf verschiedenen Märkten um und in San José unterwegs. Sowohl auf konventionellen als auch auf organischen. Zum einen um aus der Feria Verde happy-happy-Blase herauszukommen, zum anderen um einen Preisvergleich ausgewählter Obst und Gemüsesorten zu machen. Neben vier konventionellen Märkten (Zapote, Guadalupe, Santa Ana) besuchte ich neben der Feria Verde drei weitere organische Märkte im Umkreis von San Josés (Trueque, Escazú km0, Escazú Buena Tierra).


Ananas auf dem Markt

Von der Tageszeitung la Nacion wird der Preisunterschied zwischen convencional und organico in Costa Rica insgesamt auf 30% geschätzt [5]. Da kann man schon verstehen warum die Mehrheit der Menschen auf die konventionellen Märkte geht. Ananas so groß und billig, da kann man sich auch gleich zwei oder drei leisten. Knapp 700 Colones (ca. 1€) kosten diese pro Kilo. Für 900 Colones bekommt man auf den ferias organicas dagegen meist nur eine etwas kleinere Ananas. Der Preisunterschied ist also deutlich zu spüren.

Bio ist hier noch lange nicht so verbreitet wie in Europa. In den Supermärkten gibt es nur eine kleine Auswahl und auch die organischen Märkte werden nur von einer Minderheit aufgesucht. Die Feria organica in Trueque war die erste ihrer Art in Costa Rica. Seit 1999 findet sie regelmäßig jeden Samstag statt. Es finden sich etliche Stände, ähnlich der Feria Verde, jedoch ist diese Feria insgesamt um einiges kleiner und überschaubarer.


Äpfel aus Washington

Auch hier ist alles organico certificado und lokal. Bis auf die Äpfel. Ich stutze. Die Äpfel vor mir sind so groß und rund, ohne Dellen, glatt und glänzend wie sie sonst eigentlich nur im Supermarkt zu finden sind. Dann sehe ich auch das Schild: Certificado organico en Washington D.C. Auch hier hat die Globalisierung also schon Einzug gehalten, ich bin etwas enttäuscht. Aber warum eigentlich? Äpfel wachsen auch in Costa Rica, aber sie sind sehr klein. Zwar lecker, aber klein, zu klein. Bei uns würde sie wahrscheinlich auch niemand vom Baum pflücken. Ich unterhalte mich ein bisschen über die Transportwege und zeige meine Verwunderung. Immer noch besser etwas zu importieren was es nicht gibt, als etwas was es in ähnlicher Qualität im eigenen Land schon gibt, wie zb. die Gurken in Deutschland.


Zuckerpulver für Erfrischungsgetränk

Meiner Meinung nach gibt es eine große Gemeinsamtkeit zwischen Deutschland und Costa Rica (und anderen Ländern auf der Welt). Wir verlieren den Bezug zu unseren Lebensmitteln aus der Region. Zwar konsumieren die Deutschen gefühlt nicht gaaaanz so viele Tütenfertig-Gewürzmischungen-mit Hühnchenzusatzlecker-geschmack und Eisteepulver aus Zucker, aber wirklich kennen tun wir unsere Lebensmittel aus der Region auch nicht.

Kürzlich bin ich umgezogen. Zu einer liebenswürdigen, costaricanischen Familie. Okay, ich glaube, sie sind ein bisschen verrückt, aber liebenswürdig. Wenn gekocht wird, dann mit ganz viel Tütenzeug, frische Lebensmittel gibt es kaum. Sie finden mich etwas merkwürdig, weil ich viele Mahlzeiten mit ganz viel Gemüse koche und kein Fleisch esse. Die beiden ältesten Hausbewohner haben Diabetis. Letzten Samstag brachte ich ein Körbchen Physalis von der Feria mit und bot es ihnen an. Physalis kann man in Deutschland teuer im Supermarkt kaufen. Wegen ihres hohen Vitamin C Gehaltes gelten sie als besonders gesund, auch gut um den Blutzucker zu regulieren. Meine Gastfamilie wusste nicht was ich ihnen da anbot. Ich stellte mir vor wie ich mich fühlen würde, wenn mir ein Tourist in Deutschland ein heimisches Gemüse unter die Nase hält und ich nicht wüsste um was es sich handelt... Ich möchte nicht in diese Situation kommen. Probiert hat nur die Omi, die anderen trauten sich nicht. Vielleicht beim nächsten mal, wenn sie sehen, dass ich nicht daran gestorben bin. Ich werde ja noch eine Weile hier sein.


Fastfood überall

In Costa Rica fehlt es eindeutig an Wissen über gesunde Ernährung. Fastfoodläden dominieren die Straßen. Nicht mal die Bilder auf den Werbetafeln sehen ansprechend aus, kommen aber an. Auch die Statistiken der Krankheitsbilder sprechen gegen die Ernährungsweise. Genauso wie in Deutschland fehlt es auch hier an der Vermittlung und Bildung über die Vorteile regionaler Lebensmittel.

Also Leute, egal wo ihr gerade steckt, schaut beim Laden an der Ecke vorbei und holt euch den Karlsruher Apfelsaft, die Augsburger Beeren oder die Gemüsekiste vom Hofladen ausm Ort. Warum kompliziert wenns auch einfach geht.

Quellen:

[1] La Nación, 02.12.2014: Costa Rica, un país inundado de agroquímicos, busca impulsar la agricultura orgánica. Link: http://www.nacion.com/vivir/PAC-feria_organica-organico-transgenicos-agroquimicos-agricultura_0_1454854670.html
[2] La Nación, 26.07.2014: Agricultura orgánica pierde terreno por menor demanda. Link: http://www.nacion.com/economia/agro/Agricultura-organica-pierde-terreno-demanda_0_1429057101.html
[3] Schweizerische Eidgenossenschaft. Bundesamt für Landwirtschaft BLW, 20.04.2012: Agrarstatistik Costa Rica.
[4] Der Spiegel, Nr. 45 / 03.11.2014: Der Bio-Betrug. Wie Konzerne die Öko-Idee missbrauchen.
[5] Situationsanalyse Costa Rica, März 2011. Link: http://www.stop-climate-change.de/fileadmin/user_upload/documents/Situationsanalysen/Situationsanalyse_Costa_Rica_final.pdf

BlogNo:07

1 Kommentar

Kommentar von: Corinna [Besucher]

Applaus :) hab den doch langen blog doch zuende gelesen. ich stimme dir sowas von zu!!
die Sache ist halt wirklich im Grunde, dass sich die meisten Leute nicht mehr dafür wirklich intressieren, was sie essen. essen ist sowieso zum nötigen Übel, dass möglichst wenig zu kosten hat und möglichst wenig Zeit in der Zubereitung und Konsumierung einnehmen soll, degradiert. Dabei ist es eins der essentiellsten Sachen. direkt neben Trinken, wo ich auch mal (ww CR jahrgang 2013) in einem Dorf gewohnt habe und mich an deren Orangen vom Baum im Garten erfreut habe.. während sie mir erst diese gräßlichen Zuckergetränke angeboten haben .. ich und ein paar andere Kollegen, waren dann schon “die Deutschen, die immer alles ohne Zucker trinken” :D aber ich find es auch richtig gut, das du aufzeigst, dass es in Deutschland keinesfalls rosiger ausschaut!
Fazit könnt man auch sagen: immer schön an die eigene Nase packen, nech ;)

Feiner blog jedenfalls!

beste Grüße,
Corinna


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