Politik in Costa Rica – Eindrücke aus dem Wahlkampf in Nicoya

von 15 andreas  



Über einen Zeitraum von ungefähr 3 Monaten (November - Januar) hatte ich die Gelegenheit den politischen Prozess in Costa Rica aus nächster Nähe zu beobachten. Die Municipalidades, gleichzusetzen mit einer Mischung aus Kommunal- und Landtagswahlen, standen an. Der zufällige Umstand, dass der Chef von Fedeagua, Wilmar, auch gleichzeitig der Gründer von Frente Amplio in Guanacaste ist, machte es mir möglich, den Wahlkampf hautnah mitzuerleben.

Frente Amplio ist eine relativ neue, linksgerichtete Partei, die sich unter anderem dem Schutz der Rechte von Arbeitern und Indigenen verschrieben hat, sich aber auch gegen die Privatisierung des öffentlichen Sektors und den Ausverkauf des Landes an multinationale Konzerne ausspricht. Da die Politik in Costa Rica seit jeher von Vetternwirtschaft und Traditionen, wie auch Religion geprägt ist, hat die Partei, vor allem im seit jeher von der neoliberalen und sehr konservervativen Partido Liberacion Nacional (PLN) geprägten Guanacaste, einen schweren Stand. Noch dazu hat sich seit der letzten Wahl ein neuer Mitspieler endgültig etabliert, die Partido Acción Ciudana, eine sozialdemokratische Partei, die auch Wähler aus der Zielgruppe von Frente Amplio anspricht.

Somit hat sich die politische Landschaft Costa Ricas in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich gewandelt, wenn man sich vor Augen führt, dass seit der zweiten Gründung des Staates, nach dem Bürgerkrieg 1948, quasi ein Zweiparteiensystem herrschte, bestehend aus der PLN und ihrem sozialchristlichen Gegenspieler, der Partido Unidad Social Cristiana (PUSC), die sich über die Jahrzehnte hinweg jeweils gegenseitig abwechselten. Zwar bauten sie einen Staat mit einem relativ gut funktionierenden Verwaltungsapparat inklusive einem im lateinamerikanischen Vergleich führenden Gesundheits- und Sozialsystem auf, allerdings häuften sich vor allem in den letzten Jahren Korruptionsskandale und der Wunsch nach Veränderung wurde laut.

Dieser äußerte sich unter anderem 2009 in der Gründung eines Ablegers von Frente Amplio in Nicoya, durch Wilmar, der auch Gründungsvater von Fedeagua ist. Da er sich schon seit 1990 mit der eigenen Organisation engagiert, unter anderem um die Lebensumstände von benachteiligten Familien und Gemeinden in Nicoya zu verbessern, lag die Idee nahe, den politischen Kampf aufzunehmen um so etwas auf größerer Ebene verändern zu können. Frente Amplio liegt in Bezug auf ideologische sowie politische Aspekte am nähesten an Fedeagua, so kam er nach einem Austausch mit der Parteiführung zusammen mit seiner Frau Suray und einem Unterstützerkreis von etwa 50 Personen zu dem Entschluss, das dies der bestmögliche Weg sei, um einen Wandel in Nicoya zu vollbringen.

Dieser gestaltet sich allerdings, wie die folgenden Jahre zeigten, nicht ganz einfach. Das hat, wie schon am Anfang kurz angesprochen, unter anderem mit der Gesellschaftsstruktur in Guanacaste zu tun. Der Teil des Landes wird schon seit dem 19. Jahrhundert von den Großgrundbesitzern und ihren Weidewirtschaften dominiert, denen er ursprünglich auch seinen Wohlstand zu verdanken hat. Diese alteingesessenen Familien dominieren einen Großteil der Wirtschaft, aber eben auch der Politik, viele sind Mitglieder in der PLN, die auch national einen großen Einfluss auf die Meinungsbildung innerhalb der Bevölkerung hat, vor allem durch Fernsehsender wie TeleTica, die sie teilweise kontrollieren.

Noch dazu kommt ein allgemeines Desinteresse für Politik, welches unter anderem durch die Ansicht entsteht, dass sie eine Sache „für die da oben“ sei, die sie bisher eben auch war, in dem sich die meist aus gehobenen Gesellschaftsschichten stammenden Politiker der zwei großen Parteien den Ball gegenseitig zuspielten. So herrscht die allgemeine Meinung, dass man durch die eigene Stimme nicht viel bewirken könne. Viele sind auch einfach zufrieden mit ihrer Situation und sehen nicht einmal die Verbesserungsmöglichkeiten, die bestehen - daher wählen sie die Partei, die sie oder ihre Familie schon immer gewählt haben, oder schlimmer, sie wählen gar nicht. (Die Wahlbeteiligung bei den Municipalidades liegt im nationalen Durchschnitt bei ungefähr 30%.)

