Gewalt, Drogen und schlechtlaufende Geschäfte - Probleme der Frauen in San Ramón

by 14 alice

Da ich mittlerweile schon fast alle meine Arbeitsstellen hier beschrieben habe - vom Kühemelken bis zum Brotbacken für den Bauernmarkt - möchte ich jetzt auch noch von der bisher fehlenden Stelle berichten. Denn seit November arbeite ich ja auch im Rathaus von San Ramón (die nächst größere Stadt in der Nähe, etwa 40 Minuten mit dem Bus von dem Dorf entfernt, in dem ich wohne) in der Oficina de la Mujer (Büro der/für die Frau) mit.

Die Arbeit ist super spannend und abwechslungsreich, ich versuche die Büroarbeit mit den Tagen, an denen ich auf dem Feld und mit den Kühen arbeite, abzuwechseln. So statte ich dem Rathaus 2-3 mal die Woche einen Besuch ab. Um 6 Uhr stehe ich auf, um den Bus zu erwischen, der pünktlich um 8 in der Stadt ist. Das Rathaus befindet sich gegenüber vom Stadtpark und ist immer gut besucht.

Unser Büro ist im 2. Stock und wir arbeiten dort zu zweit. Die Frau, mit der ich arbeite, ist Psychologin und oft kommen Frauen ins Büro und erzählen von ihren Problemen. Dabei geht es hauptsächlich um Drogen, Gewalt und schlecht laufende Geschäfte. Sundry versucht erst einmal einzuordnen, welches der Probleme in ihren Bereich fällt und welches nicht. Grundsätzlich unterhält sie sich aber mit allen und versucht zu helfen, wo sie kann, denn die Frauen sind oft sehr emotional, weinen, sind wütend oder auch sehr unsicher und es fällt ihnen sichtlich schwer, die Kraft aufzubringen und sich jemandem anzuvertrauen. Also gibt sie ihnen gute Tipps und Ratschläge wie sie mit der Situation umgehen sollten und versucht die passende Unterstützung, zum Beispiel in Form von Selbsthilfegruppen in der Nähe zu finden.

Mein Job dabei ist einfach: ich höre zu und nicke. Das klingt erstmal nicht spannend aber die Erzählungen der Frauen sind oft sehr heftig und was sie hauptsächlich brauchen, ist jemand, der ihnen zuhört und dem sie sich anvertrauen können. Oft handelt es sich nämlich um Frauen, die zuhause (durch ihren Ehemann, Brüder oder andere Familienmitglieder) unterdrückt und eingeschränkt werden, so dass ihr Selbstwertgefühl darunter leidet.

So, und jetzt sind wir eigentlich schon bei der Hauptaufgabe der Oficina de la Mujer: Frauen aus der Umgebung (vor allem aus den ländlichen Regionen) zu unterstützen, ihnen gegen die häusliche Unterdrückung zu helfen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Das geht zum Beispiel indem wir ihnen die Chance geben, eigene Projekte wie einen eigenen kleinen Laden, zu starten.

Den Frauen zuzuhören und ihnen Ratschläge zu geben ist aber nur ein Teil der Arbeit, wenn auch ein sehr wichtiger!

Auch ermöglicht es das Rathaus, dass wir kostenlose Kurse für Frauengruppen oder auch einzelne Frauen organisieren. Dabei gucken wir wie viel Geld uns zu Verfügung steht und wie viele Frauen teilnehmen können. Dann wird natürlich auch geschaut, was wichtig für die Frauen wäre. Wenn viele Frauen zu uns kommen und sich über einen schlecht laufenden Laden beschweren, Probleme bei der Geschäftsführung beklagen oder gar nicht erst wissen, wie sie mit der Eröffnung eines Schönheitssalons oder einer Schneiderei anfangen sollen, dann bietet sich an, einen Kurs über Administration und Geschäftsführung anzubieten.

Passende Experten werden eingeladen, Anmeldungen entgegengenommen und der Versammlungsraum in der Municipalidad (Rathaus) wird hergerichtet. Die Frauen die kommen, sind dankbar, denn sie haben oft kein Geld um einen teuren Kurs zu bezahlen. Viele der Frauen, die auf dem Land leben, haben es schwer, sich zu einem bestimmten Thema zu informieren und wissen auch nicht, an wen sie sich wenden können.

