Bis an seine Grenzen gehen

von 16 isabella  



Der Anblick ist gigantisch, atemberaubend. Ich traue meinen Augen kaum. Diese Schöhnheit von Natur. Die Stille. Mir steigen Tränen in die Augen und ich kann absolut nichts dagegen tun. Meine Knie zittern vor Anstrengung.

Das Hungergefühl ist schon längst überschritten und mein Magen besteht mittlerweile nur noch aus einem gigantischen schwarzen Loch. Meine Hände sind spröde und trocken, mein Gesicht von der Sonne verbrannt. Meine Haare total verfilzt vom Wind. Ich schaue an mir runter und entdecke viele kleine Schrammen an Armen und Beinen. Die ursprungliche Farbe meiner Hose ist nur noch an den Stellen zu erkennen, wo ich nicht hingefallen oder abgerutscht bin. An meinem rechten Schuh fehlt ein Stück der Sole und auch mein Pulli trägt einige Spuren der letzten Stunden.









Vor mir erstreckt sich die höchste Erhebung zwischen den Vulkanen Guatemalas und den Anden. Der Chirripo - stolz steht er da, mit seinen 3.820 Metern.

Während den vergangenen 12 Stunden habe ich auf genau diesen befreienden Anblick gewartet. Nach einer Höllen-Wanderung durch die letzte Nacht und den gesamten Vormittag ist das Ziel endlich in Sicht. Jetzt kann es nicht mehr weit sein. Von dem Pass aus sehe ich den Gipfel, der vermutlich eine weitere Stunde entfernt sein wird. Doch im Verhältnis zu dem Weg, welchen wir schon gemeistert haben erscheint mir diese Strecke als lächerlich. Ich sehe den steilen Anstieg auf dem letzten Kilometer vor mir doch bin hoch motiviert.

Ein Teil der Gruppe wartet am Fuß des Berges und die anderen sind noch ein paar hundert Meter hinter mir. Also stehe ich da alleinen vor diesem gigantischen Berg und kann meine Situation immer noch nicht ganz begreifen. Gänsehaut überströmt meinen gesamten Körper und in diesem Moment bin ich mir zu 100 Prozent sicher, dass sich die ganzen Anstrengungen der letzten Stunden gelohnt haben. Noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich so ein befreiendes Gefühl als ich da so alleine vor dem Chirripo stehe. Um mich herum nichts ausser karger Felsen, vereinzelnte Büsche, etwas weiter entfernt ein strahlend blauer See und die tiefen Wolken, welche so nahe sind. Ich fühle mich alleine auf dieser großen weiten Welt. Mir wird bewusst, wie unwichtig der einzelne Mensch im Vergleich zu Mutter Natur ist und ich fuehle mich sehr klein und sinnlos. Wir haben kein Recht dazu, die Erde als unseres zu bezeichnen, sie auszubeuten und zu verseuchen. Gleichzeitig denke ich daran, dass alles seinen Weg finden wird und die Natur sich frueher oder spater alles zurueckholen wird.

Naja und jetzt stehe ich da kurz vor dem Ziel. Mein Körper total ausgelaugt, meine Beine schwer wie Blei aber all das spielt keine Rolle, denn ich weiß, stehen bleiben kommt nicht mehr in Frage. Jetzt nicht mehr. Auf dem gesamten Hinweg habe ich oft dran gedacht einfach stehen zu bleiben, aufzugeben weil ich weder körperlich noch mental weiter gehen konnte. Immer wieder sagte ich zu Paulina: Ich kann nicht mehr, jetzt wirklich, es geht nicht mehr. Und doch haben wir einfach weiter gemacht, denn es gab keine andere Wahl. Auf der gesammten Strecke war nur eine einzige Herberge, kaum ein Unterstand oder sonst irgendwas in dieser Richtung. Die Option aufzugeben, sitzen zu bleiben bestand also schlicht nicht. Die Frage wie ich in diese Situation geraten bin, lässt sich sehr einfach beantworten: Neugier, Naivität und blindes Vertrauen in andere. Als wir um 2 Uhr Morgens im Tal vom Chirripo standen, waren Paulina und ich davon ausgegangen, dass es sich bei der Besteigung des höchsten Berges Costa Ricas lediglich um eine normale 6-Stunden Wanderung handelt. Mit zwei Bananen, 2 Äpfeln und einer Packung Kekse bewaffnet machten wir uns auf, im Glauben dies würde völlig ausreichen. Leider war schon nach Kilometer 7 das Essen aus und wir hatten noch weiter 45 Kilomter vor uns. Unsere Mitwanderer kamen im Vorhinein allerdings auch nicht auf die Idee, uns das Ausmaß dieser Expedition mitzuteilen und ließen uns im Glauben es würde keine große Herausvorderung werden.

Tatsächlich bin ich nach diesem Moment des puren Glücks gelaufen, als ob ich neue Beine bekommen hätte. Die letzte Stunde verging wie im Flug. Ich holte die anderen am Fuß des Berges ein und bin auf dem letzten Stück (dem steilen Anstieg) auf allen Vieren den Berg halb rauf gerannt, halb geklettert - dann oben Alleine; für eine Minute, wo ich einfach nur da stand mit geschlossenen Augen und den Moment genossen habe. Der eiskalte Wind störte mich gar nicht denn von meinem Inneren, meinem Herzen ging so eine unbeschreibliche Wärme aus, die alles relativierte. Als die anderen wenig später am Gipfel ankamen, trugen wir uns alle ins Buch ein, gönnten uns eine Elektrolyten-Mischung und sind oben auf den kalten Felsen vor Erschöpfung eingeschlafen. Was ich in dieser Situation allerdings noch nicht wusste war, dass der Rückweg letzendlich härter als der Aufstieg werden würde. Zusammengefasst sind wir insgesamt 24 Stunden durch gewanderet ohne Schlaf, ohne Essen. Zwei Nächte und einen Tag.

Im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich noch nie zuvor in meinem Leben so etwas verrücktes und lebensmüdes gemacht habe. Nach der Bergbesteigung waren wir fast 50 Stunden am Stück wach, hatten die rötesten Augen, die ich je bei einem Menschen gesehen habe und unsere Gliedmassen wurden nicht mehr als Bestandteile unseres Körpers wahrgenommen. Trotzdem kann ich sagen, dass wir unglaublich stolz auf den Ausflug sind und dies niemals in unserem Leben vergessen werden.

Und wenn ich eine Sache gelernt habe dann, dass man zu mehr fähig ist als man denkt. Auch wenn der Kopf sagt *Ich kann nicht mehr* - das ist eine Lüge! Wahrscheinlich sind bei diesem Trip unsere Überlebensinstinkte zum Vorschein gekommen. Aber Leute merkt euch: Wenn die richtige Motivation da ist, könnt ihr wirklich ALLES schaffen.

BlogNo:03

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