Kulturerosion

von gustav_11  

Zwei Wochen habe ich nun am Stück im Indianerdorf Las Vegas verbringen können. Anlass war der Besuch einer 18köpfigen Gruppe kanadischer Freiwilliger, die gekommen waren, um ein neues Gemeindezentrum zu bauen. Zu ihrem Willkommen wurde am Abend ein, nach westlichen Standard eher bescheidenes Fest veranstaltet, in dessen Zuge auch ein echter indianischer Tanz aufgeführt wurde.

Aus Kieselsteinen und einer Plastikflasche wurde eine Rassel improvisiert und mit für uns seltsam anmutenden Gestampfe und Armeschwingen drehten die Mädchen in ihren traditionellen und sehr farbenfrohen Kostümen ihre Kreise.

Während der Darbietung beobachtete ich einen der wenigen älteren in der Gemeinde, der immer wieder mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf schüttelte und sich am Schluss, während des Applauses mit Tränen in den Augen abwandte.

Etwas später sprach ich ihn auf sein Verhalten an und er erzählte mir die wahre Bedeutung des aufgeführten Tanzes:
Früher begannen ausschließlich die Männer den Tanz und begleiteten sich auf handgefertigten und mit rituellen Symbolen verzierten Rasseln. Der Gruppenführer gab mit lauten Rufen den Rhythmus vor und in einer langen Reihe zogen sie ihre Kreise um das dafür entfachte Gemeindefeuer.

Immer wieder näherten die Männer sich den umstehenden Frauen, die durch die Farbe ihrer Zeremoniengewänder kenntlich machten, ob sie in einer Beziehung, alleinstehend, Eltern, Kinder oder schon geschlechtsreif waren. Erwiderten sie die Aufforderung eines Mannes schlossen sie sich dem Reigen an, wobei sie ihrem „Auserwählten“ stets gegenüber blieben. So wurde früher eine beginnende Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau offiziell vor der Gemeinde verkündet, welche entweder durch Nichtstun ihre Zustimmung aussprach, oder aber durch rituelle Hiebe auf den Rücken der Frau ihrer Missbilligung Ausdruck verlieh.

Der Mann der mir davon erzählte hatte geweint, weil das Wissen um diese Kultur immer weiter zu schwinden scheint. Mit Schrecken beobachtet er, wie kleine Kinder die traditionellen Farben der erwachsenen Frauen anlegen, wenn sie nicht sogar ganz auf die alten Gewänder verzichten und lieber Jeans und T-Shirts tragen. Der alte Mann macht der Jugend keine Vorwürfe, zu verführerisch sind die Angebote der industrialisierten Welt und zu mächtig der Einfluss von außen.

Die schlichte, aber doch so beeindruckende Kultur geht nach und nach verloren, verdrängt von Fortschritts- und Konsumdenken.

Es gibt nur noch wenige, die sich erinnern und mit jedem toten Indianer stirbt auch unwiederbringlich ein Teil des kollektiven Gedächtnisses.

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