Der Kampf um Bialowieza

von 16 alex  


Auto fahren ist hier verboten, der Holzeinschlag eigentlich auch. Im Hintergrund eine Blockade.

Ich fuhr das erste Mal zu einem Protestcamp und war dazu schon früh morgens aufgebrochen um bis ans andere Ende Polens zu fahren, in den Bialowieza-Nationalpark nahe der Weißrussischen Grenze. Der dortige Wald ist nicht nur Nationalpark sondern auch Weltnaturerbe. Der Grund dafür ist die reiche und einzigartige Flora und Fauna, denn das Waldgebiet ist der letzte Tieflandurwald in ganz Europa. Es gibt hier noch eine Menge großer Säugetiere wie Elche, Wisente, Wölfe und Luchse die auf dem länderübergreifenden Gebiet ausreichend Platz finden. Etwa 30% befindet sich auf polnischer Seite und dort wird seit dem Frühjahr rechtswidrig abgeholzt.

Seit eben dieser Zeit gibt es auch das Protestcamp, dass in einem der Dörfer eingerichtet wurde, um die Aktionen der Aktivisten zu bündeln. Schon seit Juli gibt es vom Europäischen Gerichtshof die Verfügung eines sofortigen Stopps des Holzeinschlags. Zunächst argumentierte der polnische Umweltminister Jan Szyszko es gehe dabei um die Bekämpfung des Borkenkäfers. Seitdem diese Argumentation nicht mehr haltbar ist, u. a. weil auch gesunde Bäume abgeholzt wurden oder die Rinde, in der sich die Brut des Käfers befindet, nicht vernichtet, sondern im Wald liegen gelassen wurde, hieß es, es gehe um die öffentliche Sicherheit, die gefährdet sei. Und seit neuestem moniert man aus Polen die Beweise für die Baumfällungen seien gefälscht. Ein endgültiges Urteil des europäischen Gerichtshofes dazu wird Anfang Dezember erwartet.

Ende Oktober als ich dort war hörte ich, es seien etwa 75 Waldwächter und nochmal so viele Polizisten zum Schutze des Waldes abgestellt. Dem standen wir auf anderen Seite gegenüber, ein bunt gemischter Haufen von ganz unterschiedlichen Nationalitäten. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Von fast überall waren schon Aktivisten zu Gast, nun auch ich.

Einen Anführer gibt es nicht im Camp, alles wird gemeinsam beim täglichen Treffen basisdemokratisch besprochen. Es gibt ein großes Buffet das sich aus Lebensmittelspenden speist. Denn auch wenn es durch die eher negativen Presseartikel nicht so scheint, es gibt in Polen immer noch eine beachtlicher Anteil von Leuten, der das was die jetzige Regierung macht, nicht gut findet. Diese Menschen unterstützen den Widerstand wie sie nur können. Sie haben nicht die Zeit selbst vor Ort an die Fässer angekettet zu sein, aber sie spenden dafür, was sie können. Auch durch diese Spenden ist es möglich für das Camp spezielle Anwälte zu engagieren, die den Aktivisten in rechtlichen Angelegenheiten helfen können. Denn es kommt häufig zu hohen Geldstrafen und Verfahren, trotz friedlichem Widerstand.

Schon deshalb gibt es für die Neulinge erst mal ein kurzes Aktivisten-Training. Man erfährt wie man sich an der Blockade verhalten soll, denn da kann man so einiges falsch machen. Dabei erfahren wir auch ein wenig über die Geschichte solcher Aktionen in Polen und der Region. So lerne ich, dass man in skandinavischen Ländern einen hohen Respekt für solchen Aktivismus hegt und es dort üblich ist, mit den Behörden zu verhandeln: 'Wir räumen die Blockade, dafür rodet ihr einen Tag nicht oder so ähnlich.'

