Trockene Gemeinde

von gustav_11  

„Feuerwasser“, so nannten die nordamerikanischen Indianer, zumindest wenn man Karl May und den Lucky Luke-Comics trauen darf, die alkoholischen Getränke, die ihnen vom weißen Mann im Gegenzug für Informationen, Nahrung oder friedliche Durchreise angeboten wurden. Für viele war der Alkohol der Beginn eines langen und qualvollen Abstieges, bei dem sie zuerst ihre Weidegründe, dann ihre Freiheit und am Ende meistens auch ihr Leben verloren. Noch heute kann man in vielen Reservaten Nordamerikas die Nachfahren der einst so stolzen Völker sehen, von denen viele mangels Perspektive zu Alkoholikern geworden sind.

Doch nicht nur Nordamerika, sondern auch Zentral- und Südamerika haben ihre indigenen Einwohner. Viele Völker sind im Laufe der Jahrhunderte ausgestorben und heute erinnern sich die meisten nur noch an die großen Hochkulturen der Inka und Azteken, während die kleineren Stämme meist ungenannt bleiben. Zugegeben, sie haben keine großen Städte oder Imperien errichtet und ihr Kunsthandwerk beschränkt sich bis auf wenige Ausnahmen auf eher einfache Figuren und Schnitzereien aus Holz, doch nichts desto trotz sind auch sie Teil der Gruppe, die vom weißen Mann zum Alkohol verführt wurde.

Sinnesvernebelnde Drogen waren diesen Menschen nicht fremd, als die ersten Kolonialisten eintrafen, schließlich hat doch „der Westen“ das Rauchen von den Indianern Südamerikas übernommen. Doch anders als bei uns wurden diese pflanzlichen Rauschmittel nur zu rituellen Anlässen und in wohl durchdachter Dosierung konsumiert. Der Gebrauch zur Alltagsvergnügung, zum sinnlosen Berauschen ist eindeutig eine Erfindung des weißen Mannes und schnell schufen die ersten findigen Migranten die Kommerzialisierung dieser Produkte.

Das Geld aus dem Handel mit den Rauschmitteln blieb stets in der Hand des weißen Mannes, das einzige was die Indianer übernahmen war die Konsummentalität.

Den Kanadiern, mit denen ich für zwei Wochen die Indianergemeinde Las Vegas besuchte, wurde der Ort als eine „trockene Gemeinde“ beschrieben, dieser Zensus besagt, dass innerhalb der Gemeinschaft keinerlei Alkohol konsumiert wird, auch nicht zu festlichen Anlässen. Doch während meines Aufenthaltes musste ich leider die traurige Entdeckung machen, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht. Es stimmt, dass hier keine besinnungslos betrunkenen Indianer vor ihrem Haus auf dem Boden sitzen, die Flasche in der einen und ein undefinierbares Kraut in der anderen Hand, aber auch hier hat der Alkohol längst seinen Einzug gehalten.

„Chicha“ heißt das hier konsumierte Getränk, ein aus Mais und Zucker gegorenes bierartiges Irgendetwas, welches je nach Reifedauer durchaus einen beachtlichen Alkoholgehalt entwickeln kann.

Als ich morgens um sieben zum Fluss gehe, um mein dreckiges Geschirr zu spülen rufen mich drei Männer an, die auf zusammengezimmerten Bänken im Schatten sitzen. Sie laden mich zu einem Becher der selbstgemachten Chicha ein, doch trotz Neugier lehne ich angesichts der frühen Morgenstunde ab. Es bestürzt mich zu sehen, wie diese drei Männer schon früh am Morgen kräftig zu langen, um den Rest des Tages im angenehm berauschten Halbschlaf in der Hängematte zu verbringen. Später werde ich Zeuge, wie einer der Indianer beim Holztransport aus dem Wald unversehens stolpert und sich dabei mit der scharfen Holzkante eine tiefe Wunde in die Schulter bohrt. Seine stoische Bemerkung dazu: „Ich hätte heute Morgen vielleicht etwas weniger Whiskey trinken sollen!“.

Mir wird erzählt, dass der Alkohol durchaus ein nicht zu verachtendes Problem innerhalb der Gemeinde ist, obwohl in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt werden konnten. Saufgelage, die früher regelmäßig unter den Jugendlichen der Gemeinde stattfinden und in ihrer Struktur nur zu stark an Abende während meiner Schulzeit erinnern, finden mittlerweile so gut wie nicht mehr statt und wer sich betrinkt, tut das diskret und ohne großes Aufsehen zu erregen.

Doch nur weil der Alkohol in den Schatten gedrängt wurde ist er noch lange nicht verschwunden. Nach außen hin und auch gegenüber den Kanadiern wahrt sich die Gemeinde das Bild einer trockenen Gemeinschaft, aber im Inneren schlummert das Problem weiter.

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