Die Qual der Wahl

von 17 radka  

Der Countdown läuft. 2 Tage noch. Bunte Fahnen schmücken Autos, und der Wahlkampf ist in vollem Gange. Am Sonntag wird in Costa Rica ein neuer Präsident gewählt. Ich unterhalte mich gerade mit jeder Person die ich treffe (sei es beim trampen, bei der Arbeit, im Bus) über ihre Einstellung zur Wahl. Es fällt mir immer noch etwas schwer einen Überblick über die Parteien und das System zu erhalten, auch da scheinbar wenige Ticos den selbigen haben.

Hier beispielhaft einige der gehörten Aussagen:

  • 'Ich habe am meisten Angst vor dem christlichen Kandidaten, F.Alvarado, alle anderen o.k. aber er auf keinen Fall.' (Alter: 30)
  • 'Das größte Problem ist die Unsicherheit. Früher konnte man hier unbesorgt über die Straßen gehen. Jetzt ist die Kriminalität überall.' (Alter: 28)
  • 'Ich hatte so viel vertrauen in Solis, unseren jetzigen Präsidenten. Aber er hat mich enttäuscht. Alles bleibt gleich, egal welcher Präsident regiert, die Unterschiede sind minimal.' (Alter: 28)
  • 'Der kirchliche Einfluss ist katastrophal. Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe... Alles essentielle Werte.' (Alter:? aber jung)
  • 'Ich weiß noch nicht für wen ich wählen will. Ich habe mich noch nicht viel damit befasst.' (Alter:28)
  • 'Die Berichterstattung ist so reißerisch. Inhalte sind abwesend und man bringt den Leuten Politik nicht nahe.' (Alter: 28)
  • 'Sie springen aus ihren Autos, sammeln 5 Minuten Müll ein, schießen ihre Fotos für Facebook und weg sind sie. Das geht gar nicht.' (über eine Müllsammelaktion von Fedeagua und der Municipalidad Nicoya, bezogen auf Frente Amplio (Alter:?)
  • 'Immer kommen am Anfang so viele Versprechungen. Aber nichts wird eingehalten.' (Jung)

Dabei sage ich direkt, dass ich in einem relativ weltoffenen, umweltbewussten Kreis lebe ohne viel Kontakt zu konservativen und besonders gläubigen Menschen. Denn diese Aussagen lassen sich momentan bei weitem nicht auf das allgemeine Stimmungsbild übertragen.

Doch wer sind die Kandidaten? Hier ein Blick auf die mit den höchsten Gewinnchancen - und einige Teile ihres Wahlprogramms, die mir am besorgniserregendsten erscheinen:

  • F. Alvarado: 14% (Evangelikal, steht für die Verbindung zwischen Kirche und Staat, gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe (für viele gerade das größte Übel)
  • Alvarez Desanti: 16% (im Wahlprogramm steht: Ja zum Leben - Nein zur Abtreibung, keine gleichgeschlechtliche Ehe)
  • C.Alvarado: 6% (Partei: PAC -Partido Accion Ciudadana - für die PAC kann es heikel werden 1. Korruptionsskandal 2017 und 2. die Entscheidung Anfang Januar für die Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Paaren)
  • J.D.Castro: 12% (rechtspopulistisch, Verbindungen zu dem Panama Papers Skandal, fallengelassene Ermittlungen wegen u.a. häuslicher Gewalt)
  • Piza: 12% (gegen Abtreibung, für eingetragene Lebenspartnerschaften von gleichgeschlechtlichen Paaren)

Der Trend ist eindeutig und traurig. Das Land rutscht tiefer und tiefer in konservative, religiöse Strukturen. Die Kirche legt sich mit ihrer altertümlichen Einstellung zu Ehe, Sexualkunde und Abtreibung wie eine schwere Decke über die Gesellschaft.

Aber der Widerstand bleibt nicht aus! In der Hauptstadt versammelten sich tausende Menschen um für den 'Estado Laico', also einen säkularisierten Staat, einzutreten. Gedichte, Reden, bunte Plakate, Tanz und Musik - man spürte eine Stimmung von Gemeinschaft. Diese Menschen fühlten sich als Teil einer Bewegung. Und dabei scheinen die meisten zu erkennen, dass diese Bewegung nicht viel verändern wird. Denn weite Teile der Bevölkerung unterstützen die konservativen Haltungen. Die Menschen hier scheinen müde, das Land wird große Reformen nicht angehen. Die Präsidenten wirken irgendwie farblos und sehr ähnlich in dem, was sie sagen und wollen. Auch herrscht eine Politiklethargie. Es wirkt als ob die Wahl niemanden so interessiert wie die im letzten Jahr in Deutschland. Sehr viel weniger Plakat- und Straßenpräsenz, viele Leute sehen gar keinen Unterschied zwischen den Kandidaten (der manchmal auch schwer zu sehen ist). Verständlich, wenn sich von Präsident zu Präsident nichts ändert außer die Art des Korruptionsskandals.

Hoffentlich wird die Wahl am Sonntag neuen Schwung bringen, mehr Bereitschaft zu partizipieren, mehr Widerstand, mehr politische Mitsprache, weniger Trägheit! Wenn sich etwas ändern soll, braucht es einen Weckruf. Es wäre an der Zeit.

Quellen:
http://www.tse.go.cr/dondevotarp/candidaturas-todas.aspx (eine Website mit einer Übersicht über die verschiedenen Kandidaten)
https://www.piza.cr/index.php/derecho-a-la-vida-y-la-familia
Diverse Flyer

BlogNo:11

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