Trampersmalltalk

von 18 emily  

Ich stehe an einer Straße, die dorthin führt, wo ich gerade hinmöchte. Mein rechter Daumen zeigt in den Himmel, die Fahrzeuge rauschen an mir vorbei und ich habe mir ein Lächeln aufs Gesicht gesetzt. Sympathisch aussehen hilft bekanntlich immer.

Eine andere Taktik wäre müde und lange wartend auszusehen, das ist aber eigentlich selten mein Weg. Nach kurzer Zeit wird eines der Autos langsamer. Es könnte eigentlich fast jedes Fahrzeug sein. Ein großer, blitzeblanker Geländewagen, oder ein kleines klappriges Auto, mit dem man vor 20 Jahren schon keinen TÜV mehr in Deutschland bekommen hätte. Ein sehr teures Auto, beispielsweise einer deutschen Marke, ist es aber in den aller seltensten Fällen.

Durch das Autofenster sage ich, wo ich ungefähr ankommen möchte und der/die FahrerIn lädt mich mit einem "Vamos!" in das Auto ein. Obwohl man hier auch sagen muss, dass es überwiegend Männer sind, die anhalten, als allein fahrende Frauen, wahrscheinlich wegen des Risikos. Und dann geht der Gesprächskanon los, den wahrscheinlich jeder Freiwillige mittlerweile schon im Schlaf beantworten kann, vom Trampen oder aus anderen Unterhaltungen mit neuen Leuten. "Und, woher kommst du?" "Wie lange bist du denn schon in Costa Rica? "Und wie gefällt dir Costa Rica?" Oft kommt dann auch das Kompliment, dass mein spanisch aber schon wirklich gut ist, dafür dass ich es erst seit ein paar Monaten lerne. Ich wünschte sie hätten Recht damit, meine Sprachkenntnisse haben sich leider weniger zu meiner Zufriedenheit entwickelt, dem stumpfen Smalltalk kann ich trotzdem folgen und antworten.

Weil ich eine Frau bin, kommt auch oft die Frage, ob ich einen Freund (novio) in Deutschland hätte. Weil das nicht der Fall ist, wird dann weiter gefragt, ob ich denn mit einem Tico zusammen wäre. Hier ist auch schon ein Unterschied zwischen der deutschen und der costa ricanischen Kultur zu erkennen: Während man meist erst nach reichlicher Überlegung und gutem Kennenlernen in Deutschland jemanden als seinen Partner bezeichnet, wird hier schon in der Kennenlernphase oder bei reinem Interesse an einer anderen Person von „Novio/-a“ geredet. Nur, weil man vergeben ist heißt im Umkehrschluss dann aber auch nicht, dass andere nicht auch versuchen könnten, die Person noch für sich zu erobern. Folglich gibt es auch öfter Geschichten darüber, dass jemandem der Partner „ausgespannt“ wurde.

Eine weitere verbreitete Frage ist, wie alt ich sei. Weil ich mit meinen 18 Jahren noch ziemlich jung bin, folgt dann oft eine Unterhaltung darüber, dass es für eine Tica in meinem Alter unvorstellbar wäre, dass ihre Eltern sie so weit weg gehen lassen würden und dann auch noch trampen lassen würden. Ob meine Eltern nicht Angst um mich hätten? Klar, sind meine Eltern nicht begeistert vom Trampen und auch von Seiten Pro REGENWALDs wurden wir schon oft gewarnt und gebeten es nicht zu übertreiben, mit den Mitfahrgelegenheiten und eher auf die Busse zurückgreifen sollten.

Bei der Elternfrage ist ebenfalls ein weiterer Unterschied zu erkennen: Während viele junge Leute hier sehr behütet aufwachsen und oft noch stark von ihren Eltern kontrolliert werden, gibt es in Deutschland gesamt betrachtet viele junge Leute, die sich gleich nach dem Abschluss auf ihren Weg machen, um etwas anderes als ihren Heimatort zu sehen. Dies hat zur Folge, dass ich z. B. meine Familie ein Jahr nicht sehe.

Sicher war es auch für meine Eltern nicht einfach, mich gehen zu lassen und sie freuen sich auch schon seit ich gegangen bin, auf den Moment, an dem ich zurückkomme, aber grundsätzlich wurde ich immer zu Selbstständigkeit erzogen und ermutigt allein meinen Weg zu gehen. „Pass aber immer gut auf dich auf, es gibt viele Menschen hier in Costa Rica, die nicht nur gutes im Kopf haben“, werde ich von den Fahrern oft gewarnt.

Vor allem die Warnung vor Menschen aus Nicaragua ist auch sehr verbreitet. Hier herrscht bei vielen Costaricanern ein Misstrauen den Menschen aus dem Nachbarland gegenüber. Sie würden Frauen töten, vor allem weiße Touristinnen, habe ich schon öfter erzählt bekommen. Manchmal ist es aber wirklich schwierig sich anderweitig fortzubewegen und ich persönlich mag auch den, zugegebenermaßen gelegentlich etwas stumpfen, Austausch mit neuen Menschen. In den vergangenen Monaten habe ich so sehr viele Leute getroffen und konnte mich, mal mehr mal weniger tiefgreifend unterhalten.

