„EMILY, GEH‘ RAN DA!“

von 18 emily  


Fussball

… Schreit es laut. Und nein, es geht hierbei nicht um merkwürdige Flirttips des wild gestikulierenden, grauhaarigen Mannes in Fußballschuhen und kurzer Sporthose. Es handelt sich um Hermanns Ausrufe, die mir bedeuten sollen, dass ich mich mehr um den Ball unseres Fußballspieles bemühen soll.

Vergebens. Ich mag es einfach. Nicht, wenn Bälle, egal welcher Farbe und Musterung unkontrolliert durch die Gegend geschossen, geworfen, geprallt, oder sonst irgendwie fortbewegt werden. Hermann bleibt in seinem kurzen Schnellschritt stehen, schaut mich an, wirft die Hände in die Höhe und wettert wieder los.

Und immer wieder läuft er in der Nähe der Begrenzung des Spielfeldes auf und ab und schreit lauthals seine Verbesserungsvorschläge über den Rasen. Und nein, er steht nicht hinter der Markierung. Er ist auch nicht der Trainer, Zuschauer, oder Schiedsrichter. Es ist Hermann in seinem Element, dem Fußballspiel. Während er gute Sprüche klopft und nur ab und zu mal losrennt, weil er ja „alles alleine machen muss“, laufe ich nur unmotiviert über das Feld und frage mich, was es eigentlich so für Druckmittel braucht, um mich dazu zu bringen, gemeinsam mit 20? (da hört mein Wissen über die Sportart schon auf) einem schwarz-weißen Ball hinterherzurennen und mich nebenher auch noch mit dem immer wieder aufkehrenden „Emily, geh‘ ran da!“, „Hinterher Emily!“ oder auch „jetzt mach doch mal was!“ anbrüllen zu lassen. Und während ich mir das so überlege, wird mein Gedanke durch einen Schlag ins Gesicht unterbrochen. Der Ball ist direkt in meinem Gesicht gelandet!

Ich wusste vorher nicht, dass ich aussehe wie ein Tor und aus oben genannten Gründen stehe ich auch nicht in der Nähe des Tors, aber sei’s drum, unkontrolliert fliegende Bälle auf Kopfhöhe, ich habe es ja gesagt. Die fliegen wohl auch fernab des Tores mit voller Wucht. Einfach nicht mein Ding, dieses Spiel. Und das weiß hier jeder.

Dieser Moment war wohl Fluch und Segen zugleich. Jetzt kann ich sagen, dass der Fluch nur kurz angehalten hat, der feste Ball hat nur kurze Spuren auf meinem Nasenrücken hinterlassen. Der Segen aber hat sich sofort danach eingestellt und seither keinen Abbruch erfahren. Es war das letzte Fußballspiel, im Sommer 2018, bei unserem Vorbereitungsseminar. Bis zu diesem Punkt hatte ich mich noch verpflichtet gefühlt mitzuspielen, vor allem unter so vielen neuen Leuten und mit der überraschend guten Überredenskunst Hermanns. Dann aber war das vorbei. Ich musste nur noch einmal nein sagen, wenn ich zu einem Spiel aufgefordert wurde, weil keiner Schuld an einer weiteren Torverwechslung haben wollte.


noch mehr Fussball

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum überhaupt Fußball? Ganz einfach: Es ist das, wo Hermann mit einem Grinsen, oder einem vom Schreien hochroten Kopf über den Platz marschiert und Pause vom Weltretterdasein macht. Wenn man ihn aber fragt, warum das denn immer sein muss, dann hat er aber einen ganz anderen Grund: Es sei wichtig, in Vorbereitung auf Costa Rica und das Leben, sagt er dann. Eine Frau, die nicht Fußball spielt, könne sich im Grunde gleich hinter den Herd stellen, wenn sie nach Costa Rica kommt. Oder zumindest wird sie immer wieder Probleme damit bekommen, sich zu behaupten.

Zum Glück, oder vielleicht auch wegen meiner nichtvorhandenen Fußballfähigkeiten, wurde ich in ein Projekt geschickt, in dem es weit und breit kein Fußballfeld gab. Und doch ist es gleichzeitig auch ein Projekt, das ganz eindeutig mehr „fußballspielende Frauen“ braucht. Ich persönlich hatte oft mit dem machistischen Gedankenguts meiner Mitmenschen zu kämpfen und habe auch öfter Diskussionen darüber geführt, ob es nicht möglich sei, meinen Mitfreiwilligen Maurice UND MICH beide anzusprechen und nicht nur Maurice, wenn wir beide gemeint waren.

Und mit der Zeit begriff ich, was Hermann - wenn auch auf wenig pädagogische Art und Weise - mir zeigen wollte und verbunden mit viel Missmut konnte ich dann die Textaussage verstehen. Es geht grundsätzlich nicht um das Fußballspiel selbst, das ist nur Hermann wegen des Spieles wichtig. Wenn dieser Punkt aber zweitrangig gewesen wäre, hätte es auch ein Kurs zur Machetennutzung sein können, zur Rohrreparatur, zum richtigen Schwingen der Axt, oder zum Abtragen von schweren Bäumen.

Es geht um zwei Sachen, so glaube ich es zumindest verstanden zu haben: 1. Sei stark, kämpfe dich durch, „bleib am Ball“ und ziehe Sachen durch, mit Biss und Willensstärke, auch wenn es Sachen sind, deren Sinn du nicht direkt erkennst und/oder deren Methode du nicht magst. Und 2. sei stark, sei eine Frau. Sei eine „fußballspielende Frau“, also eine, die auch mit ihr sich überlegen fühlenden Typen spielt, die sich nicht in so ne Mädels-Rolle zwängen lässt und schon längst mit dem Ball zum Tor gerannt ist, während ihr die Mitspieler, verblüfft von so viel weiblichem Talent außerhalb des Haushaltes, nur noch verblüfft hinterherschauen.


Fussball? Oder doch mehr ...

Es tut mir ganz und gar nicht leid, Hermann, dass ich dir zumindest im Fußballspiel auf dem Grün nicht annähernd die beste Spielerin machen konnte. Nicht jede Methode funktioniert für jede*n. Letztes Jahr aber konnte ich mein eigenes 'Fußballspiel' anpfeifen. Ich habe diskutiert, gestritten, mich wahrscheinlich nur zu oft gegen kulturelle- und gesellschaftliche Normen aufgelehnt und nach meiner Rückkehr festgestellt, dass auch in Deutschland noch das ein oder andere Fußballspiel gewonnen werden muss... und das schlussendlich nicht nur von Frauen, sondern von Menschen. Von Menschen, die sich unterdrückt fühlen, weniger ernst genommen oder die ungerecht behandelt werden, die nicht der „Norm“ entsprechen oder ihr entsprechen wollen.

Das Vorrennen kostet Kraft und ist oft auch verbunden mit dem ein oder anderen harten Tritt, doch im Leben bringt schon allein die engagierte Bewegung Richtung Tor zumindest einige Mitspieler dazu, dem Ball zu folgen und mitzulaufen.

BlogNo:11

Noch kein Feedback


Formular wird geladen...