Der Fischer im Agroforst - Eine Reise zu den Indigenen auf Rama Cay

von 14 julian

Nueva Guinea. Der Wecker klingelt. Es ist 3 Uhr früh morgens. Eine Stunde später sitze ich mit Óscar, Cristóbal und Victoria im Bus Richtung Bluefields. Eine ungemütliche, siebenstündige Busfahrt steht uns bevor. Einmal müssen alle Männer aussteigen und an einem Seil einen Geländewagen, der die Straße (oder besser: hügelige Schlammpiste) blockiert, den Berg hochziehen.


Bus von Nueva Guinea nach Bluefields. Männer stützen den Bus damit er nicht abrutscht

Ein kleines Stück müssen wir laufen, da der Bus das Teilstück voll beladen nicht befahren kann. Schließlich landen wir in Bluefields, wo uns Abelardo bereits erwartet. In seinem kleinen Boot meistern wir die zweistündige Überfahrt nach Rama Cay. Begrüßt werden wir mit frisch gebackenem Kokosbrot und Kaffee.

Rama Cay ist eine kleine Insel in der Bucht von Bluefields an der Atlantikküste Nicaraguas. Hier leben 850 der ca. 3000 verbleibenden indigenen Rama. Beim Anlegen schwebt uns Bob Marley entgegen, was sofort ins Auge fällt: die sehr dichte Besiedlung der Insel. Es gibt kaum einen Quadratmeter freies Land. Untypisch für die Region, in der aufgrund der dünnen Besiedlung eigentlich eher luftig gebaut wird.


Häuser im traditionellen Baustil; in Großansicht sind rechts auch neue Häuser im Bau zu sehen

Zwischen traditionellen Holzbauten mit Palmblattdach entstehen neue Häuser mit Zementfundament, einem Aluminiumgerüst, Pressspanplatten und Rigipswänden. Abgesehen vom Grundgerüst wirken die verwendeten Materialien auf mich nicht sehr nachhaltig und an die feuchten Bedingungen unangepasst. 110 Häuser dieser Art sollen hier, finanziert durch die Weltbank, entstehen, alle identisch. Auf die individuellen Bedürfnisse der Familien, die dort leben sollen, wurde offensichtlich kaum Rücksicht genommen. Die Insel erhält den Charme einer Reihenhaussiedlung. Das Projekt ist nicht unumstritten unter den Inselbewohnern. Worüber sich jedoch alle beklagen ist, dass für den Bau ein Großteil der Mango- und Brotfruchtbäume, sowie Kokospalmen gefällt wurden, die einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Ernährung der Bewohner dargestellt haben.

Óscar, Cristóbal und Victoria sind erfahrene Bauern der Biobauernvereinigung Sano y Salvo, für die auch ich arbeite. Sie werden in den kommenden Tagen die indigenen Mitglieder der Vereinigung in der Anwendung und Herstellung biologischer Dünge- und Pflanzenschutzmittel beraten. Insgesamt sind es 22 Mitglieder, die wir besuchen werden. Dieser Tag endet nach anstrengender Reise mit Geburtstagskuchen, Inselrundgang und Abendessen. Um acht Uhr liegen wir in unseren Hängematten, am nächsten Morgen wollen wir früh aufbrechen.


Die Plastikplane schützt vor Spritzwasser und Regen, raubt aber leider auch die Sicht.

Um sechs Uhr stechen wir mit Abelardos Boot in See. Abelardo ist der Koordinator der lokalen Untergruppe Sano y Salvos, er begleitet uns bei den Besuchen. Sein Sohn ist unser Steuermann. Mit an Bord sind auch einige Mitglieder, deren Agroforstparzelle wir besuchen werden. Die Plastikplane die uns vor dem am Bug aufspritzenden Wasser und dem einsetzenden Regen schützt, raubt mir die Orientierung. Irgendwann wird es etwas ruhiger, die Plane wird zur Seite geschlagen. Wir befinden uns auf einem Fluss, dem Río Torsuani. Nach insgesamt zwei Stunden Fahrt legen wir an, das erste Stück Land, das wir begutachten. Es begrüßen uns 10 Meter hohe Kakaobäume, geerbt vom Vater des jetzigen Besitzers.


