Die Sinnhaftigkeit des Hierseins

von 18 jurek  

Das Dorf macht zurzeit eine sehr schnelle Entwicklung durch, immer mehr Familien haben ein Solarpanel und Akku. Sie haben also Strom für Licht und je nachdem wie groß das Panel ist auch Handy, Computer, Fernseher oder sogar Kühlschrank. Außerdem ist auch Infrastruktur am kommen:

So besteht die Möglichkeit, dass im Lauf meines Freiwilligenjahres das Dorf eine Straße und Signal hat. Beides ist in Planung. Normalerweise folgt ein bis zwei Jahre nach der Straße die Stromleitung. Damit wären sie dann ganz an die „Zivilisation“ angeschlossen. Logischerweise ist das einer der größten Wünsche der Leute hier. Die Frage für mich ist aber:
Was genau bewirkt das alles?

Eine der Antworten besteht aus einem Fußballspiel, dass ich mir hier angeschaut habe. Nivribödta gegen ein anderes Dorf. Nivribödta hat klar und verdient gewonnen. Der Ausgang war von Anfang an offensichtlich, da die Spieler von Nivribödta fast alle schlank und sportlich waren. Von denen des anderen Dorfes trifft dies auf keinen einzigen zu - das andere Dorf hat Strom, Signal und eine Straße. Das ist bestimmt nicht die einzige Ursache, aber auf jeden Fall eine.

Ein anderer negativer Effekt ist der unvermeidbare Anstieg des Energieverbrauchs. Der durch erhöhten Strombedarf und Autonutzung verursacht wird.

Ein positiver Effekt ist der Anstieg der Lebensqualität, beziehungsweise des Komforts.

Was für Veränderungen letztendlich stattfinden hängt jedoch nur von dem Verhalten der Leute hier ab.

Da es hier schon Fernseher, Filme, Werbung und andere Bilder von westlichen Lebenssituationen gibt, haben viele die gleichen Interessen, wie andere auch, bloß eben bis jetzt nicht die das Geld und den Zugang um sich die Konsumgüter leisten zu können. Meiner Meinung nach geht die Entwicklung wenn niemand entgegensteuert in diese Richtung. So meinte mein achtjähriger Gastbruder bei einem Bild, von einem Spielzeugladen voll mit billigem Plastik: das will ich alles haben.

Ich, als Freiwilliger will aber nicht dass es das alles hat oder auch nur alles haben will. Wobei ich keinerlei standhafte moralische Rechtfertigung habe, es ihm vorzuenthalten. Hiermit bin ich bei der Frage angekommen, was ich hier überhaupt mache.

Wo ziehe ich die Grenze zwischen meiner Tätigkeit, die ich ja gut finde, und überheblicher Bestimmung von außen, wie sie sich zu verändern haben?

Nach einer Weile Nachdenkens habe ich eine für mich (gerade eben) plausibel klingende Antwort. Der erste Unterschied ist, dass ich als Freiwilliger gar nicht in der Lage bin irgendetwas zu bestimmen, deshalb auch nicht ausversehen etwas aufzuzwingen. Zweitens bringe ich (bis jetzt) keine wesentlichen neuen Entwicklungsimpulse, sondern fördere nur bereits bestehende Gedanken, Gruppen und Aktivitäten. Somit erfolgt die einzige Beurteilung meinerseits, was ich fördere und was nicht, wobei ich fast alle Gemeinschaftsaktionen, die hier stattfinden für unterstützenswert halte. Das liegt darin begründet, dass mir das Gemeinschaftliche sehr wichtig ist, und dass ich somit alle aktive Arbeit, die in diese Richtung getan wird gutheiße. Meiner Meinung nach laufen die von mir unerwünschten Entwicklungen automatisch ab. Was bedeutet, dass niemand aufsteht und aktiv die Leute hier dazu anregt, nichts zu machen und die Umwelt zu verschmutzten. Zusammengefasst also: Inaktivität ist schlecht, deshalb unterstütze ich alle Aktivität. Da ich nur Einheimische unterstütze, kann ich nicht von draußen kommen und den moralischen Zeigefinger heben.

Eine andere Frage ist, ob ich hier überhaupt einen Effekt habe, was die Unterstützung wünschenswerter Entwicklung habe. Oder eher ob dieser Effekt den Aufwand, der begangen wird, um meinen Freiwilligendienst zu ermöglichen, rechtfertigt.

Ich weiß es nicht, gehe aber davon aus, dass schon. Ansonsten hätte ich auch erhebliche moralische Probleme damit hier zu sein.

Der Effekt ist zwar bis jetzt fast kein direkter. Die paar wenigen Situationen, in denen ich hier tatsächlich etwas erzählt oder gemacht habe fallen bisher kaum ins Gewicht. Jedoch bilde ich mir ein, dass schon meine Anwesenheit, Verhalten und offensichtliches Unterstützen von Gruppen die Leute hier animiert etwas zu tun, oder andere Möglichkeiten aufzuzeigen. Außerdem ist mein Jahr auch noch lange nicht vorbei.

Ob mein Ergebnis, dass ich sinnvoller Weise hier bin, tatsächlich objektiv richtig ist und wenn ja, meine Begründung halbwegs stimmt weiß ich natürlich nicht. Denn mein Gedankengang ist durchaus so aufgebaut, mein Hiersein zu rechtfertigen, da ich ein erhebliches Problem hätte, wenn ich das nicht hinbekommen würde. Dann bliebe mir bloß noch mein Egoismus, dass es für mich eine wunderbare Erfahrung ist.

Danke an alle die es bis hierhin durch meinen schrecklichen Schreibstil geschafft haben,

BlogNo:01

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