Nachts im Korridor – Immer auf der Hut

von 16 lennard  

Nach dem alltäglichen Fußballspiel bis zum Einbruch der Dunkelheit sitze ich mit ein paar Leuten in der Pulperia im Dorf und unterhalte mich noch eine halbe Stunde mit ihnen. Ich bin allein in der Pulperia, von unserm Team ist sonst keine/r dabei..

Gegen halb 7, es ist bereits stockfinster und nur der Vollmond beleuchtet die Umgebung ein bisschen, mache ich mich dann gemeinsam mit Andrey, der unser nächster Nachbar ist obwohl er 200m entfernt wohnt, auf den Weg zur Station.

Nachts ist hier niemand ohne Taschenlampen unterwegs, da hier am Rande des Carara-Nationalparks einige Tiere unterwegs sind, denen man lieber nicht unvorbereitet begegnet. Während viele Dorfbewohner tatsächlich besonders Angst vor dem Jaguar haben, von dem es hier angeblich einige Exemplare gibt, mache ich mir deutlich mehr Sorgen wegen den Schlangen. Von denen leben bei uns nämlich einige sehr ungemütliche Arten. Insbesondere die Terciopelo-Lanzenotter (Bothrops Asper) ist gefürchtet als die gefährlichste Schlange Costa Ricas. Auf das Konto der sogenannten „costaricanischen Landmine“ gehen über 60% der Schlangenbisse Costa Ricas und ein noch höherer Prozentsatz der Todesfälle.

Auch bei uns in der Umgebung sind Fälle bekannt, wo Menschen Gliedmaßen fast oder tatsächlich nach einem Biss dieser Schlange verloren haben und die Großmutter von Noemy, bei der wir jeden Morgen frühstücken, ist sogar daran gestorben.

Während dem Anfangsseminar vor sechs Monaten hier im Korridor, haben zwei von uns Freiwilligen gemeinsam mit Andrey auf dem Heimweg Bekanntschaft mit einem über einem Meter großen Terciopelo-Exemplar gemacht. Ein Bewohner El Surs tötete die Schlange damals und die Freiwilligen brachten die Schlange danach in die Station, um uns auf die Gefahr aufmerksam zu machen.

Wie das dann so ist, geht man die nächsten 10 Male übervorsichtig und super langsam in der Dunkelheit den Weg zur Station aber irgendwann lässt die Vorsicht auch ein bisschen nach, solange bis wieder etwas passiert. Dieses Ereignis hat aber trotz allem dafür gesorgt, dass ich nie wieder nachts ohne Taschenlampe unterwegs war und stets meine Augen auf den Boden vor mir richte.

So auch heute. Gemeinsam mit Andrey fühle ich mich stets sicherer als allein, da vier Augen bekanntlich mehr als zwei sehen. Gemächlich laufen wir den Weg in Richtung Station ohne dass etwas ungewöhnliches passiert, bis er rechts abbiegt und den Weg zu seinem Haus hinaufstapft.

Den letzten Teil muss ich also alleine gehen. Ich gehe langsam und fokussiert weiter, schaue insbesondere beim letzten Bach genauer nach Schlangen und überquere die Brücke, bis es nur noch 50 Meter bis zur Station sind, in der uns ein Schlangenzaun ein wenig vor der Gefahr schützt auch wenn sein Zustand zu wünschen übrig lässt.

Plötzlich sehe ich etwas ausgestreckt über den Weg liegen. Wie immer in dieser Situation steigt mir blitzartig jede Menge Adrenalin in den Körper und meine Beine beginnen ganz leicht zu zittern obwohl ich weit genug entfernt bin und die Schlange nicht größer als 70cm ist und ganz ruhig da liegt. Ich schaue genauer hin. Fehlalarm. Diesen Typ Schlange kenne ich, sie ist die häufigste hier. Klein, schwarz mit braunen Dreiecken, dadurch der Terciopelo recht ähnlich aber völlig ungefährlich. Erleichtert gehe ich links vorbei und komme mir vor wie im falschen Film: Keine 10 Meter weiter entdecke ich die nächste Schlange. Ich habe noch nie zwei Schlangen auf dem Weg in die Station gesehen und jetzt gleich innerhalb von 10 Metern. Diesmal erkenne ich auch das unverkennbare weiße X-Muster auf dem dunklen Körper. Es ist eine Terciopelo, die schätzungsweise 50cm groß ist. Sie ist also längst noch nicht ausgewachsen, was sie aber nicht minder gefährlich macht, da die Jungschlangen ihr Gift noch nicht richtig zu dosieren wissen und deshalb gleich die volle Dröhnung Gift bei einem Biss injizieren.

Mir ist klar, dass ich die Schlange töten muss, da sie sonst ein Sicherheitsrisiko für uns darstellt so nahe bei der Station. Ich komme aber vom Fußballspielen und habe nichts dabei, was ich als Waffe verwenden könnte.


Getötete Schlange

Ich laufe also mit gebührendem Abstand an der Terciopelo vorbei und hole einen langen Spaten und die anderen Freiwilligen zum Leuchten dazu. Die Schlange hat sich nicht weiter bewegt, Anna leuchtet mir und ich töte sie mit einem Spatenstich direkt hinter dem Kopf. Es ist ein hässliches Gefühl, ein in diesem Moment wehrloses Tier zu töten aber lieber so als andersrum. Den Leichnam werfe ich mit dem Spaten möglichst weit ins Gestrüpp am Rande des Weges, wo er wieder in den Nahrungskreislauf eingehen kann als Nahrung zahlreicher Aasfresser.

In der Station bin ich dann vor allem froh, dass ich die Terciopelo frühzeitig gesehen habe und mir ist wieder bewusst geworden, dass man die Vorsicht niemals aufgeben darf und auch nach einem halben Jahr hier nachts immer auf der Hut seien muss.

Zum Weiterlesen:

Schlangenstunde, Marleen

iMiran las culebras!, Christian

Kreatur zwischen Verachtung und Verehrung, Nawid

BlogNo:04

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