kulturimperialismus

von 17 anna  

Nichts böses ahnend balancier ich meine frisch vom Feuer dampfende Portion Reis und Bohnen, auf der Suche nach einem Platz zum essen, an meinem Gastvater vorbei. Er liest etwas vor, wie er es öfter macht. Meistens rezetiert er irgendwas, was ihm zwischen die Finger gerät, Inhaltsangaben, rumliegende Kinderbücher, die Biebel, ich achte nicht weiter darauf.

Eher erregte der Umstand, dass er den einzigen Stuhl besetzt, meine Aufmerksamkeit, weswegen ich über die Rücklehene der massiven Holzbank klettern muss, was viel leichter ist, als sich den Weg durch meine Gastgeschwister, Nichten und Neffen und vor allem meine Gastmama zu kämpfen, die die Enden der Bank verstopfen.

Auf einmal hört mein Gastvater auf zu lesen, legte sein Papier zur Seite und es breitet sich ein nachdenkliches Schweigen aus. Erst da realizier ich, dass es um was wichtiges geht und alle auẞer mir Rofino zugehört haben.

Mein Gastbruder bricht das Schweigen und plötzlich fingen alle gleichzeitig an zu diskutieren. Kauend versuche ich heraus zu hören, worum es überhaubt geht. Schlieẞlich schnappe ich mir das Blatt von dem Rofino vorgelesen hat und überfliege es. Es ist ein offizielles Dokument des MEP, des Ministeriums für staatliche Bildung, gerichtet an alle Familien, welche Kinder in öffentlichen Schulen in Territorien der Ngobe-Indigenen haben. Also alle Familien in Ngobe-Territorien, da es sich hier niemand leisten kann, die Kinder auf eine private Schule zu schicken. Das MEP informiert die indigenen Familien darüber, dass alle Schüler der vier Ngöbe Territorien in Costa Rica, nach den Osterferien verpflichted sein werden, die traditionelle Kleidung des Volkes in der Schule zu tragen. Oder sie werden vom Unterricht ausgeschlossen.

Ich habe keine Zeit mir eine Meinung zu bilden, weil ich sofort versuche die Diskussion mit zu verfolgen.
"Aber wenn ich mich gar nicht als Ngöbe fühle?! Was dann? Wieso muss ich dann ein Kleid tragen? Und meine Kinder? Das ist doch falsch" ruft Rebeca, meine Gastmama. Sie meint das theoretisch, denn eigentlich ist sie stolz darauf, eine Ngöbe zu sein. Doch es geht ihr ums Prinzip. Mir dämmert, dass ihre Verärgerung auch noch andere Wurzeln hat.

Diese farbenfrohe Kleidung mit den vielfältigen Mustern wird von Hand hergestellt und ist dementsprechend teuer. Drei ihrer jüngsten gehen noch zur Schule, und ihr fünf-Jähriger Sohn ist nächstes Jahr soweit. So sieht es bei den anderen Familien im Dorf wahrscheinlich auch aus. Und ohne feste Arbeit, die im Terretorim Mangelware ist, würde ich nicht wagen, das Unterfangen dieses Geld in einer Woche zu beschaffen, als realistsch zu bezeichnen.

Zwar haben alle Schüler die in Costa Rica obligatorischen Bildungstipendien, doch das Geld wurde schon längst für was anderes gebraucht. Teilweise sind diese Ausgaben schulrelevant gewesen, doch oft ist es auch woanders hin verschwunden weil es gerade an was gefehlt hat. Ich sehe schon, was geschehen wird: Die Kinder werden einfach nicht zur Schule geschickt; bis sie die nötigen Sachen zusammen haben.

Dass selbe passiert auch zu Anfang jeden neuen Schuljahres wenn die Stipendiengelder sich verspäten oder anderweitig ausgegeben wurden.

