Wenn Umweltschützer einen Baum fällen

von 17 jana  

Es sind unsere ersten Tage in Costa Rica und wir verbringen die ersten zwei Wochen zusammen in der Station von Arbofilia im Regenwald. Wir sitzen morgens beim Frühstück, mehr oder weniger munter, während der Tag besprochen und geplant wird. Es steht Arbeit in der Baumschule und bei den Kakaobäumen an. „Und dann kommen ja heute noch die beiden Männer, die den Baum vor der Tür fällen sollen. Das könnte ja mal eine/r von euch fotografieren.“ Bei dieser Bemerkung von Hermann werde ich hellhörig.

Warum sollte denn ausgerechnet vor der Tür der Station ein Baum gefällt werden, wo wir doch hier sind, um Bäume zu pflanzen? Fotografieren kann ich und meine Kamera ist in Reichweite, also melde ich mich für diese Aufgabe „Ich mach das wohl.“ Ich kann ja danach auch noch bei der Arbeit helfen, länger als eine Stunde sollte es ja nicht dauern, einen Baum zu fällen. Das Fazit nach drei Stunden Arbeit: Doch. Kann es. Und es kann auch noch viel länger dauern. Aber am besten lasse ich einfach die Bilder sprechen:


Es geht um den Baum, der hier so drohend über dem Gebäude hängt. Seine Krone ist kaum vorhanden, aber ein riesiger Ast reicht bis über die Station. Es ist ein Cascarillo, wie Anna mir erklärt. Der Baum droht schon lange bei einem der regelmäßigen Unwetter hier auf das Gebäude zu kippen und somit ist er eine echte Gefahr für die Station und ihre Bewohner. Das Problem ist, dass er aufgrund seines Wuchses nicht leicht zu fällen ist, da er von selbst in die falsche Richtung kippen würde.

Um 7:30 Uhr beginnen die beiden Männer aus dem Nachbardorf mit der Arbeit. Sie bringen ihre Hunde und Materialien mit und bereiten die Kettensäge vor.


Vor der Station lagen noch ein paar alte Baumstämme, die die Beiden zuerst zu Balken verarbeiten. Mit einer erstaunlichen Präzision wird die Rinde entfernt und der Baum zerlegt, ohne dass viel vom Holz verloren geht.

Das Holz ist nicht sehr wertvoll, da es relativ weich ist. Miguel, der Chef von Arbofilia hat Giovanni, seinem Mitarbeiter die Hälfte der Pfähle zugesprochen und die Männer tragen sie nun zu Giovanni nach Hause ins Dorf.


Um 8:30 Uhr beginnen die Männer mit der Arbeit am Baum. In luftiger Höhe wird zuerst eine Kette in einer Astgabel befestigt, an der später ein Stahlseil befestigt werden soll.

Das Stahlseil wird ausgebreitet und auf die richtige Länge zugeschnitten. Der Plan ist es, das Seil zwischen dem zu fällenden Baum und einem Baum auf der anderen Seite des Weges zu spannen. So soll der Baum im Fall auf den Weg gezogen werden und stürzt nicht auf die Station.

An einem ausreichend starken Baum gegenüber von der Station wird ebenfalls eine Kette angebracht und damit begonnen, das Stahlseil anzubringen.


Gemeinsam spannen die Männer das Stahlseil drei mal hin und her. Das ganze dauert eine halbe Ewigkeit, was auch daran liegen mag, dass sie immer wieder ihrer Arbeit unterbrechen und einfach verschwinden. (Niemand weiß wohin)
Um 9:30 hängt das Kabel relativ gespannt über dem Weg. Das Kunstwerk wird kritisch beäugt und diskutiert. Dann ist klar: Das Stahlseil ist zu dünn, das Risiko, dass der Baum doch auf die Station fällt zu hoch. Im Dorf wird erfolglos nach einem dickeren Kabel gesucht und schließlich beschlossen, die ganze Konstruktion wieder abzubauen.

Um 10:00 Uhr wird die Arbeit als beendet erklärt. Der Baum steht immer noch und die Männer beschließen, am nächsten Tag mit einem besseren Seil wieder zu kommen. Die Arbeitsmaterialien werden zusammengeräumt und die Männer düsen auf ihren Motorrädern wieder zurück in ihr Dorf.

Nachtrag: Die Männer kamen am nächsten Tag tatsächlich mit einem dickeren Seil wieder, aber nachdem das gespannt war, mussten sie feststellen, dass auch dieses Seil nicht ausreicht, um den Baum im Fall zu sichern. Das Stahlseil wurde trotzdem gespannt und hängen gelassen, so ist der Baum zumindest für den Moment annähernd stabilisiert. In den folgenden zehn Tagen, die wir im Korridor verbracht haben, wurde daran auch nichts mehr verändert. Und wenn er nicht gefällt wurde, dann steht er dort noch heute...

Na, frustriert? Jetzt hast du gerade einen ganzen Blogeintrag über einen zu fällenden Baum gelesen, ohne das der Baum überhaupt gefällt wurde. So ging es mir nach den Stunden mit meiner Kamera in der Sonne auch.

An dem Vormittag hatte ich sozusagen meine erste Begegnung mit der costa-ricanischen Arbeitsmentalität. 2,5 Stunden wurde gearbeitet, nur um dann festzustellen, dass das mitgebrachte Material überhaupt nicht geeignet ist. Und das gleiche am nächsten Tag nochmal. Wäre das ganze Spektakel mein Projekt gewesen, hätte ich vermutlich nicht nur ziemlich frustriert dagestanden, sondern wäre auch wirklich entmutigt gewesen. Wir Deutschen messen den Erfolg unserer Arbeit immer an ihrer Effizienz und das funktioniert hier nun mal anders. Pura Vida halt.

Eine der wichtigsten Eigenschaften, die man sich als Freiwilliger aneignen sollte, ist tatsächlich die Frustrationstoleranz, das wird mir immer wieder vor Augen geführt. Mittlerweile siegt in meinem Kopf doch die kleine Freude darüber, dass der Baum noch steht und seinen Schatten auf die Station wirft. Auch wenn es vernünftiger ist, den Baum zu fällen, wäre es schade um ihn. Wir sollten nur alle hoffen, dass die Stahlseil-Konstruktion den Baum auch beim nächsten Sturm ausreichend stützt.

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