Jedem sein persönlicher Chirripó

von 17 radka  

Der Vólcan Chirripó ist mit seinen 3800 Metern der höchste Berg des kleinen Landes Costa Rica. Perfekt mittig liegt er zwischen Karibik und Pazifik. Hanna, Philipp und ich hatten uns vor einigen Monaten entschlossen diesen sagenumwobenen Berg zu besteigen.

Fragt man die Ticos nach ihm hört man eigentlich immer nur den Ausruf 'Ay, que puta frío!' (Was für eine verdammte, scheiß Kälte!). Es hätte uns eine Warnung sein können und sollen.

So stehen wir an einem Freitag Abend um 8:40 vor dem Schild, dass uns den Eingang zum Sendero verrät. Rücksäcke geschultert, zu wenige Taschenlampen auf dem Kopf und voller Tatendrang. Der Plan: 20 min/km, mit einer Pause alle 3-4 Kilometer, so dass wir in 8 Stunden pünktlich zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel stehen. Bis dahin haben wir 2300 Höhenmeter hinter uns gelegt.


Tipesquintle

Und so beginnt der große Marsch. Die erste Hütte kommt bei Kilometer 7. Moises unser 'Guide', macht einen Power-Nap. Wir steigen weiter auf. Da ich davor gefragt habe, flüstert Moises mir bei Kilometer 9 zu, dass wir jetzt den härtesten Teil des Weges gehen (eine infame Lüge!). Da wir des nachts gehen, kreuzen immer wieder kleine Tiquesquintle unseren Weg (nachtaktive große Meerschweinchen). Mit jedem Meter werden die Lichter kleiner, die Gemeinden des Valle del General erstrecken sich unter uns und die Sterne über uns.

"Jetzt kommt die 'Cuesta Bereuen'" warnt uns Moises. Und er lügt nicht. 2 Kilometer durchgehend steiler Anstieg. Der ganze Körper beweist wie lebendig er ist. Das pochende Herz, die arbeitende Lunge, Beine die sich von selbst immer und immer wieder heben.


Wenn dann endlich die Sonne kommt

somos voluntarios de Alemania

Im Gipfelkrater fallen die Temperaturen bis kurz vor Sonnenaufgang. Frost ziert das karge Gras. Dafür habe ich definitiv NICHT die richtige Kleidung mitgenommen und so wird die letzte Stunde bis die Sonne sich zeigt eine Qual.

Wir wärmen uns wie Pinguine aber das langsam rot-gold Färben des Himmels verrät das näher kommen der Sonne. Es gibt einem Kraft weiter zu gehen, die letzten 2 Kilometer zum Gipfel. Der letzte Anstieg, der steilste bisher, aber auch der angenehmste denn jetzt lässt einen die Sonne fliegen, jetzt erstreckt sich unter einem keine schwarz Leere sondern eine mit Gold durchflutete Berglandschaft, Seen die das Blau des Himmels wiederspiegeln, Wolkenmeere bis zu den Gipfeln des Valle Centrals, über dem Pazifik, über dem karibischen Meer. Der schönste Platz den ich in diesem Land bisher gesehen habe - und das ist jetzt eine schlechte Aussage für eine ProREGENWALD Freiwillige: aber irgendwie ist es auch mal schön, keine Bäume um und über sich zu haben.

Wir gönnen uns auf dem Gipfel einen schweizer Käse, reißen, high von der dünne Luft und dem wenigen Schlaf, dumme Witze und genießen die Wärme auf unseren Gesichtern.

Der Abstieg erfolgt entspannt. Wir sind zwar schneller unterwegs, machen aber viele Pausen und das ein oder andere Schläfchen. Die letzten 2 Kilometer dehnen sich als ob die Zeit zu zähem Kaugummie geworden wäre, hinter jeder Kurve erhofft man das Ende, die Konzentration sinkt, Beine und Knie wiederholen nur noch 'No, gracias. No, gracias.'. Aber irgendwann, da stehen wir wieder unten. Dort wo wir 18 Stunden früher in stockdunkler Nacht mit dem Aufstieg begonnen haben, als dieser Moment des Endes noch so unendlich weit weg erschien.


Suchbild: Wie viele Menschen schlafen auf diesem Bild?

Irgendwie ist dieser Weg für mich eine große Metapher für meine Zeit in Costa Rica. Komplett unvorbereitet und schlecht ausgerüstet macht man sich auf in ein unbekanntes Abenteuer, man schätzt so mas o menos (nicht por!) ein, was man benötigt, liegt aber in den meisten Fällen daneben. Man vertraut auf sein Bauchgefühl, schindet sich, macht weiter, ist überglücklich oder komplett fertig.

Dieses Schwanken von extremen Gefühlslagen, extremer Freude lebendig zu sein, absolute Motivationstiefs, Erschöpfung, aber ein unvergessliches und unvergleichliches Erlebnis durch viele verschiedene Landschaften bis hin zum goldenen Abschluss. Und auch dass man nicht alleine ist, natürlich gehen am Ende die eigenen Beine den Weg, aber das, was einem hilft, sind die aufmunternden Blicke, die geliehene Jacke von Philipp, das Pflaster und das Handtuch von Hanna, die Cornflakes von Moises. Andere Menschen bringen einem zum Lachen, geben Optimismus und eine neue bisher nicht erkannte Perspektive. Menschen vervollkommnen das Leben. Und schweizer Käse.

Ich schaue in die Gesichter der anderen, sehe Erschöpfung, Erleichterung und Stolz als Spiegel meiner eigenen Gefühle. Zwar hassen unsere Knie uns jetzt und lassen es uns genüßlich am selben Abend spühren aber doch tragen sie uns noch zum wohl verdienten Pizzaessen.

Und irgendwas sagt mir, dass das nicht mein letzter Besuch auf dem höchsten Berg des Landes war.

Was für ein Tag, was für ein Berg, ist es nicht erstaunlich was diese Welt alles bereit hält? Und für was unsere Körper geschaffen sind?

Und so haben wir doch alle unseren persönlichen Chirripo, ein Ziel, das es gilt zu erreichen wo aber das beste daran doch immer der Weg ist, Höhen und Tiefen, Energieschübe und Depressionsphasen alles bis die Sonne aufgeht und wir oben stehen, Arme in die Luft und so laut jubelnd dass es die ganze Welt hört.

Danke.


Der schönste Ort des Landes

Glücklicher Gipfelgang

BlogNo:16

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