Über die Scham Bäuerin zu sein – Ein Denkanstoß

von 16 sabrina  

„Die Bäuerin kommt mal wieder nicht mit feiern, weil sie ihren Eltern bei der Arbeit helfen muss“, sagen sie hinter meinem Rücken, während sie an ihrem Superfood-Smoothie mit Chia-Samen aus Peru nuckeln und in ihren Sandalen von Primark zur Uni-Mensa stolzieren. Junge Frauen, in deren Augen die Arbeit auf dem Land minderwertig, verachtenswert und primitiv ist. Etwas für das man sich schämen sollte?

Die Externalisierungsgesellschaft
„Wir sind ja irgendwie ganz stolz, dass wir keine agrarische Gesellschaft sind.“ stellt Stephan Lessenich, Leiter des Lehrstuhls für Soziologie an der Münchener LMU in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung fest. Lessenich prägte den Begriff der Externalisierungsgesellschaft und meint damit, dass insbesondere die Gesellschaften der nördlichen Hemisphäre auf Kosten von Menschen in südlichen Weltregionen leben. Das betrifft beispielsweise die Produktion von Kleidung oder Lebensmitteln. Damals, in Zeiten, an die ich mich selbst nicht mehr erinnern kann, war es normal, sich mit dem eigenen Stück Land und einigen Nutztieren selbst zu versorgen. Im Jahr 1975 wurden nahezu eine Million landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaftet. 40 Jahre später sind es nicht einmal mehr ein Drittel (Quelle: statista, Stand: 2015). Der Großteil der Deutschen ist im Tertiärsektor, dem sogenannten Dienstleistungssektor beschäftigt. Aber wer stellt dann unser täglich Brot her?

Beispiel Ananas
Auf meinem Weg von San José nach Puerto Jiménz wandern meine Augen an endlosen Ananasfeldern und Palmölplantagen entlang. Stundenlang Monokulturen. Ich erinnere mich an eine costaricanische Frau, die in einem Workshop davon berichtete, dass das Wasser in ihrer Heimat durch den Anbau von Ananas so sehr von Pestiziden vergiftet ist, dass täglich ein Tanklaster trinkbares Wasser liefern muss. Ein Abnehmer der exotischen Früchte ist Lidl. In einer kürzlich veröffentlichen Studie zu den Umwelt- und Produktionsbedingungen der Ananas in Costa Rica beschreiben Arbeiter und Arbeiterinnen die sklavenähnlichen Bedingungen auf den Plantagen (Quelle: arca, Stand 2016). Und wir Deutschen? Wir sind „ganz stolz“ darauf, dass wir uns die Hände nicht schmutzig machen müssen.

Wieder zurück in alte Zeiten?
Und doch gibt es einen Trend, der womöglich auch mit den Lebensmittelskandalen der letzten Jahre zu tun hat (Dioxin in Eiern, Arsen in Reiswaffeln, Gelatine im Apfelsaft). Die Zauberwörter dieser Bewegung: Urban Gardening, solidarische Landwirtschaft home-grown-food. Eben einfach die selbstbestimmte Produktion eigener Lebensmittel. In meinen Augen wird genau das immer wichtiger, um südliche Regionen zu entlasten. Selbst wenn es nur ein kleines Kräutertöpfchen auf dem Balkon ist. Mal ganz davon abgesehen ist es ein wunderbares Gefühl, wenn man in der Küche herumwirbelt, seine Lieblingspasta kocht und sie mit selbstgezogenen Tomaten verfeinern kann.

Denjenigen, die weder Zeit noch Raum haben, kann ich nur raten: Macht euch beispielsweise bei Landwirten schlau, an welchen Streuobstwiesen ihr euch bedienen könnt. Da sich der Verkauf von Fallobst leider oft nicht lohnt und viel Arbeit bedeutet, verderben jeden Herbst Tonnen von Äpfeln, Pflaumen und Walnüsse. Meistens sogar Sorten, die ihr in keinem Supermarkt kaufen könnt. Das ist hipp, gesund, regional und spart noch dazu bares Geld.

Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen?
Eine ganz andere Sache ist natürlich auch die Frage nach der generellen Wertschätzung, die wir guten und regionalen Lebensmitteln entgegenbringen. Teuer in den Urlaub fahren, aber Discounter-Milch kaufen, ist für viele kein Widerspruch. Dennoch steuert genau dieses preisorientierte Konsumverhalten dem entgegen, was Lessenich als Externalisierungsgesellschaft beschreibt. Kann ein deutscher Landwirt diesem Preisdruck nicht mehr standhalten, wird die Milch eben von dort bezogen, wo sie für einen Bruchteil produziert werden kann. Das wiederrum geht einher mit Ausbeutung und Pestizidbelastung. Es liegt in unserer Hand, darüber zu entscheiden, ob wir das wirklich wollen.

Ich jedenfalls schäme mich keineswegs dafür, dass ich weiß, wo das Korn in unserem Brot wächst und bin stolz darauf zu wissen, was gute Milch wert ist.

BlogNo:03

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