Ein abendliches Gespräch und Folgeausschweifungen

von 17 radka  



Ich sitze mit Hanna und Philipp am Abendessenstisch, dem schmutzigen Geschirr hat sich noch niemand erbarmt und die Kerze brennt unmerklich ihrem Ende zu. Unser Gespräch endet auf nicht mehr zu ergründende Weise in einer Analyse der costaricanischen Gesellschaft, so wie wir sie bisher erlebt haben.

Ein Tico meinte mal zu mir die Costaricaner seien hypnotisiert. Hypnotisiert von all dem Konsum der ihnen offen steht. Geht man durch San Jose reiht sich KFC and McDonalds an Starbucks an Pops. Das Land erscheint irgendwie leerer als die anderen Nationen Lateinamerikas. Es scheint, als sei alle lokale Kultur wie weggewischt. Die Traditionen Guanacastes wurden, damit diese ziemlich selbstbewusste Provinz sich mehr dem Kollektiv angehörig fühlt, auf das ganze Land übertragen. Aber man merkt eben dass es nur die Traditionen eines kleinen Teils sind, sich aber bei weitem nicht die ganze Bevölkerung damit identifizieren kann und will.

Philipp, der schon ein Jahr in Panama gelebt hat, erzählt wie extrem ihm diese Unterschiede auffallen sind und ein Gespräch mit einem Costaricaner der 6 Jahre in Kuba studiert hat, endet mit einer ähnlichen Einsicht:
Costa Rica leidet an einer Kulturlethargie. Berühmt ist das Land für seine Natur. Und das war es auch schon. In Costa Rica gab es nie eine große Revolution, eine Rebellion gegen eine Diktatur. Friedlich schwimmt das Land dahin. Schlagzeilen aus Venezuela, Nicaragua, Honduras... aber um Costa Rica bleibt alles stumm. Nicht dass dieser Frieden als negativ anzusehen ist. Aber er führt dazu, dass die Menschen sich ausruhen. Nicht nach Problemen suchen wo sie auf den ersten Blick keine sehen. Den status Quo genießen.

Die Menschen hier lieben den Konsum (dieser Blogbeitrag wird in einer sehr verallgemeinernden Sprache verfasst, und ich möchte klar stellen dass so nicht ALLE Ticos leben und denken, aber doch fällt eine grosse Tendenz in der Bevölkerung auf).

Die U.S.amerikanische Welle mit Fast Food, Plastik und billigem Kitsch hat das Land komplett überrollt. Plastik wird in Mengen konsumiert, die dazu führen, dass einer der ersten Sätze den man im Spanischen flüssig lernt "Sin bolsa por favor" (ohne Tüte bitte) ist, und man sich manchmal wirklich mit harschester Wortwahl gegen Plastiktüten wehren muss. In den Pulperias (Kioske für alles und jeden) wird billig Süßkram verkauft, den, vorallem die Kinder, in ausufernden Mengen und rasantem Tempo vertilgen.

Auch wird die einseitige Diät aus Reis, Bohnen, Ei und der hohe Verbrauch von Öl und Schmaden wie Natilla als gesund erachtet. Als ausgewogen und urtümlich. So bestand ein Frühstück eines 11 jährigen Ticos, dem ich beiwohnte, aus halb frittierten Platanos mit einer großen Menge Natilla. An einem anderen aus einem Schoko-Erdnuss-Riegel.

Und selbst wenn der Nachbar für 500 Colones pro Liter (ca 75ct) frisch gemolkene Milch verkauft, wird lieber das Dos Pinos Milchpulver in den Kaffe gekippt. 3 Familien im Dorf verkaufen Eier und trotzdem geht man in den Maxi Pali und kauft ein 25 Pack Eier. Wie kommt das? Woher kommt dieser Wunsch sich zu distanzieren von der traditionellen Weise zu Leben?

Costa Rica lässt einen irgendwie ratlos zurück.