Cristóbal erläutert den Baumschnitt; in der Großdarstellung steht Óscar in der linken Bildhälfte neben alten Kakaobäumen

Aber auch jüngerer Kakao, Kaffee, und andere Pflanzen die typisch für einen Agroforst sind, wie Borojo und Viriba. Die Parzelle ist insgesamt in erfreulich gutem Zustand, nur an den Baumschnitt hat sich bisher wohl niemand herangetraut. An einigen Kakaobäumen demonstrieren Óscar, Cristóbal und Victoria wie ein solcher Baumschnitt durchzuführen ist. Kein Ast darf höher als griffhoch sein, Triebe die nach oben wachsen müssen entfernt werden, ebenso seitliche Triebe am Stamm und sich kreuzende Äste. Es muss darauf geachtet werden das genügend Licht von oben einfällt, nur so können die Früchte, die sich am Stamm bilden, gut gedeihen.


Das Fleisch des Pelibuey-Schafs wird für das Mittagessen zugeschnitten.

Nach diesem Crashkurs besteigen wir wieder das Boot. Nach kurzer Zeit erreichen wir unser heutiges Endziel, die Finca von Andrés, einem weiteren Sano y Salvo Mitglied, der vor Jahren Rama Cay verlassen hat, um hier Landwirtschaft zu betreiben. Traditionell leben die Rama vom Fischfang, das Arbeiten mit Land ist daher etwas nicht sehr tief verwurzeltes ihrer Kultur. Inzwischen bewirtschaften allerdings viele von ihnen eine kleines Stück Land, in erster Linie für den Eigenbedarf. Dabei kommt es zunehmend zu Konflikten mit den immer weiter in die indigenen Territorien vordringende Mestizen, die oft großflächig Landwirtschaft oder Viehzucht betreiben. Als wir ankommen wird in der Küche gerade das Fleisch eines Pelibuey-Schafs für das Mittagessen vorbereitet.


Abendliche Zusammenkunft in der Finca Andrés für die persönliche Beratung.

Am Nachmittag besuchen wir weitere Parzellen. Alle mehr oder minder gut gesäubert und in allgemein gutem Zustand. Auch hier hat sich offensichtlich keiner an den Baumschnitt herangewagt. Am Abend findet eine Zusammenkunft aller an diesem Tag besuchten Mitglieder statt. Victoria erklärt mit welchem Ziel wir gekommen sind. Wir wollen den Mitgliedern helfen ihre Produktion zu verbessern, und zwar in Qualität und Quantität. Anschließend finden Einzelgespräche statt, es werden Pflanzpläne erstellt und die dazugehörige Düngung und Schädlingsbekämpfung mit biologischen Mitteln diskutiert. Primär geht es um die sogenannten „granos basicos“, diese umfassen Mais, Reis, Yuca, Malanga, Kochbananen, … diese sind wichtig um die Ernährung der Familien zu gewährleisten. Erklärtes Ziel Sano y Salvos ist es zwar die Verbreitung von Agroforstsystemen zu fördern, dennoch darf dabei auch die familiäre Versorgung mit Grundnahrungsmitteln nicht vernachlässigt werden, denn aus Kaffee und Kakao lässt sich kaum ein zufriedenstellendes Mahl kochen. Zudem ist es wichtig der Frustration einiger Mitglieder entgegenzuwirken, die nach der Umstellung auf Biolandbau einen Einbruch der Produktionsmengen verzeichnen mussten, da sie Agrochemikalien lediglich weggelassen und nicht durch biologische Alternativen ersetzt haben.

Ich unterhalte mich mit dem sonst eher ruhigen Sohn Abelardos, er spricht Englisch mit mir. Ihre Muttersprache ist Rama-Creol, eine dem Englischen ähnliche Sprache. Spanisch lernen sie als Fremdsprache in der Schule. Die meisten Rama sprechen ein sehr gutes Spanisch, einigen fällt es jedoch schwer oder widerstrebt es, Spanisch zu sprechen. Englisch ist dann die angenehmere Option.


Abelardo beim Baumschnitt, er setzt das neu erworbene Wissen gleich in die Tat um

Am nächsten Morgen geht es zu Fuß weiter. Gelegentliche Regenschauer begleiten uns dabei, wie wir in einer insgesamt sechs stündigen Tour weitere Parzellen begutachten. Am Nachmittag verabschieden wir uns von Andrés und seiner Familie, die uns so freundlich umsorgt hat, und kehren zurück nach Rama Cay. Wieder werden Einzelgespräche geführt, bis uns die Müdigkeit in die Hängematte treibt.

