Ein Kinobesuch der etwas anderen Art

von 16 paulina  

Im Rahmen eines ziemlich coolen Kinoprojekts organisiert das Zentrum für städtische Nachhaltigkeit („Centro Para La Sostenibilidad Urbana“) mit einem lokalen Kino „Cineforo“ unter einem zwei Monate andauernden Motto, diesmal „Octubre Urbano“, Vorträge, Exkursionen, als auch Filmabende mit einer gewissen Message. So habe ich mich an jenem regnerischen Abend nach der Arbeit mit bescheidenen Erwartungen auf den Weg ins Cineforo gemacht, um mir den Film „waste land“ anzuschauen.

Zuvor haben die Organisatoren uns Zuschauer zu einer kleinen Gesprächsrunde bei herzhaftem Kaffee und Kuchen im anliegenden Café eingeladen. Dessen Besitzer präsentierte uns stolz die Entstehungsgeschichte seines einzigartigen Kaffees mit costaricanischer Note.

Bis dahin habe ich auch schon Fabiola kennengelernt, meine erste Tica-Freundin, um die ich sehr dankbar war, da ich ohne Sie an diesem Abend wohl das eine oder andere Missverständnis mehr hätte über mich ergehen lassen müssen.

Im Kinosaal angekommen, wurde vorher nochmal eine Einleitungsrede zum Film gehalten, die grob den Kontext und die Produktion umfasst hat.

Was mich allerdings ziemlich erstaunt hat, was ich so noch nie erlebt habe, war die Tatsache, dass im Anschluss an den Film, mehrere wichtige Persönlichkeiten nach vorne gebeten wurden, um eine Diskussionsrunde zum benannten Thema zu eröffnen.
Dabei hat es sich einerseits um den Filmregisseur gehandelt und andererseits um Experten aus den Bereichen Kunst, Soziale Arbeit oder Umweltmanagement, die ihre Gedanken zum Film mit dem Publikum geteilt haben und sogar mehr: Wider meiner Erwarten, hat sich von einer Sekunde auf die andere die einst einseitige Exposition der Geladenen in eine zu tiefst interessante und fruchtbare Konversation zwischen allen Beteiligten entwickelt.

Es war deshalb so faszinierend für mich, weil ich es mir zu erkennen gegeben hat, dass jeder Stimme dieses Raums seine ganz eigene Bedeutung zugeschrieben wurde, die mit Respekt zu zollen war. Anders formuliert: Ich, 19-jähriges noch relativ unwissendes Mädchen, durfte genauso meine Meinung äußern, meine Fragen stellen und noch viel mehr, ganz neue Ideen anbringen, die wohl in den Köpfen der viel-beschäftigten Spezialisten eher untergegangen wären. Mir wurde klar, dass ich in Deutschland noch nie zuvor von Veranstaltungen wie dieser mitbekommen habe, wo jeder einzelne am Thema Interessierte, unabhängig von Alter oder Lebenslauf, herzlichst eingeladen wäre seine Gedanken auszutauschen, um gemeinsam einen kleinen Beitrag für die Verbesserung unserer Lebensverhältnisse zu leisten.

Klar, ich habe leider nur maximal 30% aus dem Gesagten mitnehmen können, da die Sprachbarriere noch leider etwas hoch stand, aber das bloße Beobachten der für mich so ungewöhnlichen Situation, in der ich mich befand, ließ bei mir die Frage aufkommen: „Wieso passiert in Deutschland so viel hinter verschlossenen Türen? Weshalb können nicht Experten mit Nicht-Experten zusammenkommen und einander bereichern, wenn doch ein gemeinsames Interesse besteht? Muss man sich in jedem Fachbereich erst einen Status erarbeiten, um als vollwertiger Charakter betrachten werden zu können, wenn doch eigentlich jede Hilfe gebraucht wir für eine bessere Welt?“ Kein Wunder, dass sich in generell gesprochen eine so enorme Maße an Menschen aus politischen Angelegenheiten heraushält, wenn uns doch das Gefühl gegeben wird, nicht jede Stimme und Mitsprache hätte gleichen Wert.

