Raubkopien

von gustav_11  

Wenn ein Haushalt in Costa Rica einen Fernseher hat, kann man davon ausgehen, dass er von morgens bis abends läuft. Schnulzige Telenovelas, ständig unterbrechende Werbespots und eher zweifelhafte Nachrichten bestimmen das Programm, immer mal wieder unterbrochen von einem längeren Spielfilm. Meistens handelt es sich um mehr oder weniger aktuelle Hollywood-Produktionen mit sehr konstruiert wirkender spanischen Synchronisation. Doch trotzdem setzte ich mich manchmal dazu, um die sozialen Kontakte mit meiner Gastfamilie zu pflegen, die sich am Ende des Tages gesammelt vor dem Bildschirm vereint.

Der gezeigte Film ist aus dem letzten Jahr, ich kenne ihn bereits und lächle im Stillen über die verkrampfte Synchronisation, in der ein Kleinkind mit der Stimme eines Erwachsenen spricht und den krampfhafte Versuch, möglichst wortgetreu zu bleiben, der manche Dialoge völlig sinnlos erscheinen lässt.

Die schlechte Bildqualität macht mich etwas stutzig. Das Bild flackert, die Rot- und Blautöne stechen zu stark hervor und die gesamte Bildwiedergabe wirkt etwas verschwommen. Der Ton scheppert etwas, aber das könnte auch an den Dellen in den Boxen liegen, die von einer wilden Autofahrt über Stock und Stein stammen, bei denen die Boxen hinten im Regen auf der Ladefläche herumtanzten.

Doch was ist das? Neben dem Hauptton sind noch andere Geräusche zu hören. Eine Tüte raschelt, jemand räuspert sich vernehmlich und bei besonders lustigen Stellen hört man schallendes Gelächter?!? Der Film ist eine Raubkopie!

Nicht dass mich das besonders stören würde. Wer hat noch nicht die Möglichkeit 'genossen', einen Film in minderer Qualität, dafür aber kostenfrei anzuschauen? Auch ist der Verkauf von DVDs aktueller Kinofilme in den Fußgängerzonen San Josés ein Teil des Straßenbildes, während sich die Polizei als Vertreter von Recht und Ordnung nicht darum zu scheren scheint, oder sogar selber als Kunde zugreift.

Allerdings überrascht mich dann doch die Ausstrahlung einer offensichtlichen Raubkopie im staatlichen Fernsehen zur besten Sendezeit, unterbrochen von Werbespots für Zahnpasta und costa-ricanische Fast Food-Ketten. In Deutschland muss man schon darauf achten bei einem etwas größeren DVD-Abend keine Raubkopien zu zeigen und wir Freiwilligen mussten vor dem Einsatz eines Umweltfilmes für Bildungszwecke das Einverständnis des Regisseurs in Österreich, des Filmverleihs in Frankreich und der Produktionsfirma in Deutschland einholen.

Es ist symbolgebend für Deutschlands Bürokratie, dass sie so viel Aufwand für das Zeigen einer halbstündigen Dokumentation vor einem 30köpfigen Publikum betreibt. Hier in Costa Rica gibt man anscheinend die Rechte eines Produktes ab, sobald es in irgendeiner Form veröffentlicht wurde und was aus dem Material geschieht, liegt in der Macht desjenigen, der es in den Händen hält - noch jedenfalls. Denn auch hier geht der Trend in Richtung komplizierter Gerichtsverfahren, nicht zuletzt weil ausländische Firmen nun auch das zunehmend wohlhabendere Costa Rica als möglichen Markt entdeckt haben und die Bezahlung von Urheberrechten verlangen.

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