Los nueve días

von fabian_11  

Ich denke, der Umgang mit dem Tod ist ein Indiz für die gesamte Mentalität eines Kulturkreises, in ihm offenbart sich die Beziehung der Menschen untereinander ebenso wie zu den äußeren Limitationen, die unserem Dasein gesetzt sind. In Costa Rica ist dieser Aspekt des Lebens, der sich diesem gleichsam so unnachahmlich entzieht, nicht ebenso künstlich ausgeblendet wie in unseren Metropolen.

Selbstverständlich ändert das nichts an seiner unveränderlich unmittelbaren Natur, nur die Wehe darüber ist wohl nicht derart aufgebauscht und opulent. Der tägliche Umgang und das Zusammenleben mit Tieren, deren Umkommen durch Schlachtung, oftmals im Straßenverkehr, oder durch Fressfeinde, die die Ställe aufsuchen, Hühner fressen oder ihrerseits von einem gezielten Schuss meines Gastvaters niedergestreckt werden, alles das beraubt ihn etwas seiner Mystifizierung.

Wenn ein Mensch hier stirbt, ist dies natürlich dennoch ein Anlass zur Trauer, zu großem Teil jedoch tradierter Trauer. Ich spreche von dem Brauch der ‚nueve días’. Nach dem Ableben einer Person wird neun Tage lang in Gebeten Fürbitte für die Erlösung seiner Seele und deren Aufstieg in den Himmel geleistet. Mir kam die Möglichkeit zu, an einem solchen, dem fulminanten Abschlusstag, den ganze neun Gebete füllen, zu partizipieren, für den Segen des Großvaters eines Bekannten vollführt, der knapp zwei Wochen zuvor verging.

Unglücklicherweise verpasste meine Gastmutter den Bus nach Rio Jimenez, weil sie unbedingt noch mit ihrer Frauengruppe zu Mittag essen musste, sodass ich mich schließlich allein in dem Dorf befand und zum Austragungsort durchfragte. Dort angekommen, schreckten mich die Sprachchoräle der Betenden ab, die in ihrer Schwere die Umgebung erfassten, und, da ich ja nicht direkt eine explizite Einladung erhalten hatte, verbarg ich mich erst mal ein wenig abseits und wartete auf meine Gastmutter.

Ein Mädchen kam von heftigen Tränenausbrüchen geschüttelt an mir vorbei und suchte etwas Ruhe, schließlich kam ich mir ziemlich dumm vor, rief besagten Bekannten an und traf ihn vor der Haustür. Sein erster Vermerk war, ich hätte vergessen, ihm meine Mailadresse weiterzuleiten, er hatte mir ja einige Bilder von Plantagen zuleiten wollen. Dann stellte er mir einige der über vierzig Personen vor, Familienmitglieder aus dem Umfeld und Nachbarn, die gekommen waren, um gemeinsam nach persönlicher Vorliebe des Verstorbenen zu gedenken, zu beten oder sich nur am Festmahl zu laben und mit Anderen über den gemeinsamen Verlust sowie das gute Essen und die alltäglichen Themen auszutauschen.

Die Freundin meines Bekannten wollte mich zugleich mit einigen Freundinnen ihrerseits verkuppeln, dann wurde gegessen, eine Tochter meinte zur frisch Verwitweten, dass Essen sei so gut, sie wisse bereits, weshalb sie gekommen sei. Beide lachten ob des gelungenen Scherzes. Überhaupt spürte man nicht viel von Trauer, außerhalb der Gebete. Vielleicht liegt es daran, dass schon acht Tage gemeinsam getrauert worden war und das Gefühl ausreichend erschöpft wurde, ich vermute aber mehr, dass es mit der den Ticos oft zugeschriebenen Lebensfreude, oder Oberflächlichkeit zusammenhängt.

Das Gebet, das vor einem sehr hübsch hergerichteten Altar im Wohnzimmer stattfand, zu dem sich etwa die Hälfte der Besucher stets zusammendrängte, war jedoch sehr ergreifend. Einfache Frauen singen mit kräftigen, getragenen Stimmen von Schmerz und göttlicher Weisung, dazwischen werden in einer Art Zwiegespräch zwischen Gebetsführerin und Gemeinde das Vaterunser, Bibeltextpassagen und weitere Gebete, die ich nicht wiedererkannte, in festgelegter Form zu komplexen Strukturen verwoben und in bestimmter Anzahl repetiert.

Dem ganzen wohnte durchaus eine gewisse Intensität inne, nur beschäftigte es sich kaum mit dem Verstorbenen, es bestand größtenteils aus Lobpreisungen Christies, Appellen zum Durchhalten und Aushalten des Leidens wie auch zum Willen dazu; eine Frau trug mit verweinten Augen einen Vermerk zur Verdammungswürdigkeit von Prostitution vor. Die Verbindung der Betenden mit Christus schien wichtiger als der eigentliche Tote, denn es fand sich auch keine Spur des Gedenkens an ihm am Altar oder im Raum. Etwas Information bekam ich, als ich ein Plakat entdeckte, das mir den Namen wie einige Eckdaten seines Lebens verriet, umrahmt von einigen Bildern. Ausgezeichnet wurde er darauf für die Zeugung seiner vier Kinder, und die Urheber des Plakates unterstellten ihm als Sinn seines Lebens, neues Leben zu ermöglichen. Schon schien er vergessen, nichtig. Hatte die Legitimation seines Daseins durch seine Vermehrung erfahren und wurde dann überflüssig.

Was mich sehr an einen Ausschnitt Camus ‚Der erste Mensch’ erinnerte: ``Menschenmassen waren seit mehr als einem Jahrhundert hierhergekommen, hatten gepflügt, hatten an manchen Stellen immer tiefere, an manchen anderen Stellen immer unregelmäßigere Furchen gezogen, bis leichte Erde sie bedeckte und die Gegend zum Wildwuchs zurückkehrte, und sie hatten gezeugt und waren dann verschwunden. Ebenso ihre Söhne.´´

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1 Kommentar

Kommentar von: Mama [Besucher]

ja, ja….die Vergänglichkeit….

Interessant, die verschiedenen Rituale der Kulturen.


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