Das Leben auf einer Guanábana

by 14 lennart


Guanábana (Annona muricata) mit fast reifer Frucht.

Die Guanábana (zu deutsch: Stachelannone) ist in Costa Rica eine beliebte Frucht, um daraus Erfrischungsgetränke (zusammen mit viel Zucker) herzustellen oder auch einfach so das Fruchtfleisch zu essen. Der Geschmack ist zwar säuerlich, aber durchaus sehr lecker. Guanábanas wachsen in vielen Gärten und an Wegesrändern; die Bäume werden normalerweise ca. 10 Meter hoch und produzieren im Jahr bis zu 24 Früchte, die durchschnittlich etwa 2 Kilo wiegen. Der Grund warum diese Früchte in Europa kaum bekannt sind, ist die Druckempfindlichkeit der reifen Früchte, aufgrund der sie sich nur schwer transportieren lassen und daher in der Regel nur lokal vermarktet werden. Eigentlich geht es in diesem Blog-Eintrag aber nicht direkt um die Guanábana…

Die Geschichte beginnt mit einem einzelnen Guanábana-Baum auf unserer Finca Lalo, wo wir regelmäßig zum Arbeiten unterwegs sind. Schon recht früh fiel uns auf, dass dort eine der Früchte bereits eine stattliche Größe erreicht hatte und wir beobachteten sie in den nächsten Wochen aufmerksam. Es dauerte lange bis wir endlich das Ok bekamen, dass die Frucht nun reif sei und wir sie herunter holen konnten. In der Tat sind diese Früchte wirklich weich und man kann sie problemlos mit dem blossen Finger eindrücken. Mittlerweile hatte sie eine beachtliche Größe von ca. 40 cm Länge und 25 cm Breite erreicht. Doch als die fette Beute dort nun auf unserem Küchentisch lag und sie von allen Seiten betrachtet wurde, bemerkte ich, dass wir hier mehr als nur die Frucht geerntet hatten.


Frisch geerntete Guanábana-Frucht.


Die Azteca-Arbeiterin versucht der winzigen Buckelzikaden-Larve einen Tropfen Honigtau zu entlocken.


Ein adulte Zikade (ca. 3-4 mm) aus der Familie Membracidae. Der Halsschild reicht bis nach hinten über die Flügel zurück. Die Tiere legen ihre Eier gerne in die Nähe von Ameisennester – in diesem Fall auf die Oberfläche der Guanábana-Frucht.


Von außen sind nur unscheinbare kleine Löcher in der Schale der Frucht zu sehen. Erst beim Öffnen zeigte sich, wohin diese Gänge führten.


Der gleiche Kern von innen: Am Eingang sind bereits die Puppenstadien der neuen Arbeiterinnen zu erkennen.


Noch in der geschlossenen Frucht wurden die Kerne von den Ameisen mit Eingängen versehen, ausgehöhlt und als Brutkammern genutzt.

Auf der Oberfläche der Frucht herrschte ein geschäftiges Treiben: Arbeiterinnen der Ameisengattung Azteca waren fleißig unterwegs und erschienen und verschwanden in kleinen Löchern, die in die weiche Frucht gegraben waren. Es dauerte ein bisschen, bis mir auffiel, warum die Ameisen so aufgeregt herum liefen. Nicht etwa, weil wir gerade offenbar ihr Heim vom Baum gepflückt hatten, sondern weil unsere Guanábana noch weiteren Bewohnern Unterkunft bot. Überall dort, wo sich kleine Ameisengrüppchen aggregierten, war eine kleine Larve zu finden, die von den Arbeiterinnen eifrig mit den Fühlern beträllert wurde, bis sie einen süßen Tropfen Honigtau absonderte, der sofort gierig aufgeleckt wurde. Obwohl dieses Verhalten doch sehr an das Zusammenleben von Ameisen und Blattläusen in Mitteleuropa erinnert, ist es doch eine andere Tiergruppe die bei dieser Beobachtung eine Rolle spielt.

