Lasst die Uhr auch mal langsamer ticken

von 18 sinan  

Meine Organisation (das CAP) hat über Weihnachten und Silvester eine Winterpause eingelegt, somit eröffnete sich mir die Möglichkeit andere Freiwillige in ihren Projekten zu besuchen, um mit anzupacken und hoffentlich viel zu lernen. Dazu möchte ich zwei Blog Einträge verfassen: diesen zu einigen Gedanken, die ich mir im Korridor gemacht habe und einen zweiten (siehe: Mein Besuch..) zu meiner Zeit im indigenen Territorium der Ngöbe im Süden Costa Ricas.

Burnout! Eine Krankheit, die es vermeintlich vor 70 Jahren noch gar nicht gab. Ich lasse an dieser Stelle mal dahin gestellt, ob sie einfach nur nicht diagnostiziert wurde. Aber seit einigen Jahren wird sie diagnostiziert und die Tendenz ist steigend. Und da muss man sich doch einfach mal fragen: Woran könnte das liegen?

Unsere Welt wird immer schneller. Traumvorstellung der Wirtschaft: Noch vor dem sechsten Geburtstag eingeschult, dank G8 mit 17 dann das Abi in der Tasche, 3 Jahre Bachelor, 2 Jahre Master und mit knackigen 22 Jahren rein ins Berufsleben. Meiner Meinung ist die logische Konsequenz daraus Burnout noch bevor man das dreißigste Lebensjahr vollendet hat. Dazu kommt dann noch, dass man dank Smartphone nicht nur jede Sekunde des Tages erreichbar ist, sonder auch dass man durch zum Beispiel Instagram und Facebook sich den ganzen Tag ansehen kann, wie viel besser das Leben der anderen doch ist. Was natürlich bloßer Schein ist. Dazu laufen wir durch graue Straßen, drängen uns in überfüllte Bahnen oder sitzen den nächsten Stau aus. Erholung heißt dann für viele Glotze an oder heutzutage vielleicht eher Netflix und das Gehirn einfach vollkommen ausschalten und langsam verblöden.

Vielleicht ist der Mensch dazu einfach nicht gemacht. Wir begegnen heute an einem einzigen Tag oft mehr Menschen als unsere Vorfahren (ich rede von vor tausenden und nicht von vor hunderten Jahren) in ihrem ganzen Leben gesehen haben. Diese dann auch noch meistens mit einem eher grimmigen als freundlichen Gesichtsausdruck. Allein die Vorstellung, dass das Selbstwertgefühl Vieler heute von digitalen Likes und Herzchen abhängt von Menschen, die man nicht mal mag oder gar nicht kennt, zeigt doch, dass irgendwo was schief gegangen ist. Der (westliche) Wahn von Deadline zu Deadline zu hetzen und sich tierisch darüber aufzuregen, dass man die Bahn verpasst hat, obwohl die nächste schon in 10 Minuten fährt, kann doch einfach nicht dem Seelenwohl beitragen.

Ich habe den Großteil meiner Zeit im Korridor in Grüppchen bestehend aus 2,3,4 Leuten verbracht. Es gab viele Tage, an denen der einzige Moment in dem ich die ungefähre Uhrzeit kannte, der Einbruch der Dunkelheit war. Mein Handy hatte ich nur das eine oder andere Mal in der Hand um Musik anzumachen. Internet, Social Media nicht existent.

Und mir hat diese Zeit im Grünen unglaublich gut getan. Es war Entspannung pur und glaubt nicht, dass ich nur faul in der Hängematte gelegen hab. Ich hab angepackt wo ich nur konnte und hab mich nach so einigen Tagen auf ein wohl verdientes Flussbad nach einem schwitzigen Arbeitstag gefreut. Und trotzdem war es erholend. Ich habe von den Problemen der Welt abgeschaltet, abgesehen von Gesprächen mit anderen Freiwilligen waren Bücher und die 2 kleinen Kätzchen das einzige Entertainmentprogramm, langweilig wurde trotzdem nicht.

Ich will mit dem ganzen nicht sagen, dass wir wieder als Jäger und Sammler in kleinen Familien durch die Wälder streifen sollten. Ich will damit auch nicht sagen, dass Großstädte nicht auch tollen Lebensraum bieten können oder dass jeder sein Handy im nächsten See versenken sollte.

Ich möchte ausdrücken, dass das Leben mehr Zeit bietet als uns der Leistungswahn der Gesellschaft weis machen möchte. Es bietet mehr als genug Zeit, die man sich auch mal für sich selbst nehmen kann. Und ich weiß Deadlines gehören zum Leben und auch ist es unrealistisch ohne Uhrzeit zu leben, aber ab und zu mal aus dem Alltagstrott ausbrechen, auch wenn es nur für ein paar Stunden oder einen Tag ist, kann wahre Wunder bewirken. Und vielleicht würde das ja schon langen damit man mehr lächelnde Gesichter als grimmige Mienen sieht, wenn man das nächste Mal durch die Stadt läuft.

BlogNo:07

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