Als ich die Säulen der Welt fasste

von chris_11  

Ein Flackern aus der Tiefe. Seicht. Verschwommen. Weit entfernt. Im schmalen Lichtkegel, den die Öffnung im Fels der Sonne als Durchlass gewährt, nehme ich den Gruß war, den der Schatten meines Armes mir von der strahlenden Kalksteinfläche inmitten des dunkelsten Schwarz der Höhle zurückschickt.

Nach einem Aufstieg von knapp vierhundert Metern gleiten wir nun einer nach dem anderen die zwanzig Meter in den düsteren Schlund am felsigen Gipfel des Barra Honda. Langsam. Schritt für Schritt. Die Dunkelheit der Steilwände, des steinigen Grundes, der Fledermaus besetzten Nischen bleicht hinweg, als wir uns in jene versenken und sich unsere Augen nicht mehr von dem sonnenhellen Schein aus der Höhe und seiner Reflektion aus der Tiefe blenden lassen. Vielleicht erlaubt auch vor allem letztere die immer besser werdende Sicht auf die Versenkungen, die Schatten, die Löcher in den Wänden.

Unten angekommen dürfen wir die volle Schönheit des vorigen Höllenschlundes genießen. Den Lichtschein den die Sonne in die Tiefe des Berges schickt und den die kondensierte Luftfeuchtigkeit, die jenen wie einen strahlenden Streben vom Himmel in die Erde erscheinen lässt. Hier und dort sprießen winzige Sprösslinge, Mitbringsel der Murciélagos aus der Oberwelt. Schon beim Hinabsteigen der feuchten Leiter hießen sie uns mit schrillen Rufen willkommen. Jetzt sehn wir sie mit weit ausgebreiteten Flügeln über uns durchs Licht segeln, von Felswand zu Felswand. Um uns herum faltet sich der Stein. Gewaltige Säulen scheinen die Tausenden Tonnen des Massivs über uns und zu unseren Seiten zu stützen, zu tragen. Spitze, übermannshohe Zähne streben uns von der feuchten Decke entgegen. Unter unseren Füßen, gebrochene Gebeine Äonen alter Gebilde, Schutt von Millionen Jähren, Über die Jahrtausende hinweg immer wieder von Beben zerrüttet.

Wir folgen einem beinah unsichtbaren Pfad weiter in die Tiefe, zur Seite weg, hin zu der bizarren Formation der Heiligen Familie, tatsächlich erschreckend einer Gruppe von 5 bis 6 Personen ähnelnd. Es bedarf nicht viel Fantasie, die Gesichter der Sagrada Familia wahrzunehmen. Unter ihr windet sich eine versteckte Leiter in die immer feuchter werdenden Grotten - die Gerippe des Planeten. Vorsicht ist beim Abstieg geboten, jeder Schritt will geplant sein.

Im schmalen Tunnel angekommen stoßen wir auf hungrigen, nassen Hauer, bereit ihre mehreren Meter Höhe, oder eher gesagt Tiefe, noch weiter auszubauen und sich in den schwitzenden Grund der Höhle zu versenken. Andere die suchen sich mit ihrem in die Höhe wachsendem Gegenüber zu vereinen. Aufzuschließen. Sich wie zwei steinerne Liebende erst sanft zu berühren um sich schließlich langsam und auf ewig zu verbinden, eine Säule der Zukunft bildend.

Nachdem wir die spiegeleiförmigen Töpfchen der neu heranwachsenden Stalagmiten passierten, stoßen wir in die Orgelhalle vor, die nur zurecht ihren Namen erhielt. Zu Hunderten bilden die Säulen aus glänzendem Weiß Orgelpfeifchen, Pfeifen, Rohre, eine an der anderen. Unterhalb schließt sich ein Gesprenkel gleichermaßen weiß wie gelber Kalkkorallen an. Gegenüber, wie zurückgezogene, gefaltete Vorhänge fällt das im Stirnlampenschein strahlende Gebilde dem unebenen, tiefen-schwarzen und spitz-braunen Ungrund entgegen.

Immer wieder gilt es, zwischen petrifizierten Wegelagerern hindurch zu schlüpfen, sich Kopf voran durch schmale Spalte zu winden, auf der anderen Seite im Halbdunkel Halt suchend, die Füße auf der anderen Seite nur auf die Spitzen der wachsenden Kegel unterhalb gestützt. Doch der Wagemut zahlt sich am Ende aus. Am Ende in der Sackgasse. Hier gehen alle Lichter aus.

Es ist völlig finster. Die totale Abwesenheit von Licht verwirrt den Blick und so versucht er Bilder zu rekonstruieren, sucht Lichtquellen so klein sie auch seien mögen. Finger nach leuchtenden Armbanduhr Zeigerblättchen tastend, verwirrt und neugierig.

Nach einer weile völliger Ruhe ein Ton.

Ein gläsener Klang, dumpf und anhaltend. Schwingend. Dann ein weiterer.

In ruhigen, schließlich lebhafter werdenden Rhythmen verschlingen sich die beiden Höhen umeinander, nur um nach einer Weile von einem Tiefen Wummern durchzogen zu werden und zu verstummen. Nach einem Atemzug beginnt das Spiel von vorne, hingerichtet auf das sanfte, tiefe Beben.

Fünf mal lebt das schaurig schöne Orchester von Stein und Luft auf und vergeht, ehe das Spektakel endet, die Stirnlampen den gefundenen Frieden unserer Augen verwehen und ihre Gier neu beleben. Die Neugier bezüglich der Quelle des Liedes dieser Säulen der Welt wurde bald gestillt und so klangen noch einige Sekunden verspielte Rhythmen durch den nun erhellten Raum.

Umkehr.

Noch einmal streifen Hände über den wachsenden, ja beinahe lebenden Fels, ehrfürchtig wissend oder zumindest ahnend um deren Beginn, der fast soweit zurückliegt, wie die Schaffung der Welt selbst.

Es fühlt sich gut an im warmen Bauch der Erde, dem Fundament der Welt. Unbewusst seiner Leblosigkeit, seine Stille und Ewigkeit alleine im Blick...

Durchaus gut war es daher vom Gipfel des Berges nun wieder ins Leben zu gehen, hinabzusehen auf das was aufgeht und vergeht, ständig neu und immer wieder. Die wahren Säulen unserer Welt wieder vor Augen zu haben, die da Atmen und blühen, Leben und Sterben, und unter deren Schatten wir sitzen und lauschen sollen. Sehen und Lernen. Erfahren und Lehren...

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