Hilf mir!

von 18 jurek  

Indigene haben in Costa Rica, wie wahrscheinlich überall auf der Welt, viele Probleme. Meiner Meinung nach ist eines dieser Probleme, dass alle meinen, dass Indigene viele Probleme und Bedürfnisse (aus dem Spanischen: necesidades; meiner Meinung nach trifft es das Spanische etwas besser, da es objektiver ist) haben.

Es gibt von Ticos zwei unterschiedliche, häufige Reaktionen auf das Leben hier im Dorf. Die eine ist: “och die Armen, denen muss man unbedingt helfen“, die andere Erzählung ist:“ ich bin in genau so einem Dorf aufgewachsen, das hat sich total entwickelt und jetzt, jetzt hat es eine Straße, Strom und Signal“.

An sich sind beide Sichtweisen gut gemeint und auch nicht direkt schlecht oder falsch. Das Problem an sich ist bloß, das alle diese Einstellung haben, nichts Gegensätzliches in den Nachrichten verbreitet wird, und die Indigenen selbst es zu einem guten Teil glauben. Das hat bei mir zwei Überlegungen ausgelöst.

Erstens: Woher kommen diese Bedürfnisse (damit ist Straße, Strom und Signal gemeint)? Das Erste, was sie nutzen, wenn sie Strom haben ist ein Fernseher. Ist das wirklich ein Bedürfnis, dass sie selbst haben, oder ist das bloß entstanden, weil man von außerhalb mitbekommt, dass man den unbedingt braucht. Nicht ganz anders ist es mit einer Straße und Autos, Strom generell und Signal. Auch diese Bedürfnisse sind durch industrialisierte Prägung entstanden. Der Unterschied ist bloß, dass diese als allgemein nützlich betrachtet werden, mehr als der Fernseher.

Jedoch kann man jedes der genannten auch auf eine Art und Weise nutzen, die man als negativ ansehen kann. Nochmal anders ist es mit den Häusern. Früher hatten sie Hütten mit Dächern aus Palmblättern, diese waren zwar arbeitsaufwendiger und nicht zwangsläufig ganz dicht, aber unter den jetzt üblichen Wellblechhäusern kann man sich ,bei Sonnenschein, nicht aufhalten, es sei den man möchte einen Hitzeschlag. Trotzdem werden Häuser, die nicht so gebaut sind, nicht als „richtige“ Häuser angesehen.

Neben dem Ursprung der Bedürfnisse finde ich zweitens auch die Methode des Umsetzens ebendieser fragenswert. Hier im Dorf herrscht häufig die niemals offen zugegebene Einstellung darauf zu warten, bis einem jemand hilft. Häuser lässt man sich von irgendwelchen Organisationen finanzieren. Es wird seit vielen Jahren darum gekämpft, dass die Straße zu dem Dorf geschottert wird. Erst vor wenigen Wochen ist man auf die Idee gekommen, dass man selbst auf die matschigsten Stellen Steine schütten kann, in der Hoffnung dass es hilft. Zu dem Arbeitstreffen sind jedoch nur um die zehn gekommen, obwohl es ihr Leben häufig einfacher machen würde, ein weiteres fand auch (noch) nicht statt.

Wobei es zum Glück in dem Dorf einige sehr aktive Menschen gibt. Soweit ich das mitbekomme, ist in vielen Nachbargemeinden deutlich weniger los. Viele machen jedoch nichts für die Gemeinde.

Woher diese Einstellung gegenüber Hilfe kommt, weiß ich nicht. Meine Vorfreiwillige war aber überzeugt davon, dass das nicht unbeabsichtigt durch die Art der Regierungshilfe ausgelöst wurde. Inzwischen gibt es aber einige, die probieren dagegen anzugehen und Projekte zu verwirklichen. Eine Gruppe macht so viel, dass das langsam ins Bewusstsein sickern müsste, dass man auch etwas erreichen kann.

BlogNo:06

1 Kommentar

Kommentar von: Philipp [Besucher]

Hierzu eine kleine Anekdote, die sich in einer andern, ländlichen (nicht indigenen) Gemeinde in Costa Rica abgespielt hat:

Zwei Außendienstmitarbeiter des Landwirtschaftsministerium sind ins Dorf gekommen. Sie wollen einen Kurs abhalten. Das Thema: Anzucht von Setzlingen für Gemüsegärten.

Zu beginn des Workshops lausche ich folgender Konversation:

Dorfbewohnerin: “Wann bringen Sie uns denn wieder mal Pflänzchen mit?”
Kursleiter: “Das Programm des INDER (Institut für ländliche Entwicklung), über das wir bisher die Setzlinge bezogen haben, wurde abgeschafft. Dafür haben Sie heute die Möglichkeit zu lernen wie Sie selber Setzlinge aus Samen anziehen. Damit werden Sie unabhängig und können pflanzen, was Sie wollen und so viel sie wollen. Vielleicht startet ja sogar eine von ihnen ein kleines Gewerbe und verkauft Setzlinge an die Menschen aus den Nachbargemeinden. Wir haben mehrfach gehört, dass da Nachfrage besteht.”
Dorfbewohnerin: “Ah ja, gut.”

Nach zwei Stunden Workshop in Theorie und Praxis ..
Dorfbewohnerin: “Und wann bringen Sie uns jetzt die Pflänzchen? Mein Garten ist schon ganz leer.”

Nach Ende des Kurses rede ich mit dem Ministeriumsangestellten:

Ich: “Hast du das Gefühl, dass viele das Gelernte umsetzen werden?”
Er: “Das Problem ist, dass wir gar nicht gebeten wurden, diesen Kurs zu organisieren. Die Dorffrauen hatten eigentlich angefragt Pflanzen geschenkt zu bekommen, wie das früher gemacht wurde. Es ist schwer, den Menschen beizubringen, dass sich die Projekte verändert haben und wir heute anders arbeiten als noch vor ein paar Jahren.”

Zwei Wochen später fährt ein Pickup des Ministeriums im Dorf vor. Die Pritsche ist beladen mit Wannen voller Setzlinge, die unter den Dorfbewohnern verteilt werden.

Ich weiß nicht, ob diese Passivität von der du berichtest, wie Anna oder auch Miguel glauben, systematisch und bewusst erzeugt wurde, oder ob sie nur die unerwünschte Nebenwirkung einer fehlgeleiteten Politik von INDER und IMAS sind. Auf jeden Fall besteht die Herausforderung darin, das Gefühl zu verbreiten, dass jeder selbst in der Verantwortung ist, sich, zum Teil auch mit der Hilfe Anderer, aus seiner jeweiligen Situation zu befreien (so er das denn will).


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