Noch dazu kommt ein kurzes Gedächtnis was politische Skandale angeht. Ein Beispiel hierzu: Im Moment feiert ein PLN-Mann sein politisches Comeback, der aufgrund von Korruptionsanschuldigungen in die Schweiz geflohen ist und vor kurzem wieder nach Costa Rica zurückkam. 20 Jahre später, nachdem das Vergehen verjährt war. Außerdem sichert sich die PLN mit unfairen Methoden den Machterhalt, etwa indem sie in die ärmeren Gemeinden geht und die Leute durch finanziellen Anreize verbunden mit Versprechungen an die Wahltische lockt. Düstere Aussichten also, möchte man meinen.

Allerdings ist aller Anfang immer schwer, also hat man sich nicht abschrecken lassen, und damit begonnen, Menschen, am Anfang vor allem Familie und Freunde, von der eigenen Sache zu begeistern. Eine Anekdote hierzu: Bei den Municipalidades 2010, an denen Frente Amplio in Nicoya teilnahm, haben in dem größten Viertel von Nicoya, San Martin, gerade einmal drei Leute für die Partei gestimmt, einer davon war William Allen, unser Vorgesetzter. Seitdem hat sich viel getan: Die Parteibasis wuchs auf etwa 100 Leute an, die auch, zumindest teilweise, regelmäßig zu den Reunionen erscheinen, um über die zukünftige Ausrichtung des eigenen Ablegers der Partei zu debattieren. Eine Jugendorganisation mit gut einem Dutzend aktiver Mitglieder wurde gegründet, die regelmäßig Aktionen in Nicoya organisiert und auch sonst hilft wo sie kann.

Außerdem bietet Fedeagua einmal alle drei Monate eine Plattform für die Escuela de Formacion Politica (Schule für politische Bildung), eine Veranstaltung bei der ein wechselndes Publikum unter anderem über ihre rechtlichen Möglichkeiten, beispielsweise die legalen Papiere ihres Grundbesitzes betreffend, aufklärt. Auch grundlegende Theorien wie etwa ökonomische Modele werden behandelt, dazu wurde schon mehrfach der national bekannte Professor Jose Merino eingeladen und gehört.

Der Wahlkampf um die Municipalidades 2016 stand ganz im Zeichen dieser Entwicklungen: Nicoya Florece (Nicoya floriert). Es herrschte eine Aufbruchsstimmung, die auch uns ergriff, so verfolgten wir interessiert den ganzen Prozess, von der Herstellung der, wie sie hier sagen, Propagandamaterialien, wie etwa Fahnen und Plakate, über die Präsenz in sozialen Netzwerken im Internet bis zu Parteiveranstaltungen in Nicoya.



Aus den Beobachtungen ließ sich schlussfolgern, dass die Wahlkampftaktik aus mehreren, sehr unterschiedlichen Strategien bestand. Einerseits wurde klassisch auf die Präsenz im öffentlichen Raum gesetzt, dazu gehörten Fahnen, die hauptsächlich in Vorgärten von gleichgesinnten Parteigenossen aufgestellt wurden. Zusätzlich wurden riesige Plakate von Hausdächern im Zentrum von Nicoya herabgelassen und auch sonst an jedem erdenklichen Ort in der Umgebung.

So weit so unspektakulär. Die anderen Parteien betrieben genau das gleiche Spiel, dabei wurde wenig auf Inhalte gesetzt, wie man es bei uns gewohnt ist, sondern vor allem auf Wiedererkennungskraft. Etwa indem man das bekannte Gesicht von Wilmar übergroß abdruckte oder das sofort ins Auge fallende Gelb, die offizielle Parteifarbe von FA überall zu sehen war. Interessanter war die hauseigene Socialmedia–Kampagne, für die eigens Fachpersonal aus Mexiko angeheuert wurde. Das Team, eine sehr spezielle Mischung aus einem Grafikdesigner, einem Fotografen sowie Dokumentarfilmer, einer Socialmedia–Expertin, die ursprünglich Jura studiert hatte und einer Netzwerkerin, die eine große soziale Kompetenz aufweisen konnte und das Team quasi im Handumdrehen in ganz Nicoya bekannt machte und integrierte, wurde über ein internationales, linksgerichtetes Netzwerk rekrutiert.

