Es hängt ein Schaf im Baum

von 18 emily  


Seit rund einem Jahr bin ich jetzt Vegetarierin. Dass diese Ernährungsweise nicht immer auf Verständnis trifft kenne ich schon aus Deutschland. Und dass das Verständnis in Costa Rica noch kleiner sein wird, darauf war ich auch vorbereitet.


Dass ich aber mit der Zucht von Masttieren direkt in Kontakt komme, das habe ich vor dem Antritt des Freiwilligendienstes nicht bedacht. Jetzt lebe ich im Grunde an einem Ort, an dem Massentierhaltung betrieben wird und frage mich oft, inwieweit das eigentlich mit meiner Lebenseinstellung zu vereinbaren ist?


Um zu Anfang erstmal die Situation hier zu erklären möchte ich das Ende meines ersten Blogartikels aufgreifen. Mittlerweile haben schon vier der ehemaligen Schweinestätte ein aus abgehackten Bäumen und Wellblech zusammengeschustertes Dach. Auch aus Brettern zusammengenagelte Türen haben alle Ställe mittlerweile. Neben den überdachten Ställen werden auch noch ein weiterer für den Ziegenbock allein und ein anderer immer mal wieder als „Notstall“ genutzt.


Die Ställe an sich im Überblick.


Aus anfangs ungefähr sechs Schafen wurden mehr und mehr, es kamen noch drei Ziegen dazu und mittlerweile wurden schon zehn Lämmer geboren. Und so sind wir derzeit bei ungefähr 28Tieren, die in den Ställen leben.


Leider haben wir nicht nur neue Tiere dazu gewonnen, sondern auch manche von ihnen auf unserem Weg verloren. Dass man in einem Land mit tropischem Klima keine Wollschafe hält, erschließt sich aufgrund der Temperaturen schnell. Auch Milch geben die Tiere nicht wirklich ab, weshalb auch die Milchproduktion rausfällt. Übrig bleibt der Verzehr der Tiere. Und so kam es an einem Tag zu der Situation, in der unser Chef einen Ausflug zu einem Gartenprojekt vorhatte. In der Zwischenzeit sollte unser Kollege eines der besser gefütterten Schafe für den Verzehr bei einer Versammlung der Organisation töten.


Und so kam es, dass wir zurück zur Finca kamen und das tote Schaf an den Hinterbeinen angebunden in einem Mangobaum hing. Der Anblick ist wahrlich kein angenehmer. Aber denkt darüber wirklich jeder nach, wenn er Fleischprodukte konsumiert? Denken alle an das Leben, das einst in diesem Lebensmittel geherrscht hat?


Im Grunde nimmt einem das Produkt, welches man im Supermarkt kauft, doch eigentlich den genauen Bezug zu der Herkunft und zu dem Ursprung. Man sieht ein rosa-rotes Stück Fleisch, das ein Lebensmittel ist. Aber wie oft nimmt man sich die Zeit und den Mut über die lieben, großen Augen nachzudenken, oder das Blut, welches aus dem leblosen Körper dort im Baum auf die Wiese tropft? Vielleicht würde die Massenproduktion des Produkts Fleisch zurückgehen, wenn sich jeder darüber zwischendurch mal Gedanken machen würde.


Was mir bei der Arbeit mit den Schafen vor Augen geführt wurde ist außerdem der umweltliche Aspekt. Ein Schaf reicht für ein- oder zwei Versammlungsessen. Wohingegen die Menge an Futter, die ein gesamtes Schafleben lang an das Tier gefüttert werden müssen, riesig ist. Das bedeutet folglich, dass die benötigte Fläche für ein Stück Fleisch allein durch den Futteranbau groß ist.


Guanacaste, das Bundesland in dem unsere Finca liegt, steht für die Kuhzucht. Dies zeigt sich auch stark in dem Landschaftsbild: Der Wald und das funktionierende Ökosystem weichen wenigen Bäumen und viel abgeholzter Fläche, um noch mehr Platz für die Viehzucht bereitzustellen. Hier ist sicher auch wichtig anzumerken, dass die Abholzung nicht nur für Futtermittelverbraucher in Costa Rica, oder auf ehemaliger Regenwaldfläche in gesamt Mittel- und Südamerika stattfindet. Ein Großteil der z.B. Sojaerträge wird auch in europäische Länder verschifft, was die Ökobilanz eines in Europa verzehrten Stücks Fleisch wegen der CO2-Bilanz beim Transport nochmals verschlechtert.


Der Ziegenbock der Hölle.

Der Stall, in dem die Mütter mit den Lämmern stehen.


Wenn die Schafe in unserem Fall artgerecht gehalten werden würden, dann wäre auch die beanspruchte Weidefläche sehr groß. Die Lösung zu diesen Problemen ist bei uns eine weniger artgerechte Haltung. Ungefähr fünf Tiere teilen sich je einen Stall von ca. fünf Quadratmetern. Diesen Stall verlassen die Tiere in der Regel nur, wenn sie verkauft oder getötet werden. Das Futter müssen wir für vergleichsweise viel Geld einkaufen, weil die Finca nicht annähernd so groß ist, als dass man genug Futtermittel für so viele Tiere anbauen könnte. Durch den hohen Preis des Heus wird damit auch sparsam umgegangen. Die meisten Tiere waren stark untergewichtig, als sie zu uns gekommen sind und auch jetzt haben wir noch das Problem, dass viele Tiere zu dünn sind.