Mit manchen teile ich nur wenige Minuten, wenn ich auf ihrem Beifahrersitz oder der Rückbank sitze. Mit manchen gehen die Gespräche auch nicht weiter als „Hola“ und „Hasta luego“ und wohin man fahren möchte. Bei anderen aber entstehen über den Anfangssmalltalk sehr interessante Gespräche, vor allem seit mein Spanisch besser ist. Vor gar nicht langer Zeit wollte ich an einem freien Sonntag zum nächsten Strand fahren. Mein erster „ride“, wie man die Mitfahrgelegenheiten hier nennt, war ein Lehrer von der Universität. Auf die Frage, wie ich heiße, folgte nicht das Übliche, sondern eine Unterhaltung über das Unterrichten von Schülern und Studenten, über Politik und Geschichte. Und das alles auf einer vergleichbar kurzen Strecke von 10 km. Danach musste ich mir einen anderen ride suchen. Dieser war ein gläubiger Familienvater, der erst mit mir über Religion und meinen Atheismus geredet hat und danach seine Gedanken über seine 14-jähige Tochter geteilt hat. Er erzählte mir, dass es ihn erschrecke, wie früh junge Mädchen schon romantische Beziehungen hätten heutzutage, vor allem zu älteren Männern, und seine Sorge um seine Tochter wurde schnell klar. Auch das Thema schwangere Minderjährige kam auf und er hatte großes Interesse daran, zu erfahren, wie das in Deutschland ist. An dem Punkt, an dem er eigentlich in eine andere Richtung abbiegen wollte, als ich, ist er gerade aus weitergefahren und hat mich noch bis zu meinem Ziel, direkt an das Meer gebracht. Er riet mir noch, dass ich auf mich aufpassen solle und, dass er einen ein Engel, wie mich nicht einfach am Straßenrand aussetzen könne (ich denke wegen meiner blonden Haare).

Auf den Rückweg habe ich mich dann nur gemacht weil es plötzlich angefangen hat, sehr stark zu regnen. Ich rannte so schnell ich konnte bis zur Bushaltestelle am Ortsausgang, trotzdem wurde ich total nass. Der Bus kam nicht und ich wurde trotz der Haltestelle nasser und es wurde kalt. Also entschloss ich mich zu trampen und trotz meiner nassen Anziehsachen wurde ich schnell mitgenommen. Der Mann fuhr extra für mich einen riesigen Umweg, weil er wusste, dass ich nass wie ich war nur schwierig noch eine Mitfahrgelegenheit finden würde. Auch er war Familienvater, jedoch überhaupt nicht konservativ und deshalb hat er mir auf der Fahrt von der Trennung seiner Exfreundin erzählt und von ihrem gemeinsamen Kind. Auch von seinen anderen Kindern aus vorhergehenden Beziehungen habe ich einiges erfahren und von den Problemen mit ihnen engen Kontakt zu halten.

Unter den Freiwilligen haben wir manchmal auch die Diskussion, ob das Trampen an unserer Stelle nicht eigentlich sehr dreist ist. Wir kommen aus einem reichen Land und könnten uns den Bus eigentlich leisten. Trotzdem trampen einige und müssen somit kein Geld ausgeben. Ich habe darüber auch lange nachgedacht und sehe die Argumente beider Seiten. Positiv ist nämlich, dass ein noch weit gefächerter Austausch der Kulturen stattfindet. Ich lerne mehr über Traditionen und die Denkweise der Costaricaner, aber die Interessierten erfahren auch etwas über Deutschland, ein sehr weit entferntes Land, von dem viele noch nicht sehr viel wissen und über meine Lebensweise. (Z.B. dass die Begrüßungsform der Nazis im dritten Reich nicht die ist, mit der man jeden Deutschen grüßen sollte und, dass nicht jeder Deutsche Nazi ist, aber auch viele andere Dinge über das Klima und die Flora und Fauna Deutschlands.)

Viele Autofahrer finden es einfach interessant, jemanden auf ihrer Fahrt dabei zu haben oder anderen zu helfen und freuen sich über Unterhaltungen, genau wie ich.

Eine Sache, weshalb ich eine Zeit lang nicht mehr unbedingt trampen wollte, war dass ich mich gelegentlich, übertrieben ausgedrückt, wie eine Sexarbeiterin gefühlt habe, wenn ich da am Straßenrand stand und jedem vorbeifahrenden Auto aufgefallen bin. Dass da auch gehupt wird, oder aus dem offenen Fenster Sprüche gerufen werden, ist in der von Machismo geprägten Gesellschaftsstruktur nicht selten. Hinzu kommt auch noch, dass meine sehr weiße Haut und blauen Augen in Costa Rica eher exotisch sind und mich noch auffälliger machen.

Ich könnte nach über zehn Monaten des Trampens einige Geschichten erzählen und auch wenn man nie naiv werden sollte und bei einem schlechten Gefühl den Menschen im Auto gegenüber nie einsteigen sollte, möchte ich betonen, dass ich nur ein einziges Mal einen ride hatte, bei dem ich mich unwohl gefühlt habe und auch dieser hat mir lediglich ein negatives Gefühl gegeben. Ansonsten habe ich eine bunte Menge an netten Menschen kennengelernt, lange oder kurze oder gar keine Gespräche geführt, Geschichten gehört und bin immer wieder auf große Hilfsbereitschaft gestoßen. Eine Frau hat mich einmal drei Stunden mitgenommen und mich auf dem Weg sogar zu einem Mittagessen eingeladen, von einer anderen, netten Familie habe ich in dem Blogpost „Roadtrip“ schon geschrieben und es gibt noch so viele andere.

Als ich noch in Deutschland war, war ich überzeugt davon, dass ich, wenn überhaupt, ganz selten mal trampen würde und auch niemals allein. Jetzt bin ich schon etwas länger hier und sehe mich öfter auch allein in die Stadt trampen. Ich denke wichtig ist, dass man sich immer wohl dabei fühlt, es ist nicht für jeden etwas.

BlogNo:10

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