Machismo

von 18 julia  

Noch nie war ich gesellschaftlich so normalisiertem Sexismus so bewusst ausgesetzt wie in diesem Freiwilligen Jahr. In Deutschland hatte ich mich persönlich nie wirklich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen oder mich wegen meines Geschlechts eingeschränkt gefühlt.

In Costa Rica fällt es mir um einiges schwerer, die so gesamtgesellschaftlich eingebettete Machismo-Kultur und den Sexismus zu ignorieren.

Würde ich mein Freiwilligen-Jahr in einer Großstadt wie San Jose verbringen, würde dieser Eintrag natürlich noch einmal ein wenig anders aussehen. Aber ich habe die letzten 8 Monate in einer ländlichen Kleinstadt verbracht … als Ausländerin. Gerade als Ausländerin war ich mit ungewollter Aufmerksamkeit, Pfiffen und Catcalling konfrontiert.

Trotz alldem war es aber ein Gespräch, das ich vor gerade einmal einer Woche hatte, das den bisher größten Eindruck hinterlassen und mir wirklich die Augen geöffnet hat.

Meine Gesprächspartnerin ist eine 45-jährige Costaricanerin, die gerne tratscht, Ruhe mag und am liebsten den ganzen Tag schlafen würde. Beim Mittagessen kamen wir auf das Thema Machismo zu sprechen und sie erzählte aus ihrem Leben. 45 Jahre wie aus dem Bilderbuch: Der patriarchalische Vater, die Zwangsehe mit einem älteren Mann seit Jugendtagen und das darauffolgende Leben als Hausfrau.

Sie ist in einem Haus aufgewachsen, in dem alle den Worten des Hausherrn zu folgen hatten. Man sprach wenn man dazu aufgefordert wurde, sonst nicht. Gewalttätige Ausbrüche ihrer Mutter und den Geschwistern gegenüber waren an der Tagesordnung. Mit acht Jahren nahm ihr Vater sie aus der Schule damit mit sie ihm bei der Arbeit auf der Finca helfen konnte. Mit 15 rief er sie an, sie würde in drei Tagen heiraten, es sei alles organisiert. Die Hochzeit sollte sie mit einem 25-jährigen Mann sein, den sie bis dato wenig bis gar nicht kannte. Sie fing an zu weinen, wollte widersprechen - aber welche Wahl hatte sie. Sie war ein Kind, hatte nichts Eigenes. Drei Tage später stand sie zitternd vor dem Alter neben einem 10 Jahre älteren Fremden.

Mit Beginn der Ehe war sie nun ein weiters Mal der Willkür eines Mannes ausgesetzt. Sie musste vom Elternhaus ausziehen und fortan bei seiner Familie wohnen. Als sie mit 18 ihr erstes Kind bekam, zogen die beiden in ihr eigenes Haus, in dem sie tatsächlich auch heute noch wohnt. Sie war verantwortlich für den Haushalt und die Kinder, ihr Mann kam meist erst spät abends von der Arbeit. Das Haus durfte sie nicht ohne Einverständnis ihres Mannes verlassen. Trotzdem erinnert sie sich glücklicher gewesen zu sein als vorher. Sie entdeckte die Handwerkskunst für sich, wandelte den Schuppen im Garten in eine Werkstatt um, die zu ihrem Zufluchtsort wurde, in dem sie abschalten und endlich das machen konnte, worauf sie Lust hatte.

Letztendlich war es dann auch die Kunst, die es ihr nach 15 unglücklichen Ehejahren erlaubte, sich von ihrem Mann zu trennen. Ein unglaublich mutiger Schritt von ihr, da das alles andere als üblich war und auch heute noch teilweise wäre. Von ihrer Mutter musste sie sich anhören, dass sie das nicht machen könne, sie seien schließlich durch die Eheschließung vor Gott ein ganzes Leben lang gebunden. Auch Freundschaften hätten darunter gelitten. Für sie war es aber genau der richtige Schritt und ein Weg erstmals ein Stück Weg Richtung Freiheit und Unabhängigkeit, die ihr so lange verwehrt geblieben war. Durch ihre Kunst hatte sie das Glück, sich selbstständig machen zu können und somit nicht mehr finanziell von einem Mann abhängig zu sein.

Etliche andere Frauen stecken noch immer in Zwangsehen fest, in denen sie nicht glücklich sind, mit Männern, von denen sie nicht respektiert, als minderwertig angesehen oder, schlimmer noch, in manchen Fällen misshandelt werden. Für die meisten dieser Frauen scheint es keinen Ausweg zu geben: das Gesetz ist, was häusliche Gewalt angeht, nicht sonderlich hilfreich. Frauen sind oft ungebildet, wissen nicht, was es für andere Möglichkeiten gibt. Die Arbeitsmöglichkeiten in dieser Kleinstadt sind begrenzt, es gilt für meist mehrere Kinder zu sorgen.

Dies alles, gepaart mit den in vielen Köpfen so tief eingebetteten, festgelegten Vorstellungen davon, was welches Geschlecht tun darf und kann, macht es noch schwieriger, sich sowohl finanziell als auch mental zu verselbständigen.

Für viele mag sie einfach nur jemand sein der aus einer unglücklichen Ehe geflohen ist, Ehen wie die ihre, gibt es hier zu Hauf. Eine erfolgreiche Loslösung und damit die Aussicht auf ein glücklicheres Leben, bleibt hingegen eher die Ausnahme.

Sie ist für so viele Frauen, ihre eigene Töchter und auch ihren Sohn ein Vorbild. Ein Vorbild dafür, wie sich Strukturen durch selbstbestimmtes Handeln ändern können, dass man gegen die gesellschaftlich vorgegeben Rollen ankämpfen kann und dass Frauen verdammt gut auch ohne Mann zurechtkommen können.

BlogNo:03

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