Aber dass Costa Rica auch anders kann, wird mir immer wieder vor Augen geführt und lässt mich hoffen: Wöchentliche Bio-Märkte, Frauengruppen die hochinteressiert an Diskussionen über gute Böden teilnehmen oder eine alte Dame im Dorf, die mir erklärt wie ihr Wurmkompost funktioniert.

Bestandsaufnahme 5 Monate spaeter (dieser Blogbeitrag war zwischendurch irgendwo in den Tiefen meines Computers verschwunden):

Meine Meinung zur Gesellschaft dieses verworrenen Landes hat sich nicht geaendert, hat aber sehr viele Perspektiven dazu gewonnen. Ja, Konsum und Kapitalismus haben mit Pauken und Trompeten Einzug in das Leben der Ticos gehalten, das Auto wird fuer jeden Weg genutzt sei er auch nur 200 Meter weit. Und ich provoziere grosse Augen und ein leicht verunsichertes Laecheln wenn ich meiner Gastfamilie erklaere, dass ich regional und so weit es geht vegan leben moechte. Der running Gag ist mir immer wieder Huehnchen anzubieten, woraufhin ich jedes Mal antworte "Nein danke wie immer bin ich sehr zufrieden mit meinem Gemuese". Ich koche manchmal meine Rezepte fuer sie - die Antwort ist ein unangenehmes rumstochern im Essen und dannach der ganze Biomuell voll mit Essensresten, obwohl ich ausdruecklich gesagt habe, dass ich die Reste auch morgen essen kann. Und so versuche ich zu verstehen, was sich dahinter verbirgt. Was macht ihren Lebensstil so komplett anders als den meinen? Wo gehen wir auseinander und vor allem: wie koennen wir unsere Leben verbinden ohne dass der eine immmer komplett verstaendnislos auf den anderen schaut?

Ich habe Ticos getroffen, die auf Bio-Maerkte gehen, denen nachhaltiges Leben wichtig ist. Das Problem ist: ich habe in meinen nun 8 Monaten hier weit mehr Auslaender getroffen, die diesen Lebensstil froenen. Natuerlich kommt zu dieser Situation hinzu, dass der finanzielle Status eines Auswanderes der in Costa Rica (dem teuersten Land Zentralamerikas) lebt, weitaus hoeher ist als der des durchschnitts Ticos. Dennoch geht es in manchen Faellen nicht um die Geldfrage, wie bei der Milch im Dorf. Das Tetrapack aus dem Supermarkt kostet naemlich mehr.

Also schaue ich zuert mal in mich hinein. Wieso lebe ich zo wie ich lebe zufriedener, als wenn ich den Lebensstil meiner Gastschwester fuehre. Ich wurde die ganzen 19 Jahre meines Lebens zu einem Menschen erzogen der gerne draussen ist. Meine Eltern haben mir frueh erklaert was die Natur fuer mich als Mensch bedeutet, haben mir gezeigt wie ich in Beziehung zu ihr stehe. Das mir das Holz das mein Vater aus dem Wald holt Waerme gibt, dass die Pilze, die wir sammeln mich satt machen, dass man im Wald schlafen kann ohne Angst zu haben. Ich habe Dokumentationen ueber Umweltzerstoerung gesehen, meine Mutter hat mir erklaert, wofuer Regenwald abgeholzt wird und ich habe aufgehoert Fleisch zu essen. Ich habe mit 13 von der Greenpeace-Jugend in meiner Nachbarstadt gehoert und wollte Menschen treffen die so aufgewachsen sind wie ich und habe mich dort gut gefuehlt weil ich nicht nur Informationen erhiehlt, sondern tatsaechlich etwas gemacht habe. Etwas was man ansehen und anfassen konnte ganz egal wie viel es am ende bringt. Ich bin ueberall hin mit dem Fahrrad gefahren, habe auf Flohmaerkten und in Secondhandlaeden gekauft und wenn es das Geld zuliess auch mal im Reformhaus.

