Ein Tag auf der Feria

von 19 jana  

“Buenas Dias, Good Morning. […] Ach was, du kommst aus Deutschland?” Mitten in Costa Rica, in der Stadt San Isidro, werde ich auf einem Wochenmarkt, der Feria, immer wieder exakt mit diesen Worten konfrontiert. Denn hier tummeln sich neben den Ticos ausgewanderte Amerikaner und Deutsche, die ihre Rente lieber nach Pura Vida-Manier in Costa Rica genießen. Sind das alles ein wenig durchgeknallte, alternative Hippies?

Viele der älteren Herrschaften machen zumindest äußerlich diesen Eindruck. Goa-Hosen und bedruckte Shirts in allen Farben des Regenbogens, glänzender Kopfschmuck, Tattoos, Man-Buns und Flip-Flops stehen an der Tagesordnung. Tatsächlich entfliehen viele der stressigen, langweiligen und kalten Gesellschaft ihrer Heimatländer und ersetzen diese durch Entspannung, Abenteuer und Sonne. Genug Geld wurde im Laufe der Zeit angesammelt und das Leben in Costa Rica ist sowieso günstiger als in den USA oder Deutschland. Warum also nicht? Viele der Auswanderer leben sogar seit Jahren in Costa Rica und sprechen nicht ein Wort Spanisch. Gemäß Pura Vida ist es natürlich zu viel verlangt, noch eine neue Sprache zu lernen.

Wie immer ist es jedoch auch hier nicht angebracht, eine Gruppe von Menschen pauschal über einen Kamm zu scheren. Ein durchschnittsgroßer, braungebrannter Glatzkopf mit hellen Augen und einem charmanten Lächeln steht mit Sportkleidung, Outdoorrucksack und Flip Flops an unserem Verkaufsstand. Wolfgang* aus Deutschland ist um die 60 Jahre alt und lebt seit sieben Jahren auf einer Finca in der Umgebung von San Isidro. Dort kümmert er sich im Namen des Besitzers um die Kakaobäume und hin und wieder um WWOOFER aus Europa. Unser Gespräch auf Spanisch, Englisch und Deutsch dreht sich um interkulturellen Austausch zwischen Europa und Costa Rica, Nachhaltigkeit und natürlich unser Leben ganz im Allgemeinen.

Ich kippe fast aus meinen Schuhen: dieser entspannte, interessierte und selbstreflektierte Mann hat eine 180°-Wendung hinter sich. Bis vor gut zehn Jahren arbeitete Wolfgang als selbstständiger Aktienhändler in Spanien. Sein Leben drehte sich um Geld und Arbeit, Arbeit und Geld. “Aber irgendwann habe ich gemerkt: Wozu soll ich so viel Geld anhäufen?”. Also ab nach Costa Rica. Aufgrund der ungewohnten Entschleunigung wächst plötzlich das Bewusstsein für das Leben. Nachhaltigkeit? Achtsamkeit? “Vor 10 Jahren hätte ich über solche Themen nur gelacht, sie waren nicht wichtig für mich.”

Nach einer guten Stunde verabschiedet sich Wolfgang und lässt mich bestärkt zurück. Ich habe häufig das Gefühl, mit meinen Aussagen und Taten in Bezug auf einen nachhaltigeren Lebensstil gegen eine Wand zu rennen. Denn der Großteil der Menschen ist aus Gewohnheit und Bequemlichkeit nicht bereit, den eigenen Lebensstil zugunsten der Zukunft des Planeten zurück zu schrauben. Doch offensichtlich ist ein Lebenswandel in jedem Alter möglich und das macht mir große Hoffnungen!
*Name geändert

BlogNo:03

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