Für die Kosten kam überraschenderweise der Staat Costa Rica auf, der jeder Partei ein gewisses Budget für den Wahlkampf zuteilt. Die Kosten der restlichen Kampagne allerdings wurden hauptsächlich über Spenden und eigene Mittel finanziert, umso größer wog die Arbeit, die dieses so außergewöhnliche Team leistete. Dazu gehörte vor Allem die Produktion schöner Bilder und großer Botschaften, bei der sie auch ganze Arbeit leisteten. Wer will, kann sich auf Facebook selbst ein Bild davon machen, ich werde den Link am Ende des Eintrags einfügen. x_x_x Außerdem wurden auf der Facebook–Seite Nachrichten über unterschiedliche Problematiken in Guanacaste, Stimmungsbilder innerhalb der Bevölkerung und Informationen über eigene Veranstaltungen gepostet. Die Seite kommt bis Heute immerhin auf über 2300 Likes, nach nicht einmal 4 Monaten.

Zum Vergleich: Die PLN kommt nach über fünf Jahre auf gerade einmal 7300 Likes auf ihrer offiziellen Seite. Natürlich lässt sich die Auswirkung dieses Auftritts im Internet auf das konkrete Wahlergebnis nur schwer messen, die hohe Anzahl an Likes in einer so kurzen Zeit zeigen aber deutlich, dass man viele Leute erreichen konnte. Signifikant, wenn auch vielleicht nur bloßer Zufall, ist, dass am Wahltag in etwa dieselbe Anzahl an Personen ihr Kreuzchen bei Frente Amplio gemacht haben: knapp 2200. Doch zur Auswertung des Ergebnisses komme ich später. Die wahrscheinlich effektivste Methode, Stimmen zu gewinnen war wohl, von Haus zu Haus zu gehen und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, unter dem Vorwand einen Infozettel der Partei zu verteilen. Dafür opferte sich die Parteijugend regelrecht auf. Bei Temperaturen bis zu 40 Grad Celsius machten sie über knapp einen Monat vor der Wahl jeden Tag einen Rundgang in unterschiedlichen Vierteln von Nicoya, um die Bewohner, oft auch bei einer Tasse Kaffee, von den Zielen der Partei wie etwa einer größeren Partizipation der einfachen Leute an der Politik und den ganz konkreten Verbesserungsmöglichkeiten für ihr alltägliches Leben, wie etwa eine bessere Müllabfuhr, zu überzeugen.



Oft gestaltete sich dies schwer bis nahezu unmöglich, da der Großteil der Menschen hier, wie oben beschrieben, nach Tradition und nicht nach Inhalten wählt. Ab und zu waren die Leute aber auch offen für die neuen Ideen und hörten sich wohlwollend an, was die Jugend zu erzählen hatte. Diese Strategie ließ einen Teil der Jugend sogar schon glauben, dass die Wahl gewonnen sei, da sich so viele positiv über die Vorhaben der Partei äußerten. Diese Überzeugung lässt sich im Nachhinein aber eher dem chronischen Optimismus junger Leute, als einer realistischen Einschätzung zurechnen Denn zwischen einer Äußerung und einer Wahlentscheidung liegt eine Menge, wie sich herausstellen sollte.

Das Wahlergebnis war für viele ernüchternd, da sich eindeutig mehr von den Anstrengungen erhofft wurde. Im Kanton Nicoya erkämpfte man sich zwölf Prozent der Stimmen, im eigenen Distrikt Nicoya sogar nur acht. Immerhin kann man nun einen Regidor stellen, und zwar niemand anderes als William Allen, der regelmäßig die eigene Stimme in Abstimmungen über Projekte miteinbringen, und somit zumindest eine kleine Opposition zu der alternativlosen Politik von PLN und PUSC stellen kann.

Wenn man das Ergebnis jedoch im historischen Rahmen betrachtet, stellt man fest, dass 2200 Stimmen einen großen Fortschritt darstellen, 2010 wurde Frente Amplio in Nicoya in den Ergebnissen nicht einmal aufgelistet. So wurden auch letzten Sonntag, an dem sich die Parteibasis für eine Evaluierung des Wahlergebnisses versammelte, vor allem die Errungenschaften der letzten Monate hervorgehoben, wenn auch nicht ohne ein wenig Kritik an dem eigenen Vorgehenzu üben.

