NO ES LA LLUVIA

von 17 radka  


Filadelfias Leid

Der Regen trommelt seit Stunden auf das Wellblechdach. Er soll für 2 Tage nicht mehr schweigen. Man spührt die Angespanntheit im Raum. Immer wieder das Klingeln von Handys, stille Gespräche. Geht es euch gut? Wo seid ihr? Am 4 Okt. bricht Hurricane Nate mit voller Wucht über Mittelamerika ein. Hoduras, Nicaragua und Costa Rica. 22 Tote. 400 000 heimatlos vom Sturm zurück gelassen. Nur in Costa Rica. All diese Zahlen, die Fotos die Whats App Gruppen fluten, Evakuationen, Erdrutsche. Ausnahmezustand.


So etwas zu erleben, das erste Mal direkt betroffen zu sein. Zwar ist bei uns in Nicoya keine Gefahr aber die Unsicherheit wie es den anderen Freiwilligen geht die teils ohne Netz in betroffenen Gebieten leben. Mit jeder Nachricht hofft man auf Erleichterung. Am nächstem Morgen dann Gewissheit, es geht allen gut. Aber dennoch haben viele die Kraft des Sturms am eigenen Leib erfahren. Die Gastfamilie eines Mitfreiwilligen in Puntarenas verliert ihr Vieh und wartet 6 Stunden auf Evakuierung. Von Entschädigung nichts zu sehen.


Fedeagua startet eine Nahrungspaket Aktion. Reis, Bohnen, Zucker ,Salz, Seife... Alles Notwendige passt in eine Plastiktüte. Pro Familie eine wohlgemerkt. Wir fahren nach Filadelfia, eine Stadt Guanacastes die durch ihre Lage besonders betroffen war. Wir steigen ins Auto und ich bin froh über die Möglichkeit endlich etwas zu tun. Mich endlich sinnvoll zu fühlen.


Was wir in Deutschland sehen ist alles auf der anderen Seite des Bildschirms, auf der anderen Seite des Bildes. Der Nachrichtensprecher der nüchtern die Zahl der Todesopfer aufzählt, Bildaufnahmen von reißenden Flüssen, der Bericht einer betroffenen Frau die sagt sie wüsste nicht wie sie weiter leben sollte.
Alles schlimm keine Frage. Aber habe ich mich je wirklich damit auseinandergesetzt? Je innegehalten in meinen Gedanken und mich gefragt wie, wie unfassbar machtlos man sich in so einer Situation fühlen muss?


Eine Frau und ihr Sohn räumen ihr Haus aus.

Wenn man anders nicht mehr nach Hause kommt.

Drei Generationen in Not.




Dieser Tag hat mich dem immerhin näher gebracht. Auf dem Weg nach Filadelfia säumt Schlamm und Geröll die Straße welches sie bis vor kurzem noch bedeckte. Wir fahren über Brücken die den Fluss schon lange nicht mehr bändigen, der auf die sechsfache Breite angeschwollen ist und die Felder, Dörfer und Wälder ringsum bedeckt. Der Abendhimmel spiegelt sich zwischen den Wellblechhütten und die Luft riecht nach Schlamm und Meer. Abgestanden und drückend.
Ein Junge fährt mit seinem Fahrrad durch 1 meter hohes wasser schwankt leicht aber bleibt gerade, eine Frau und ihr Sohn räumen mit leeren Gesichtern ihr Haus aus, das meiste wandert direkt in Mülltüten, der Weg ist gesäumt mit Möbeln, Betten, Sofas, Tische die meisten tropfen noch. Eine Frau, die ihren 4 jährigen Sohn trägt, erzählt mir, dass dies die schlimmste Katastrophe seit 15 Jahren ist. Welche 'mas mas fuerte' (sehr viel stärker) war als das was ich heute vor mir sehe.


