Brauche ich ein Handy?

von 16 larissa  

Vergangenes Wochenende verbrachte ich in einer ganz anderen Welt. David, mein Mitfreiwilliger lud mich ein, auf die Finca seiner Gastfamilie mitzukommen. Die Finca liegt zwei Stunden von der nächst größeren Stadt Santa Cruz entfernt im Nirgendwo.

Das Dörfchen El Socorro bietet einen Fußballplatz (inklusive weidende Pferde und Kühe), ein paar vereinzelte Holzhütten mit ihren Fincas und einer winzigen Schule, die von etwa acht Kindern besucht wird. In El Socorro ist das Leben anders... eigentlich so, wie ich mir Costa Rica generell vorgestellt hatte. Dass hier in Costa Rica fast alle ein Smartphone haben und viele nach europäischen Standard leben, hätte ich nie erwartet. Jedenfalls spielt sich der Alltag auf der Finca viel bodenständlicher und naturverbundener ab.


Camarones

Hütte der Großeltern

Kochen

Monocongos

Toilette

Wasser holen

Zum Beispiel aßen wir nur Produkte, die die Familie dank ihrem Anbau selbst produzieren kann. Auch viele Gegenstände wie Möbel, Becher, Flaschen, Besteck, Werkzeuge und selbst die Hütte wurden alle selbst hergestellt. In der einen Hütte hatten wir durchgehend fließendes Wasser dank einer Quelle; für die Hütte der Großeltern weiter im Wald mussten wir mehrmals am Tag Wasser von einem Fluss holen gehen. Durch Solarenergie hatten wir in der einen Hütte ein wenig Strom; in der anderen Hütte gab es keine Elektrizität und demnach wurde die Hütte nach sechs Uhr abends nur noch vom Mondlicht beleuchtet.

Uns fehlte es aber an nichts. Wir bekamen drei Mahlzeiten pro Tag, die sogar Eier und Fleisch von ihren eigenen Hühner und Schweinen beinhaltete. Die Familie hat auf ihrer Finca alles, was man zum Leben braucht: Früchte, Gemüse, Mais, essbare Wurzeln, Bohnen, Schweine, Hühner, etc. In der Nacht von Samstag auf Sonntag fischten wir sogar Flusskrebse, die es dann morgens frisch zum Frühstück gab. Statt Autos werden Pferde zum Transport genutzt, die die Wege durch Flüsse, Schlamm und Geröll viel besser meistern können.

Zudem hatte man im gesamten Gebiet kein Netz. Kein Fernseher. Kein Handy. Die paar Tage ohne Handy in El Socorro waren richtig erholsam. Man schaut nicht ständig auf den Bildschirm, checkt nicht dauernd neue Nachrichten und man vergisst sogar die Uhr. Die Zeit spielt in diesem Leben sowieso keine Rolle. Wenn die Sonne aufgeht, wacht man auf, arbeitet auf der Finca, planscht danach in den tiefen Stellen der Flüsse, im Dunkeln wird dann noch ein bisschen beisammen gesessen und gespielt. Man verbringt den ganzen Tag in der Natur mit Freunden und Familie. Handys werden gar nicht gebraucht. Ich habe mich ohne Handy freier und unabhängiger gefühlt. Lebendiger.

Auf meiner Heimreise verlor ich dann mein Handy. Davids Gastvater fuhr mich mit dem Motorrad nach Santa Cruz. Dummerweise hatte ich mein Handy nicht richtig verstaut und es fiel während der holprigen Fahrt durch Flüsse und Berge aus meiner Tasche heraus. Echt blöd gelaufen! Wir fuhren fast die gesamte Strecke nochmal zurück, suchten alles ab, fragten Bewohner, ob sie mein Handy gefunden hätten... nichts.

All meine Kontakte, Fotos von Costa Rica, meine Vokabelliste, einfach alles weg. Wegen der langen Suche, kamen wir zu spät in Santa Cruz an, ich verpasste den letzten Bus und verbrachte schließlich die Nacht in Santa Cruz. Ich war die ganze Zeit über noch relativ entspannt, weil ich noch Hoffnung hatte, dass mein Handy gefunden wird. Zudem hatte ich in El Socorro gelernt, dass mein verlorenes Handy nur ein Materialverlust ist und nichts besonders Wichtiges, was man unbedingt braucht.

Am nächsten Morgen wurde mir aber bewusst, wie sehr ich mein Handy eigentlich doch brauche! Ich hatte keine Uhr und keinen Wecker mehr. Wie sollte ich pünktlich aufwachen und wissen, wann ich an der Bushaltestelle ankommen muss? Wie soll ich pünktlich bei der Arbeit erscheinen? Wie soll ich meinen Eltern und Freunden nach diesem langen Wochenende ohne Empfang berichten, dass ich noch am Leben bin? Wie sollte ich Neuigkeiten von meiner Organisation Pro REGENWALD erfahren?

Ich realisierte, dass in dieser Welt ein Leben ohne Handy kaum möglich ist. Leider muss ich zugeben, dass ich wirklich ein Handy brauche. Ich würde mich keinesfalls als handysüchtig beschreiben, aber ohne Netz, ohne Uhr/Wecker und ohne Internetzugang ist man heutzutage von jeglicher Kommunikation abgeschotten. Nicht das Individuum ist vom Handy abhängig (ich war in El Socorro sehr glücklich ohne Handy), sondern diese Welt, die diese Gesellschaft geschaffen hat, lässt ein handyloses Leben nicht zu. Wir wurden zu unseren eigenen Sklaven. Wir zwingen uns selbst zur Nutzung des Internets, weil wir in unserer Sozialgesellschaft uns keine andere Wahl lassen.









BlogNo:07

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