Die Kurse sind super schön, ich durfte z.B. gleich am Anfang einen wirklich interessanten Vortrag zum Thema Heil-und Medizinalpflanzen besuchen, um Fotos (unter anderem für die Facebookseite der Muni) zu schießen. Die Referentin hatte mehrere Pflänzchen in Blumentöpfen dabei, um den Frauen die Blätter und Blüten zu zeigen (mit den bloßen Namen können sie nämlich oft nicht viel anfangen, da sie ihnen auf dem Land andere Namen geben). Auch wurden Pflanzenteile zum Angucken, Anfassen und Probieren herumgereicht und ein Tee aus einer Blütenmischung ausgeschenkt.

Da nicht so viele Frauen teilnehmen können, herrscht immer eine entspannte Atmosphäre, alle kommen mal zu Wort und können auch eigene Erfahrungen austauschen.


Eine der Stationen in unserm Spiel: das Gericht

Auch sehr schön und interessant sind die Besuche in Einrichtungen wie Schulen oder Kindergärten, die wir manchmal machen, um mit den Lehrerinnen/ Erzieherinnen ein „Spiel“ zu spielen. Letzten Freitag waren wir in einem Kindergarten hier in San Ramón zu Besuch. Nachdem wir lieb begrüßt und herumgeführt worden sind, haben wir im Ess-und Spielzimmer das Spiel vorbereitet. Es geht dabei darum, dass die Frauen sich in die Rolle einer fiktiven Frau versetzen, der in irgendeiner Form Gewalt angetan wird. Sie bekommen eine Karte mit Details zum Leben dieser Person und entscheiden dann selbst, wie die Geschichte weitergeht. Dazu gibt es verschiedene Stationen wie Kirche, Nachbarschaft, Selbsthilfegruppe und auch Krankenhaus. Am Ende jeder Karte an den verschiedenen Stationen bekommen sie die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten, wo sie sich als nächsten hinbegeben können, um ihre Situation zu verbessern. Dies beeinflusst den Verlauf der Geschichte und so enden manche Frauen leider auch an einer Station mit einem kleinen, schwarzen geöffneten Sarg in dessen Mitte ein Spiegel liegt.


Eine andere Station: die Straße

Auch ich hab die Geschichten der Frauen einige Male durchgespielt und finde sie hart, aber realistisch. Wichtig ist, dass keine der Frauen im Moment in so einer Gewaltsituation steckt, das Spiel soll nur als Warnung dienen und zum Nachdenken anregen. Anschließend haben wir Kaffee getrunken und in einer lockeren Runde über die Erfahrungen und Gedanken der Erzieherinnen der letzten Stunde gesprochen. Dabei hat Sundry Tipps und Ratschläge gegeben, was in einer solchen Situation zu tun wäre und wie man vielleicht betroffenen Freunden helfen kann. Auch die Frauen lässt das Spiel nicht kalt, sie berichten von eigenen Erfahrungen mit Fällen von Bekannten, bei denen häusliche Gewalt im Spiel war und stellen viele Fragen. Nachdem wir das Spiel wieder eingepackt hatten, sind wir zurück gefahren.

Ihr seht, die Arbeit ist super spannend und vielfältig und auch ich lerne viel Neues dazu, es gibt jedoch auch Tage an denen hier im Büro nicht viel passiert. So habe ich heute nur ein paar Ordner sortiert und einige Arbeiten am Computer beendet, ein bisschen mit Sundry gequatscht und schließlich diesen Text hier geschrieben.

BlogNo:06

1 comment

Comment from: caro [Visitor]

Scheint echt interessant zu sein, was du im Büro machst, konnte mir noch nicht wirklich was darunter vorstellen.
Man bekommt ja leider als Freiwilliger auch selbst ab und zu von Gewaltsituationen oder noch häufiger vom “Machismo” etwas mit. Viele Frauen vom Land wissen auch gar nicht, dass es solche Institutionen oder Frauengruppen gibt, an die sie sich wenden können.

15-06-20 @ 16:16 Reply to this comment


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