Zu den positiven Botschaften gehörte, dass man es geschafft hat, viele Nichtwähler zu motivieren und so die Partizipation insgesamt erhöht hat, was einen Gewinn für die Demokratie darstellt. Außerdem habe man die Partei mit dem Ergebnis auf die politische Landkarte in Nicoya gesetzt, sie sei nun nicht mehr wegzudenken. Auch über die Tatkraft der eigenen Jugendorganisation äußerte man sich sehr stolz. Man habe einige der klügsten Köpfe für sich gewinnen können, die dazu in der Lage seien, die politische Zukunft des Landes zu gestalten.

Abschlüssig ließ man Revue passieren, wie damals, 2009, alles anfing. Mit einer Idee von Wilmar Matarrita und Suray Carillo sich neu auszurichten und den politischen Kampf aufzunehmen, um etwas auf größerer Ebene verändern zu können. Allerdings gestand man sich neben dieser Laudatio auf die eigenen Leistungen auch eigene Fehler ein. Dazu gehörte, die bei den Hausbesuchen für sich gewonnenen Menschen nicht noch einmal kurz vor der Wahl anzusprechen und so zu mobilisieren. Denn wie es scheint sind viele von ihnen trotz all der Bemühungen zu Hause geblieben.

Auch über die Organisation der Kampagne an sich wurde viel Kritik geäußert, alles sei zu planlos, zu willkürlich, zu unstrukturiert verlaufen. Die so begrenzten Mittel hätten besser verwaltet werden, die unterschiedlichen Strategien besser aufeinander abgestimmt werden sollen. So blieb an diesem Tag ein gemischtes Gefühl für die Anwesenden, einerseits der Stolz über das Erreichte, andererseits die Enttäuschung über das relativ wirkungslose Ergebnis.

Auch ich war vor Ort und verfolgte das Geschehen. Währenddessen hatte ich einen Gedanken, bzw. Kritikpunkt im Kopf, der mich während meiner Beobachtungen des Wahlkampfes über die Monate öfters begleitete, von den Anwesenden wurde er allerdings nicht ausgesprochen. Auch wenn einige vielleicht ähnliches dachten. Und zwar das Fehlen von Inhalten: An einem Abend, ungefähr zwei Wochen vor dem Wahltag, saßen wir hier in Fedeagua und diskutierten mit William und einem Freund aus der Partei über die Strategie der Parteiführung. Es war offensichtlich, dass auf ein „Light“ - Rezept gebaut wurde. Der Schwerpunkt lag in der Produktion schöner Bilder und Videos, unterlegt mit Melodien die einen ans Radio erinnern und oft einem Text bzw. Redebeitrag, der nicht gerade als politisch – kämpferisch zu beschreiben ist. Dazu kamen einige öffentlichkeitswirksame Aktionen wie etwa ein Marsch durch die Innenstadt Nicoyas.

Das Prinzip dahinter war Präsenz zu zeigen, vor allem in Form von Willmar, der einen gewissen Bekanntheitsgrad hat und in einigen Teilen der Bevölkerung Nicoyas sehr populär ist. Ab und zu wurde eine Brise Politik eingestreut, aber ja nicht zu viel, einerseits um die vermeintlich desinteressierte Bevölkerung nicht zu überfordern, andererseits um keine Ressentiments, etwa gegen die sozialistische Prägung der Partei zu erwecken. Ich hatte von Anfang an meine Zweifel ob solch eine Strategie die richtige ist, allerdings sind mir die gegebenen Umstände natürlich nicht vertraut und dadurch bin ich nicht in der Position, Verbesserungsvorschläge zu geben, schon gar nicht als Weltwärts–Freiwilliger. Aber ich habe zumindest versucht, mir ein Bild über das politische Interesse hierzulande zu machen, indem ich mich mit Leuten von außerhalb unterhielt.

Das Bild das ich bekam, welches natürlich ein sehr subjektives ist, sprach in Teilen für, in Teilen gegen die Strategie von Frente Amplio in Nicoya. Zwar ist das Bewusstsein der Leute darüber, mit einer Wahl etwas verändern zu können, noch nicht wirklich da, was auch an der politischen Historie liegt, wie ich schon anfangs beschrieben habe. Dies macht es schwierig Leute überhaupt von irgendetwas zu überzeugen, was sich von ihrer bisherigen Meinung unterscheidet. Wenn man es allerdings nicht einmal versucht, aus Angst davor man könnte die Leute überfordern oder verschrecken, und man sich oberflächlich kaum von den anderen Parteien unterscheidet, welches Argument spricht dann für ein Kreuzchen bei den vermeintlich nicht anderen?

BlogNo:03

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