Genau das hat mir auch der Film „waste land“ reflektiert: Ich kann mich nicht dran erinnern, wann mich ein Film das letzte Mal derart berührt hat, ja förmlich meinen ganzen Körper vereinnahmt hat. Die Message war einfach umwerfend schön, inspirierend, lehrreich…

Ich bemühe mich die Storyline so nachvollziehbar wie es geht zusammenzufassen, was mir nicht leicht fällt, da ich sie mir kurioserweise eher/hauptsächlich in Bildern gemerkt habe:
Wir haben mehrere Protagonisten und grob betrachtet zwei Welten, die aufeinandertreffen. Auf der einen Seite arme, verzweifelte, aber hoffnungsvolle Menschen, die auf riesigen Müllanlagen Brasiliens in meterhohen Bergen von Recycling-Müll arbeiten. Ambitioniert suchen sie Papierfetzen, Plastikstücke oder leere Dosen heraus, sammeln sie auf und sortieren das Wertlose, das bald wieder an Wert gewinnen soll.

Auf der anderen Seite kommt ein Künstler ins Spiel, der ebenfalls Brasilien seine Heimat nennen kann, in einem Armenviertel von hingebungsvoll arbeitenden Eltern und Großeltern aufgezogen, welches sich (gerade) Dank solcher Leute heute zu einer Gegend der Mittelklasse entwickelt hat. Sein Ziel war es schon lange nicht mehr ausschließlich der privilegierten westlichen Welt seine Werke erwerbbar zu machen; Er wollte daran arbeiten, die Bereicherung von Menschen in ganz neuen Ecken der Erde geschehen zu lassen. Nichts Geringeres als sein Handwerk mit sozialem Engagement zu verbinden, war sein Ziel.

In diesem bestimmten Projekt hatte er sich vorgenommen andere Menschen Teil werden zu lassen von etwas Großartigem, das wohl vollkommen aus deren Alltag herausgerissen ist, was aber gleichzeitig aus derjenigen Materie aufgebaut ist, mit der diese Menschen Tag täglich zu tun haben; Die sie von allen Seiten umringt; Die sie handhaben können wie selten jemand.
Der Künstler sollte bei der ganzen Sache überraschenderweise nur eine Nebenrolle spielen. Er war lediglich dafür bestimmt die Idee des Projekts zu entwickeln und zwischendurch immer mal wieder Beispiele für mögliche Richtungen zu geben. Die eigentliche künstlerische Hauptarbeit sollte jedoch von Seiten der Arbeiter der Müllanlagen kommen, die aus dem Müll, der Ihnen zu schaffen macht, etwas kreieren, worauf sie nicht bloß stolz sein können, sondern, das ihnen potenziell ein neues Lebensgefühl verleiht, ihnen Türen öffnet, die sie vorher als für immer verriegelt ansahen. Dieses Schaffen, so er Künstler, sollte eine Reflektion der Geschichte, des Seelenlebens jedes Einzelnen darstellen und zwar in einer Form und einem Ausmaß, das jedem einzelnen Akteur selbst überlassen war.
Die scheinbare Misere des Alltags wird in meinen Augen mit genau dem selben Mittel, der Misere, also dem Müll selbst, in ein Glück übersetzt, welches nicht nur auf materieller Ebene, sondern vor allen Dingen auf spiritueller Ebene in seinem Glücksgehalt bezüglich ihrer räumlichen und zeitlichen Verfügbarkeit alles bisherige an Misere übertrifft oder zumindest das Potenzial besitzt Letzteres zu mindern. Ein Satz, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist, kam vom ältesten und wohl erfahrensten Müllsammler, der seinen Job so stolz und hingebungsvoll wie kein anderer verrichtete: “Neunundneunzig ist nicht gleich hundert!“

Man halte sich dies stets vor Augen, wenn man fälschlicherweise denkt, das insignifikante letzte Teil vom Ganzen zu sein. Wer kann, schaut bitte diesen unfassbar gut gemachten Film an, Gänsehaut inklusive!

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