All das hat mir erlaubt zufrieden zu leben OBWOHL ich Bananen gegessen habe, mir dieses eine Paar Schuhe neu gegoennt habe oder meinen Bruder per Flugzeug besucht habe. Das alles hat meinen inneren Drang nach einem nachhaltigen Leben DAMIT ich gluecklich leben kann, gestillt. Hier hat sich das noch verstaerkt und ich will und muss mein Leben noch mehr anpassen, um wieder zufrieden mit ihm zu sein. Ich will umweltfreundlich leben, damit ich zufrieden auf dieses Leben schauen kann. Gleichzeitig faellt es mir schwer wieder umzudenken.

Genau wie meine Gastfamilie mich verstaendnislos anstarrt, wenn ich freiwillig auf das Angebot im Auto ins 1 Kilometer weit entfernte Stadtzentrum zu fahren verzichte, stehe ich mit offenem Mund da, wenn ich die mini Chipstüten auf dem Tisch liegen sehe oder wenn ich wieder Plastik im Kompost finde. Ich bin tief ueberzeugt davon, dass mein Lebensstil der richtige ist. Felsenfest und lebenslang. Aber so ist das doch bei jedem. So sind sie felsenfest ueberzeugt, dass ich einfach ein bisschen spinne, zwar liebenswuert aber eben nur noch so ein Hippie aus Europa. Es faellt mir so schwer die Perspektive zu aendern. Ich merke, wenn ich zu lange mit anderen spinnenden Hippies zusammen bin, wie ich den Blick auf die Realitaet verliere und wie es mich ueberrascht jemanden Fleisch kochen zu sehen. Wie ich aus meiner kleinen Blase die ganze Welt mache. Aber wohin fuehrt mich das nun als Mensch? Wie muss ich mich veraendern um nicht zu weit vom Rest der Gesellschaft wegzudriften und alles was sie tun als falsch und schadend anzusehen? Wie kann ich in Harmonie leben mit meinen Mitmenschen ohne mich abzugrenzen oder ueber sie zu stellen.

Aber wenn ich mit den Kindern am Fluss stehe und sehe wie begeistert sie Muellaufsammeln, wie schnell sie verstehen dass ihre Kuechenabfaelle den Pflanzen beim wachsen helfe, da denke ich wieder dass eigentlich jeder Mensch den Drang hat, harmonisch und nah mit der Natur zu leben. Ihre Naehe zu spuehren und ihre Geschenke warzunehmen. Und so komme ich nicht umhin mich zu fragen, ob manchen Menschen einfach jemand fehlt, der ihnen zeigt was es alles zu erdecken gibt, wie zufrieden man leben kann. Aber ist das nicht wieder meine Sicht anderen Seelen aufzustempeln, wo ich doch gar nicht weiss, wie diese funktionieren?

Und ist mein Wunsch, ihnen meine Sicht verstaendlich zu machen nicht am Ende der egoistische Wunsch mich in einer Gesellschaft zu bewegen, die genau so denkt wie ich, in der ich mich also wohler fuehle und mein Wohlbefinden gestaerkt wird?

Manchmal drehen meine Gedanken unendliche Kreise.

Ich will nicht staendig verurteilend leben. Ich will Menschen leben lassen wie sie es sich fuer sich wuenschen. Und wenn ich ihnen mit irgendetwas eine Inspiration sein kann, ist das genau wie ich sein moechte.

Am Ende sind wir alle alle alle Menschen, ein und die selbe Art, ein und das selbe Wesen. Niemand ist besser oder schlechter, groesser oder kleiner, spinneder oder Vernuenftiger. Wir sind alle auf der Suche - auf der Suche nach einem erfuellten Leben. und Beisammensein. Und muss ich nicht erkennen das der Ausdruck "erfuelltes Leben" 7 Milliarden verschiedene Definitionen hat?

Danke fuers bis zum Ende mitlesen (falls jemand hier unten ankommt) und entschuldigt den ausschweifenden Ausflug in die verstrickten Labyrinthe meines Kopfes!

BlogNo:14

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