Rofino wiederspricht seiner Partnerin: "Ich find das gut. Wir verlieren unsere Kultur! Da muss man doch was gegen tun. Alle schweigen kurz. Ich spüre dass sie mit dem was Rofino sagt, nicht ganz einverstanden sind, allerdings kann auch niemand wiedersprechen, dass die Kultur nicht gewahrt werden müsse. Jetzt wo die Globlisierungdroht sie mit Haut und Haaren auf zu fressen. Da sage ich zum ersten mal was. Es wird noch einen ticken leiser. Was meint die zwar gutmütig akzeptierte, aber dennoch weiẞe Freiwillige wohl dazu?
" Ja, ich denke dass du auf jeden Fall recht hast, eure Kultur muss geschützt werden... aber so? Nun werdet ihr von einer externen Organisation gezwungen das zu tun. Auẞerdem bestimmt hier die costaricanische Regierung ohne euer Zutun was eure Kultur überhaupt ist, was sie ausmacht und wie ihr sie zu leben habt." Zustimmendes Gemurmel.

Der Begriff Kulturimperialismus schwebt mir durch den Kopf. Wie ironisch, früher bedeutete der Ausdruck für mich dass Mitgliedern einer anderen Kultur, die eigene aufgezwungen wurde. Zum Beispiel war es hier in den Schulen früher verboten die eigene, indigene Sprache zu sprechen. Man wurde gezwungen sich möglichst nicht-Indigen zu benehmen. Jetzt will die Regierung dies wett machen indem sie das Gegenteil erzwingt. Wie viel besser ist das?

Ich fahre fort: "Wenn sie euch erlaubt hätten die traditionelle Kleidung in der Schule zu tragen, wäre das in meinen Augen was anderes. Dann würden sie euch die Freiheit geben die Kultur auszuleben." Dazu nickt auch mein Gastvater.

Ich frage vorsichtig ob die Regierung Geld zum Kauf dieser Kleidung zur Verfügung stellt. Auch darüber bricht eine verärgerte Diskussion los. Natürlich ist dass nicht der Fall. Eigentlich sind dazu ja die Stipendian da.

Immer wieder wird gefragt was das MEP sich dabei denkt. Das fände ich auch interessant. Was sind die Beweggründe der Regierung für ein solches Gesetz? Will sie verhindern dass jemand vorwerfen kann dass sie sich nicht genügend für die Indigenen interessiert? Das sie zu wenig macht, um die Wurzelkulturen des Landes zu schützen? Ist das eine Reaktion auf Stimmen die meinen, dass mehr Kultur in den Schulen gelehrt werden müsse?

In all diesen Fällen erscheint mir dieses Mittel zum Zweck fragwürdig. Mir kommt auch der Gedanke, dass dies auch eine weitere Seperation ist. Noch etwas was die Ngobes offensichtlich vom Rest des Landes unterscheiden wird? Doch ist das nicht der Sinn davon die Kultur zu bewahren? Gleichzeitig ist es der Grund für viele Konflikte zwischen den Ngöbes und der Nicht-Indigenen Bevölkerung. Seperation, durch die Terretorien. Seperation von durch die Unterschiede der Beziehung, von Regierung zum Volk. Das ist ein herrvoragender Nährboden für Missverständnisse, Vorurteile und die dadurch entstehende beidseidige Abneigung und Deskriminierung.
Doch wir können über all das nur Spekulieren. Denn die Regierung hat zu dem Gesetz keine Erklärung gegeben.

BlogNo:04

1 Kommentar

Kommentar von: Radka [Besucher]

Dieses ueber den Kopf der indigenen Bevoelkerung entscheiden faellt mir immer mehr auf. Aber das finde ich doch etwas makaber, sie dazu zu zwingen ihre Kleidung zu tragen, die noch dazu teuer ist, und sie sonst vom Unterricht AUSZUSCHLIESSEN? Bildung sollte doch unabhaengig von Kleiderwahl gewaehrleistet sein. Die Costa Ricanische Regierung setzt Gesetze durch und fuehrt Reformen ein um so schnell wie moeglich so gut wie moeglich nach aussen zu erscheinen. Dabei werden Konsequenzen nicht bedacht. Schade zu sehen…


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