Tiere haben uns aber nicht nur verlassen, weil sie in den Mangobaum gehängt werden sollten. Eines Morgens wollte ich zum Schafstall laufen und im Baum hingen an zwei Seilen noch die Füße und der untere Teil der Beine eines Schafs. Unser Kollege erklärte mir, dass eines der Tiere nachts mit einer Leine an einen Baum angebunden war. Dieser Bock hat sich dann beim Fressen mit der Leine um den Baum und andere Unebenheiten in seinem Umkreis gewickelt und sich schlussendlich selbst erwürgt. Sein Fleisch wurde bis zur nächsten Veranstaltung im Gefrierfach aufbewahrt.


Einen anderen, tragischen Verlust haben wir außerdem vor wenigen Wochen erlebt. Eines Sonntags waren Maurice und ich allein auf der Finca und sollten uns um die Schafe kümmern. Im Stall sahen wir, dass ein neues Zwillingspaar geboren wurde. Die beiden lagen klein und gebrechlich am Boden, während die Mutter etwas verwirrt durch den Stall gelaufen ist. Die Kleinen hat sie dabei nicht trinken lassen und auch nicht nach ihrer Geburt sauber geleckt. Sie selbst trug noch bis zum nächsten Morgen ihre Plazenta zur Hälfte in sich, sodass wir uns Sorgen machten, sie würde die Nacht nicht überleben. Am dritten Tag war unser Vorarbeiter dann wieder zurück und brachte uns ein lebloses Lamm. Das eine, kleinere der beiden war sehr schwach, weil die Mutter sie noch immer nicht trinken ließ. Mit all unseren Mitteln versuchten Maurice und ich einen gesamten Vormittag lang das Tier wieder zu stärken, leider kam diese Hilfe zu spät. Mittags lag die Kleine dann auf der Couch, der letzte Funken Energie war gewichen, nachdem sie eine halbe Stunde lang unkontrolliert gekrampft hat. Tod. Dieses neue, kleine Leben. Auf unserer Couch, eingewickelt in ein Handtuch und abgestoßen von der Mutter. Warum haben wir nicht früher schon gehandelt? Warum konnten wir sie nicht retten?


Das Problem sind die wenigen Mittel, mit denen wir arbeiten mussten und die Natur der Sache, die gegen uns gearbeitet hat. Denn so traurig es auch ist, verstoßene Babys haben einen viel schwierigeren Start ins Leben und die Chance zu überleben ist gering. Neues Leben und auch das Ende von Leben sind Dinge, an die ich mich hier schnell gewöhnen musste. Egal, ob es das natürliche, oder das von Menschenhand erzwungene Ende ist.


Der Zwillingsbruder des verstorbenen Lamms hatte mehr Glück. Mit der Flasche haben wir ihn anfangs unterstützt und er wurde kräftiger. Auch jetzt sieht man ihm noch an, dass er in seiner Entwicklung etwas hinter den Anderen liegt, aber er lebt und hüpft durch den Stall. Die Namenskreation „Sven-Lukas“ entstand und Maurice und ich haben einen Freund gefunden, der auf unser Rufen hört und zu uns kommt und sich auf unseren Armen einkuschelt und dann einschläft.


Eine andere Sache, die ich über Viehzucht lernen musste, ist der Umgang mit den Tieren. Klar, man bildet sich nicht ein, dass mit Nutzvieh genauso umgegangen wird, wie mit viel geliebten Haustieren in Deutschland. Aber wenn man dann das erste Mal richtig damit in Kontakt kommt, ist es nochmal etwas anderes. Unser Kollege erzählt uns zum Beispiel oft, dass Ziegen sehr schlechte Tiere sind, weil sie alles fressen. Außerdem haben sie seinem Glauben nach nicht die Möglichkeit in den Himmel zu kommen, sondern sind Tiere des Teufels. Wenn ein Schaf mal woanders hinläuft, als er das plant, dann hat er auch gerne mal einen Stock in der Hand, mit dem den Tieren dann mit Hilfe eines Stockhiebs die richtige Richtung gezeigt wird. Oder wenn die Tiere einfach neugierig durch die Lücken der Türen schauen, auch dann kann es vorkommen, dass überschüssige Energie des Kollegen mit einem Klaps auf einen Schafskopf abgelassen wird.


Zwei der Jungschafe aus dem Maststall, die neugierig ihre Nasen raushalten. Da wird dann gerne mal ein Klaps draufgegeben.


Was ich hier aber unbedingt betonen möchte ist, dass dieses Bild der Viehzucht kein costa-ricanischer Ausnahmefall ist. Egal, ob hochmoderner Kuhstall, oder mit Wellblech überdachter Schafstall: Oft werden die Tiere mit wenig Respekt behandelt. Egal in welchem Land. Auch ein Biosiegel oder ein nettes Bild auf der Verpackung im Supermarkt bedeuten nicht, dass der Inhalt glücklich war und mit ein wenig Respekt behandelt wurde.


Der grundsätzliche Verzehr von Fleisch- und aber auch sonstigen tierischen Produkten ist rein kulturell ein fester Bestandteil der deutschen und auch costaricanischen Küche, weshalb ich auch nicht den Zeigefinger in die Höhe strecken möchte und den Verzehr voll und ganz verteufeln möchte.


Und wer weiß, vielleicht werde ich auch noch in diesem Jahr wieder ein Konsument? Meiner Meinung nach aber gibt es einen Unterschied zwischen dem täglichen, unkontrollierten und unreflektierten Konsum und einem bedachten, seltenem Konsum. Der Körper braucht nicht morgens Wurst auf dem Brot, danach noch ein fleischhaltiges Mittagessen und zum Abendbrot noch ein Würstchen. Und ein selten verzehrtes Produkt kann auch mehr genossen werden, als eines, das selbstverständlich ist.

BlogNo:04

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