In den Tropen Mittelamerikas werden Blattläuse in ihrer Rolle als Pflanzensaftsauger vielerorts von Zikaden ergänzt. Unter diesen nimmt die Familie Membracidae, zu deutsch Buckelzikaden oder -zirpen, eine besondere Rolle ein, da innerhalb dieser viele Arten Beziehungen (oft Symbiosen) mit Ameisen eingehen. Auf unserer Guanábana fanden sich auch einige bereits adulte Tiere dieser Familie, sodass sich die Identität der kleinen Larven schnell aufklärte. Bei den Membracidae ist der dominierendste Teil des Körpers der Halsschild, der oft den ganzen Körper überdeckt oder in auffällige Anhänge oder Hörner erweitert ist. Sobald die Zikaden mit ihrem Saugrüssel den Pflanzensaft einer Leitbahn in der Pflanze anzapfen, verfügen sie über mehr als genug Nahrung. Deshalb ist es ihnen möglich einen großen Teil des Saftes als Honigtau wieder abzusondern und potentiellen Beschützern, in den meisten Fällen Ameisen, zur Verfügung zu stellen. Ameisen sind bei der Nahrungssuche oft Opportunisten, doch wenn sich lohnenswerte Aggregationen der Zikaden finden, sind sie sich nicht zu schade, diese auch gegen deren Fressfeinde zu beschützen.

Um daher möglichst attraktiv auf Ameisen zu wirken, sammeln viele Arten der Buckelzirpen sich besonders bei der Eiablage und legen dann ihre Eier kollektiv in großen Mengen ab. Die frisch geschlüpften Larven bleiben dann möglichst dicht beieinander, um von den Ameisen besonders effektiv bewacht werden zu können und gleichzeitig eine attraktive Nahrungsquelle darzustellen.

Der Grund für die eifrige Aktivität der Ameisen auf der Frucht war nun also bekannt. Dennoch konnte ich mir nicht vorstellen warum Ameisen Gänge in eine reife Guanábana bauen sollten. Das Fruchtfleisch ist sehr weich, nass und klebrig – kein guter Ort für einen Ameisenbau, in dem es zumindest trockene, stabile Kammern geben sollte. Die Lösung für dieses Rätsel offebarte sich, als wir die Frucht aufschnitten, um an das leckere Fruchtfleisch zu kommen. Die Eingänge auf der Oberfläche führten in die Frucht hinein und endeten in den Kernen der Guanábana, die gar nicht so weit unter der Schale sitzen. Nahezu jeder Kern war von den Ameisen mit einem Eingang versehen und dann von innen ausgehöhlt worden. In den Kernen werden dann Larven und Puppen der neuen Arbeiterinnen herangezogen. Indem die Ameisen die, für den Menschen giftigen, Kerne im Inneren der sonst intakten Frucht aushöhlen, schaffen sie sich äußerst gut geschützte und versteckte Kammern um ihre Brut dort zu lagern und heranzuziehen – eine richtig clevere Herangehensweise, finde ich.

Vor allem die in den Tropen artenreiche Ameisengattung Azteca (über 140 Arten) ist für ihre vielfältige Nestgestaltung bekannt. Äußerlich sehen sich die verschiedenen Arten extrem ähnlich und die Arbeiterinnen sind nur mit sehr viel Aufwand zu unterscheiden. Anhand der Nestbauweise kann man aber schon sehr viel über die Artzugehörigkeit herausfinden. So werden Nester z.B. in Totholz, Bromelien, hohlen Stämme von Cecropia-Bäumen (Symbiose) oder eben auch Früchten und Samen angelegt. Jede Azteca-Art hat dabei ihre eigene Art und Weise der Nestgestaltung. Die Mehrzahl der Arten nutzt zur Ernährung ein enges Zusammenleben mit Blattläusen und Zikaden, wobei bisher nur schlecht erforscht ist, ob es in diesem Verhalten Unterschiede zwischen den einzelnen Arten gibt.

An diesem Nachmittag war ich wirklich beeindruckt, welche Bewohner und welches Zusammenleben sich auf dieser einen Guanábana abspielte – die für mich vorher nur eine einfache Frucht war. Einen leckeren Guanábana-Milchshake haben wir uns dann natürlich trotzdem draus gemacht.



Literatur:

Longino, J. T. 2007. A taxonomic review of the genus Azteca (Hymenoptera: Formicidae) in Costa Rica and a global revision of the aurita group.
Zootaxa. / Cordero, J.; Boshier, D. 2003. Árboles de Centroamérica: un manual para extensionistas. Forestry Research Programme. Centro Agronómico Tropical de Investigación y Enseñanza. Bib. Orton IICA / CATIE.









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