- wenn man zu lange wegschaut -

von 17 radka  

Ich sitze im Büro des SINAC-Chefs des Refugio de Vida Silvestre 'Camaronal' an der Pazifikküste der Nicoya-Halbinsel. Eigentlich bin ich hier für eine Reunion für den neu geplanten Corredor Biologico Canas-Bagaces-Tillaran aber gerade fungiere ich als Übersetzerin für zwei Freiwillige die ein dringendes Anliegen haben. Seit ein paar Wochen arbeitet ein neuer Freiwilligen-Koordinator im Schutzgebiet. Ich kenne ihn seit ein paar Monaten, habe ihn als sehr sympatischen, offenen Typ im Bus von San Jose nach Hojancha kennengelernt. Aber leider trügt der erste Schein allzu oft.

Am Abend zuvor hatte ich ein langes Gespräch mit der Freiwilligengruppe die hier im Refugio für die Instandhaltung und vor Allem im sichern der Schildkrötennester arbeiten. Zwei Mädchen haben mir von unangebrachtem Verhalten und anzüglichen Kommentaren erzählt bei denen ich erst mal grinsen musste. Typisch Tico, dachte ich. Und dann hörte ich mich selbst sagen 'Ja so sind die Ticos halt. Hier ist man ein bisschen machista, aber das ist eben nicht so ernst gemeint.' Und dann, kurz nachdem diese Worte meinen Mund verlassen haben, konnte ich nicht glauben dass ich tatsächlich diese Sätze gesprochen habe. Dass ich mich wie so viele dazu hinreißen lasse Machismo als Entschuldigung für sexuelle Übergriffe zu nehmen. Denn er hat so viele klar gezeichnete Grenzen überschritten, dass mir schlecht wird, daran zu denken. Wie jemand seine angebliche Machtposition SO ausnutzen kann und sich aufschwingt, Dinge zu tun, bei denen einfach klar ist, dass dort etwas angegriffen wird. Dass dort Würde verletzt wird und Brutalität ausgeführt wird.

Ich schaue in die Gesichter dieser Mädchen, deren Geschichten ich versuche mit meiner Spanischübersetzung gerecht zu werden und sie erinnern mich an mich selbst, wie ich vor 2 Jahren genau dort auf einem solchen Stuhl saß und einem Polizisten etwas erklären musste, das ich zu dem Zeitpunkt selbst nicht verstanden habe. Und ich sehe, wie schwer es ihnen fällt, alles zu sagen. Wie sie sich selbst dafür schämen, was passiert ist als er mit ihnen alleine war.

Der Chef reagiert gut und sensibel wie ich finde, sagt er wird mit ihm reden und sollte auch nur die kleinste Sache passieren, wird er 'drastische Entscheidungen' treffen. Es hat mich viel Überredungskunst gekostet, die Mädchen zu überzeugen, ihr Anliegen vorzubringen. Ich konnte ihren Unwillen sehen, ihre Sorge. Und ich bin so froh, dass ich jetzt hier mit ihnen sein kann und sehe wie sie offen und mutig reden. Denn das hässlichste daran ist immer wieder die Momente durchleben zu müssen, jedes Mal wenn man sie erzählt.

Ich bin so wütend, so wütend dass die Gesellschaft eine Ausrede wie Machismo hat, die sogar ICH SELBST übernehme. Ich denke zurück an die zahlreichen Momente hier in Costa Rica der dummen Kommentare, das ständige 'Las alemanas son muy lindas!' oder 'A los muchachos le gusta robar las chicas lindas.' oder 'I love you!' oder der Taxifahrer der mich in sein Ferienhaus in Jaco einlädt und versucht mich zu küssen oder die Männer die nicht müde werden, mir zu sagen wie gefährlich es ist, als 'hübsches Mädchen' allein zu trampen während ich neben ihnen im Auto sitze und mich frage was sie damit erreichen wollen. Wenn mir 10 jährige Jungs auf der Straße 'You are beautiful!' hinterherrufen, dann weiß ich dass in der Gesellschaft etwas falsch läuft. Denn sie wissen gar nicht was sie tun, imitieren, was sie sehen und hören, werden nie konfrontiert und so geht es weiter. Generation um Generation.

Und nichts davon kann man mit der Aussage 'Ja die Ticos sind halt machista' entschuldigen. Ich schaue zwar mit Unverständnis auf manche Ehebeziehungen hier, wenn der Mann in der Hängematte von seiner Frau bedient wird und sich nicht mal dazu 'herab'lässt ihr zu danken oder sie anzuschauen. Doch ich lasse auch viel durchgehen. Weil es angenehmer und unkomplizierter ist, weil ich mich nicht ewig beschweren möchte. So ist das Leben eben angenehmer. Ich merke, dass ich nicht mehr so viel Contra gebe wie am Anfang. Sage 'Gracias', setze den abweisendsten Gesichtsausdruck auf, den ich produzieren kann ... aber schweige sonst. Schweige alles weg wie so viele andere Frauen hier.

Wie haben mich 7 Monate hier so abgestumpft, dass ich in diese Systeme reinspiele. Ich habe meine Sensibilität runtergeschraubt, habe die Momente, von denen es so viele gibt, als unwichtig eingestuft.

Wenn man einmal zu oft angestarrt wird, Wenn man von oben bis unten gemustert wird, Wenn man auf die Frage 'Hast du einen Freund?' immer 'Ja' antwortet und am liebsten einen Jungen zwischen sich und den Fahrer setzt, Wenn man wegen seines Geschlechts immer diese eine Angst haben muss die so vielen Männern erspart bleibt.





Sobald es um Sexualität geht wird etwas anderes in einem angegriffen, etwas Tieferes und Essenzielleres. Und es begleitet einen über Jahre, wird immer wieder hochgespült und lässt einen immer etwas vorsichtiger durch die Nacht laufen, immer etwas weniger Vertrauen schenken als man gerne geben würde. Und 'Machismo' ist eine Form der Machtverteilung die genau das promoviert, die einen diese kleinen Sachen übersehen lässt, die einen abstumpft.

Aber ich will nicht stumpf sein.

Ich will mir keinen Kommentar mehr gefallen lassen, keinen Blick, kein herabwürdigen meiner Stärke, keine Reduzierung.

Und ich werde nichts mehr entschuldigen. Dieser Vorfall hat mir noch einmal dieses tiefgreifende Problem vor Augen geführt, das ich seit so langer Zeit aus dem Blick verloren habe. Und als ich die erleichterten Gesichter der Mädchen sehe, fühle ich mich stolz ihnen helfen zu können. Hilfe, nicht nur in Form von sprachlicher Unterstützung aber Hilfe im Sinne von Selbstbewusstsein. Ihnen das Wissen zu geben, dass sie komplett im Recht sind, dass sie keinerlei Angst haben müssen,

dass alles was man machen muss

darüber reden ist.

BlogNo:13

Noch kein Feedback


Formular wird geladen...