Es ist Sonntag und wir können ein wenig ausschlafen. Erster Termin an diesem Tag: 09:30 Uhr Gottesdienst. Nach dem Mittagessen, werden die Einzelgespräche fortgeführt. Alles in allem ein eher erholsamer Tag.

Die folgenden zwei Tage verlaufen ähnlich wie am Rio Torsuani. Morgens früh mit dem Boot los, Laufen, Begutachten, praktische Tipps geben und am Nachmittag Einzelgespräche. Wir besuchen einen Ort, der „Big Hill“ genannt wird, sowie die Ramagemeinde Tiktik Kaanu am Río Kukra.


Abschiedsgruppenbild vor dem Haus Abelardos: Cristóbal, Abelardo, Victoria, Julian (ich), Óscar

Insgesamt sind sieben Tage wie im Fluge an uns verübergezogen. Nun heißt es Abschied nehmen von Rama Cay, Abelardo, seiner Familie und den anderen Bewohnern.

Was ist bei mir am Ende der Reise hängengeblieben? Wieder einmal bin ich beeindruckt von der unglaublichen Gastfreundschaft. Die Meisten haben nicht viel und dennoch geben sie, was sie können. Wir haben immer drei Mahlzeiten am Tag erhalten, mal einen Berg Reis mit zwei Bohnen und einer Kochbanane, mal einen ganzen frittierten Fisch, Shrimp oder sogar Pelibuey-Schaf, je nachdem was eben gerade möglich war.

Es freut mich, dass trotz der langen Wege zu den Agroforstparzellen, diese offenbar gut angenommen werden. Die meisten Parzellen sind nun drei bis vier Jahre alt und werden bald ihre volle Produktivität erreichen, bei entsprechend guter Pflege. Einige haben uns nicht ohne Stolz den selbst angebauten Kaffee serviert. Manche Mitglieder wollen ihren Agroforst sogar erweitern. Leider gilt dies nur für die 22 Parzellen die wir tatsächlich besucht haben. Zu Beginn hatte die Untergruppe Rama Cay 52 Mitglieder. Viele sind abgesprungen, nachdem die Hilfe beim Anlegen beendet war. Es gibt viele Agroforstparzellen die nun verwaist im Wald liegen. Schade, wenn man bedenkt, wie viel dort an finanziellen Mitteln und Arbeit investiert wurde.

Gerade bei den Rama, die traditionell vom Fischfang leben, ist eine enge Betreuung und Beratung in Fragen der biologischen Landwirtschaft wichtig. Wie viele haben das Konzept der biologischen Landwirtschaft tatsächlich verinnerlicht, und wer macht nur mit, weil es die Zentrale in Nueva Guinea so fordert?

Ich bin fasziniert von dem Miteinander unter den räumlich beengten Bedingungen auf Rama Cay und habe gleichzeitig ein Gefühl dafür bekommen, wie diese Menschen, und ihr kulturelles Erbe, zunehmend durch die globalisierte, kapitalistisch organisierte Welt unter Druck geraten. Und wie falsch konzipierte oder interessengelenkte Hilfsprojekte manchmal eher schaden als nutzen.

BlogNo:09

3 Kommentare

Kommentar von: An [Besucher]

very crazy, habe gestern abend jmd kennen gelernt, der vor jahren mal dort war.. , hat ziemlich geschwaermt

Kommentar von: fania [Besucher]

Hey Julian, super spannend dein Bericht. Er gibt einen guten Einblick in eure muehevolle und
engagierte Arbeit. Mich wuerde interessieren woher die Foerderung zum Anlegen der Agroforstflaechen herkam? Wie frei kann der Verein ueber Gelder z.B. auch fuer kleine innovative Projete verfuegen? Wird die Etablierung von Agroforstsystemen von nicaraguensischer Regierungsseite unterstuetzt? Oder war das ne rhetorische Frage;)? Ich hab mal ein bissl recherchiert und gelesen, dass Sano y Salvo vor allem aus Europa und USA unterstützt wird. Wo wird da hauptsaechlich Unterstuetzung geleistet (monetaer, infrastrukturell (fachlich, logistisch))? Wie unabhaengig ist der Verein finanziell und personell? Lieben Gruß

Kommentar von: Karin [Besucher]  

Danke Julian, für diesen interessanten Bericht und danke für euer Engagement. Ich glaube es ist auch für die Leute dort wichtig, dass sie spüren, ihre Arbeit wird wichtig genommen.

Liebe Grüße
Karin


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