¡Saatgut ist Kulturgut!

von 17 philipp  


Wir sind heute zum Demonstrieren verabredet.
"...Samenaustausch und Demonstration für freie Samen..." hieß es in der Einladung.


Als wir 14:16 mit einer Viertelstunde Anstandsverspätung an der Asamblea Legislativa, also dem Sitz der Costaricanischen Regierung ankommen, herrscht dort gähnende Leere. Nur in der hintersten Sitzecke verstecken sich drei oder vier, schon aus der Ferne als Umweltaktivisten zu erkennende Gestalten hinter einem einsamen Transparent.


Mann: "Seit ihr auch wegen der Samen hier?"
Ich: "Jo"


Man setzt sich zusammen und führt ein bisschen Smaltalk:


"und was pflanzt du so?"
"Wie ist dort der Boden?"
"Glaubst du, dass Achiote in dieser Höhe auch noch wächst?"
...Was man halt so redet.


Eine richtige Demonstration ist das noch nicht, aber immerhin ist man da und man ist dabei.


"Wollen wir schon mal anfangen?"


Austausch

Menschen

Plünderung.



So gegen 14:30, vielleicht auch ein bisschen später rollt ein Protestzug die Straße vom nahen Gerichtshof her hoch. Erleichterung. Es sind doch noch Menschen gekommen, sehr viele sogar und es werden immer mehr.
Um 14:40 ist die ganze Straße gefüllt mit Demonstranten, die neben Transparenten und Lautsprechern auch eine Menge Samen im Gepäck haben.


Die Aktion ist eine Provokation, denn während wir draußen demonstrieren, Samen austauschen und handeln, liegt dem Parlament im Inneren des Gebäudes ein Gesetzesentwurf vor, der eben genau dies verbieten soll.
Das 1978 erlassene Gesetz zu Samen (Ley de Semillas N°6289) soll nach zwei, am Widerstand von Umweltschützern und Kleinbauern gescheiterten Anläufen in den Jahren 2008 und 2010, nun doch "aktualisiert" werden. Im Gesetzestext heißt es: "in Suche nach höherer Effizienz und und um die Wettbewerbsfähigkeit [der costaricanischen Landwirtschaft] zu wahren...[soll das Gesetz] an die geänderten Spielregeln des Welthandels angepasst werden".


Auch bei diesem Anlauf steht der Gesetzesänderung eine breite Opposition aus Aktivisten und Erzeugern gegenüber, die nicht nur die Ernährungssouveränität der Landbevölkerung sowie die Unabhängigkeit zahlreicher Kleinbauern, sondern auch die biologische Vielfalt und den kulturellen Reichtum Costa Ricas bedroht sehen.


Sollte die Gesetzesänderung angenommen werden, würden einige Neuerungen in Kraft treten, die für viele der kleinbäuerlichen und indigenen Demonstrierenden einen Einschnitt in ihre Lebensweise bedeuten würden

  1. Nur Samen zertifizierter Sorten dürften gehandelt werden.
  2. Um zertifiziert zu werden, müsste eine Sorte bestimmte Eigenschaften erfüllen, darunter Stabilität und Homogenität innerhalb der Sorte und eine klare Unterscheidbarkeit von anderen Sorten. Dadurch erhielte die Variante Sortenschutz und würde als geistiges Eigentum des Züchters/Erzeugers angesehen werden. Traditionelle Samen und Varianten erfüllen diese Eigenschaften nicht und wären damit vom Handel ausgeschlossen.
  3. Gentechnisch veränderte Sorten müssten, um zugelassen und gehandelt zu werden lediglich auf gesundheitliche, nicht jedoch auf ökologische Unbedenklichkeit hin überprüft werden.
  4. Die im vorliegenden Gesetzestext verwendete Definition von Kommerzialisierung schließt den lokalen Handel von Kultursorten mit ein und würde ihn den oben genannten Beschränkungen unterstellen.
  5. Das für die Zulassung, Überprüfung und Erfassung von Saatgut zuständige OfiNaSe würde aus dem Landwirtschaftsministerium ausgegliedert und erhielte eine unabhängige juristische Person, sowie einen Verwaltungsrat unter Einbindung des privaten Sektors.
    Forschungsleistung könnte outgesourct werden und privat finanzierte Studien könnten ohne weitere Überprüfung übernommen werden.


Ernährungshoheit und Umweltschutz werden im vorgeschlagenen Gesetzestext nicht konkret behandelt.


Mit der Ratifizierung der im Jahre 2015 von Regierungsseite vorgelegten Gesetzesänderung würde Costa Rica in Sachen Samen mit vielen industrialisierten Staaten gleichziehen. Eine ähnliche Gesetzgebung besteht beispielsweise auch in den USA und innerhalb der EU und hat dort dazu beigetragen, die Vielfalt an Kultursorten zu verringern.


Züchter biologischer und samenfester Sorten, also solcher, deren Samen sich zur Wiederaussat eignen, beklagen, dass ihre Sorten oft an der von den Prüfern geforderten Homogenitätshürde scheitern würden. Hybridsorten hingegen sind genau geschaffen, um diese Anforderung zu erfüllen, da schon der Züchtungsprozess auf genetische Einfalt hin ausgerichtet ist.


So kommt es, dass im Raum der Europäischen Union seit über 30 Jahren keine Samenfeste Zucchinisorte mehr zugelassen wurde. Gleichzeitig hat sich die Anzahl der bei der französischen Agrarzulassungsstelle gelisteten gehandelten Sorten samenfesten Mais halbiert.


Kein Wunder also, dass in deutschen Supermärkten alle Karotten gleich aussehen und es nur zwei Sorten Gurken, immer die gleichen Zucchini und Auberginen und kaum Auswahl an Kürbissen gibt. Die Liste ließe sich fortsetzen.


Ganz im Gegenteil dazu stehen die Samen, die wir hier ertauschen und verschenken, kaufen und geschenkt bekommen. Kurkuma: groß, klein, hell gelb oder tief orange. Achiote: Pelzig, glatt, klein, groß, für hohe und niedere Lagen, trockenes und feuchtes Klima. Bohnen in vielen Varianten und Mais von Weiß bis Schwarz. Kürbisse wie Tomaten und solche so groß und bunt wie Luftballons. Knollen und Nüsse. Reis und Blumen. Die Vielfalt ist überwältigend und die Schönheit unfassbar.


Wir demonstrieren und skandieren, aber vor Allem verbreiten wir Sorten weiter, erhalten Vielfalt und machen von jenen Rechten gebrauch, die auf einmal nicht mehr selbstverständlich wirken.
Das Recht zu pflanzen und zu ernten, was einem gefällt. Das Recht mit seinem Nachbarn zu handeln und die Selbstständigkeit, sein eigenes Saatgut zu gewinnen, zu benutzen und zu verbreiten.


Filmtipp: Die Saatgut Retter

BlogNo:10

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