Sie erzählt mir, dass man in der Nacht vom 'Nate' einige Häuser zeitweise nicht sehen konnte, da sie unter den Fluten des Flusses verschwanden, das Wasser kam bei ihr durchs Fenster.
Ich fotographiere aber fühle mich eigentlich nicht berechtigt dazu. Ist es respektlos? Ich fühle mich unpassend. Die Leute reden gerne mit mir, freuen sich über Interesse, zeigen bereitwillig die Trümmer ihres Lebens. Sie lächeln, laden uns zum Essen ein obwohl ihnen selbst gerade das nötigste fehlt.
Dabei geht mir das Gedicht eines Umweltbeauftragten nicht aus dem Kopf, was ich am Tag davor in einer Gruppe für Mobilisation gelesenen habe. Es heißt 'no es la lluvia':


-No es la lluvia la que nos tiene sufriendo,
es la pobreza que estamos viviendo.
No es la lluvia la que nos tiene tan mal,
es el problema de planificación territorial


No es la lluvia el problema principal,
es la destrucción y el deterioro ambiental.
No es la lluvia ni tampoco una conjura,
es el problema del maneo de la basura


No es la lluvia y su efecto dramático,
son los resultados del cambio climático.
No es la lluvia la que nos azota con crueldad,
es la pobreza y la desigualdad


No es la lluvia la que nos tiene en este embrollo,
son los resultados del modelo de desarrollo.
No es la lluvia la que nos hace sufrir,
es la gente que no tiene un lugar dónde vivir.


No es la lluvia la que causa esta cuestión,
es un problema educativo
y un problema de exclusión.-


-Leonardo Merino Trejos, investigador ambiental del Programa Estado de la Nación.


(Es ist nicht der Regen der uns leiden lässt
es ist die Armut in der wir Leben.
Es ist nicht der Regen der uns leiden lässt
es ist das Problem der territorialen Planung.


Nicht der Regen ist das Hauptprpblem
Es ist die Umweltzerstörung
Es ist nicht der Regen und auch nicht die Flut
es ist das Problem der Müllentsorgung


Es ist nicht der Regen mit seinen dramatischen Folgen
es sind die folgen des Klimawandels
es ist nicht der Regen der uns mit Grausamkeit bedroht
es ist Armut und Ungleichheit


Es ist nicht der Regen der uns in Not bringt
es sind die Folgen des Entwicklungsmodells
es ist nicht der Regen der uns leiden lässt
es sind die Menschen die keinen Ort zum leben haben


Es ist nicht der Regen der
es ist das Problem der Bildung und des Ausgrenzens.)



Gollo zeigt uns die Folgen des Hurricanes in seinem Viertel.



Denn was die Menschen leiden lässt ist ihre Armut.
In Deutschland hätte so eine Katastroohe sehr viel geringere Auswirkungen. Wir wären versichert, würden rechtzeitig und organisiert evakuiert werden, würden in sicheren Häusern leben, können uns darauf verlassen dass zwar der Keller ertrinkt aber nicht unsere Existenz.
Wilmar, ein Mitarbeiter bei Fedeagua, begrüßte mich in Filadelfia mit den Worten 'das hier ist Costa Rica-die dritte Welt' .
Aber nicht in abwertendem Ton, für ihn ist das das echte pure Costa Rica, die bunten Hütten, der Kolibri der auf der Suche nach Blüten durch die winzigen Gärten schwirrt, der Himmel der in tausend Tönen verglüht, die Menschen die mich trotz meines offensichtlichen Privilegs nicht verurteilen sondern mir ihr Leben erklären, mir essen schenken und mir so viel geben ohne zu erwarten.


Darauf folgte die Frage ob es so einen Ort auch in Deutschland gäbe. Ohne überhaupt nachdenken zu müssen sagte ich 'no no existe'. Und was das für ein Geschenk ist - werde ich nie wirklich begreifen können. Später am Abend erzählt Wilmar mir, wie er vor zwei Jahren über sein Medizinstudium die Chance hatte einen Monat in Honduras in einem Slum zu arbeiten. Für ihn, gebürtigen Tico, war es schockierend die Lebensumstände dort zu sehen, wie die Kirche die Menschen beeinflusst, wie viel Krankheit herrscht. Und so geht die Treppe der Armut immer weiter herunter in einen dunklen Keller. Jedes Leid lässt sich verdoppeln, verdreifachen. Wir stehen oben, schauen herab ins dunkel wagen uns, mit einer Taschenlampe bewaffnet mal einige Stufen herunter und sind glücklich, dass wir immer wieder hoch können, die Tür zum Keller verschließen und das alles vergessen dürfen. Erinnern wir uns also an diesen Teil der Welt. An all die mutigen Menschen und an den Wert unseres unschätzbaren Lebens.

BlogNo:02

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