In Polen hat solcher Aktivismus dagegen eine recht junge Geschichte und hier gehen die Behörden nicht sehr zimperlich mit den Aktiven um. Eine Tatsache, die ich schon bald selbst erfahren muss. Denn schon am nächsten Tag geht raus zur Blockade, an der, abgesehen von einigen Unterstützern, niemand vorbei kommt. Nur ein Polizeiauto patrouilliert ab und an vorbei. Erst als gegen halb vier anfängt zu dämmern, kommt ein dickes Forstwachauto vor gefahren, das direkt vor unseren Füßen stehen bleibt.

Schnell ketten wir uns an. Vier große Männer in Militäruniform steigen aus dem Wagen und bauen sich um uns herum auf. Der scheinbare Anführer beginnt damit ein Protokoll abzuarbeiten, welches den beiden mit uns anwesenden Polinnen die Verletzung einiger Paragrafen anlastet. Von uns Deutschen werden nur die Personalien aufgenommen und sonst passierte nichts weiter. Uns wurde nicht einmal gesagt, was wir falsch, bzw. welches Recht wir gebrochen hätten. Nach etwa einer Stunde sind immer mehr Forstwächter in mehreren Autos bei uns angekommen insgesamt etwa 25 Stück. Auch einige der anderen Aktivisten sind mittlerweile an der Blockade, werden aber von den Wächtern abgehalten, zu uns zu dringen.

Dann passiert es. Je drei Forstwächter versuchen uns, die wir unten an die Fässer gekettet sind, zu entfernen. Sie Drehen uns dabei so, dass sie eine bessere Möglichkeit erhalten uns abzuketten. Es fallen die ersten lauten Schreie des Schmerzes. Als meine Nachbarin aus der Mitte entfernt wird und dabei richtig laut schreit, habe auch ich kein Halten mehr, denn nun können sie von der anderen Seite an meine Kette heran. Äußerst schmerzhaft werde ich vom Fass losgemacht und aus dem Blockadebereich herausgezerrt. Erst später erfahre ich, dass die Hände meiner Nachbarin gewaltsam durch ihre Ketten hindurch gezogen wurden und sie nun ins Krankenhaus abtransportiert werden soll.

Ich kann noch immer nicht ganz fassen, was da passiert ist. Etwas später als wir sie im Krankenhaus besuchen, ist soweit alles in Ordnung und sie kann mit uns gehen, es fehlte allerdings auch ein Fachkundiger und so hat sie auch danach noch Schmerzen. Es blieb aber wohl dabei trotz Nachuntersuchung in Deutschland.

Den Tag danach verbrachten wir mit Aufarbeitung und auf der Polizeiwache. Denn wir wollen Anzeige erstatten und einer der anderen wurde im weiteren Verlauf der Blockaden-Auflösung festgenommen.

Die Tage danach waren dagegen eher ruhig und wir halfen der Patrouille die gerodeten Stellen mit dem GPS aufzunehmen. Die Daten sollen auch als Beweismaterial beim Europäischen Gerichtshof dienen, deshalb sind sie von nicht ganz geringer Bedeutung. Dabei sollten wir auch dokumentieren, wie alt die Bäume sind: besonders die über 100-Jährigen sind von Interesse, denn es gibt verschiedene Schutzzonen und besonders die mit alten Baumbeständen sind eigentlich vor Eingriffen geschützt.

Sehr erfreulich war auch die Resonanz der lokalen Bevölkerung, die sich über das Jahr stark gewandelt haben soll. Die Erfahrung vor Ort rückte auch mein durch die Medien geprägtes Bild zurecht. Waren am Anfang noch nur etwa die Hälfte der Leute gegen die Abholzungen so sind es mittlerweile acht von zehn. Einige von ihnen kamen persönlich vorbei und bedankten sich bei uns für unseren Einsatz für den Wald. Ich bin auch dankbar, hoffen wir das beste für das Urteil des EuGH im Dezember.

Aktuelle Informationen gibt es immer unter:
save-bialowieza.net

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