Das grüne Monster

von sven_10  

Es streckt seine Arme auf vielfältige Weise nach dem aus, was der Mensch produziert hat. Schleichende biologische Kriegsführung. Sporen von Schimmelpilzen, Algen, Flechten und Moosen bilden die Vorhut. Es folgen Flugsamen schwachzehrender Pionierpflanzen, sie sind die Fallschirmjäger der Natur. Bei erfolgreicher Keimung und halbwegs günstigen Bedingungen beginnen sie das Einsatzgebiet zu besetzen und sich fast autark zu vermehren. Eingesetzt gegen den Willen des Menschen, die Natur zu unterjochen und zu beherrschen. Seine Errungenschaften zu zerstören und ihn eines Besseren zu belehren. Plastik schmeckt dem grünen Ungetüm nicht so gut, daran hat es lange zu kauen. Aber an Beton, Metall und bearbeitetem Holz findet es Gefallen.

So überzieht ein grüner Teppich die Mauern, die ersten Risse zeigen sich im Beton. Die enstehenden Nischen erlauben es Unkräutern, sich niederzulassen und das Zerstörungswerk in Slowmotion voranzutreiben. Pilze und deren Myzele richten unbemerkt und im Verborgenen erheblichen Schaden an. Feine weiße Fäden durchziehen die Holzbalken. Ist ihr Fruchtkörper erst einmal zu sehen, haben sie sich schon meterlang durch die Materie gearbeitet. Ameisen durchwühlen den Boden, lockern und durchlüften die Erde. Sie tragen Samen von Unkräutern ins Kampfgebiet, die aufgrund ihrer Vorarbeit auf günstige Bedingungen treffen.

Auch Schlingpflanzen finden schnell die entstanden Lücken in Beton und Holz und krallen sich mit starken Adventivwurzeln überall fest, wo nicht restauriert und zurückgeschnitten wird. Diese Kletterpflanzen ranken die Holzpfosten bis unters Dach empor und bilden natürliche Leitern für Termiten und andere im Kollektiv lebende Insekten. Die Späne, die diese beim Bearbeiten des Holzes produzieren, fallen zu Boden und verrotten zu einem nährstoffarmen Substrat. Ebenso werden Kadaver von Tieren und allerelei Insekten von den Organismen zu einem Nährboden zersetzt. Auf dem, was von ihnen übrig bleibt finden robuste Pionierpflanzen eine neue Heimat und beschleunigen den Zerfall der von Menschen eingesetzten Materialien.

Blätter fallen auf das Dach aus Wellblech und bleiben an den Nahtstellen hängen. Die Feuchtigkeit nach Regenfällen staut sich im Laub und trägt zum schnelleren Rosten des Bleches bei. Sind Löcher entstanden, rieselt das Regenwasser in die Station. Das Wasser der entstehenden Pfützen dringt in den Beton ein, durch die Feuchtigkeit breiten sich weitere Algen und Moose aus. Die Nachhut aus unterschiedlichsten Pflanzen und Organismen hat es nun wesentlich leichter. Ein Teufelskreis.

Ist das schützende Dach erst einmal eingefallen, ist der Kampf so gut wie gewonnen. Nun können Laub und Äste der umliegenden Bäume direkt auf den Boden der Station fallen. Es entsteht ein nährstoffreicheres Substrat, welches die Lebensgrundlage der nachfolgenden Baum- und Pflanzensamen bildet. Sind diese erfolgreich gekeimt, dringen sie mit ihren Wurzeln auch in die kleinste Spalte und brechen den Betonboden auseinander. Im Laufe der Jahre wird dieser regelrecht von den starken Wurzeln pulverisiert. Der Baum wächst weiter, wirft neues Laub und weitere Samen ab...

Das Zerstörungswerk dauert viele Jahre, doch das grüne Monster hat Geduld. Bis von der Station kein Krümel mehr übrig ist vergehen Jahrtausende, doch schon nach wenigen Jahrzehnten ist die Behausung unbrauchbar und müsste von Neuem errichtet werden. Daher wehren wir uns mit Messern, Besen und manchmal auch ein bisschen Chlor, um die Station zu erhalten. Diese kleine Nische brauchen wir nunmal, um erfolgreich Wiederaufforstung zu betreiben.

Es zeigt sich, dass die Natur sehr gute Selbstheilungsfähigkeiten und Regenerationskräfte besitzt (siehe neue Bundesländer). Doch ist ein Ökosystem erstmal zerstört, bleiben viele der Arten verschwunden und sterben unwiederbringlich aus.

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