In God we trust

von gustav_11  

Ich bin kein besonders zuverlässiger Kirchgänger, zu groß ist die Skepsis gegenüber dieser Institution, die mit düsteren Geschichten aus der Vergangenheit und Skandalen von Kindesmissbrauch oder oft sehr intoleranten Aussagen in der Gegenwart auf sich aufmerksam macht und sich dennoch anmaßt, über andere zu urteilen und bestimmen zu wollen. Die Kirche ist eine vom Menschen geschaffene Struktur und somit fehlerhaft, aber anders als andere von Menschenhand gefertigten Produkte, weigert sich die Kirche oft, ihre Schwächen einzugestehen.

Deshalb besuche ich auch eher aus Neugier, denn aus dem Wunsch heraus Gott oder den Papst zu lobpreisen die Kirche im Indianerdorf Las Vegas. Wie fast alle Gemeinden in Costa Rica ist auch Las Vegas streng katholisch, dementsprechend erwarte ich die mir aus Europa bekannten Gottesdienststrukturen, mit ihrem wiederholten Aufstehen, Hinsetzen, Aufstehen, Knien, Hinsetzen und so weiter und so fort.

Aber schon der Raum den ich betrete ist so ganz anders, als alles was ich bisher in Europa oder auch in Costa Rica gesehen habe. Kein großes Holzkreuz am Kopfende, kein Bassin mit Weihwasser, keine sonst wie gearteten Verzierungen, die irgendwelche Passagen aus der Bibel darstellen sollen. Es ist ein einfaches Holzhaus, bestehend aus einem langgestreckten Raum mit Erdboden, dessen Rückwand vollständig fehlt. Grob zusammen gezimmerte Sitzbänke bestimmen das Bild und an den Wänden stapeln sich kaputte Möbel, die wohl schon einige Zeit auf ihre Reparatur warten. Vorne ist ein kleiner Block, wohl die Kanzel von der der Pfarrer sprechen soll.

Es ist schon dunkel als ich eintreffe und es regnet in Strömen. Durchnässt und mit, wie ich trotz der Hitze erkennen muss, viel zu kurzen Hosen setze ich mich dezent in eine der hinteren Reihen und warte. Drei Leute sind bereits vor mir da: Ein Mann mit seiner Frau und ein Junge, eventuell in meinem Alter, der unruhig auf und abgeht, während er dabei für mich unverständliche Satzfetzen vor sich hinmurmelt. Auf einmal bricht er in einen Beatbox-artigen Gesang aus und rappt einige Bibelzeilen, bevor er wieder verstummt, dann presst er sich mit ausgebreiteten Arme und dem Gesicht zur Wand gegen die Kirchenwand und rezitiert lautstark mehrere Ave Maria, die er aber von Mal zu Mal in eine persönlichere Form abändert.

Nach einiger Zeit, in der ich den Jungen beobachte, treffen ein paar der kanadischen Freiwilligen und ein paar weitere Dorfbewohner ein. Nach etwas mehr Wartezeit steht eine der anwesenden Frauen auf, begibt sich zur „Kanzel“ und meint, dass der Pastor wohl heute wegen dem Regen nicht mehr kommen werde und sie kurzerhand den Gottesdienst leiten werde.

Schnell wird eine Bibelstelle rausgesucht und gemeinsam gelesen und da ich leider keine eigene Bibel mitgebracht habe versuche ich die halblaut gemurmelten Worte meines Sitznachbarn zu verstehen. Nach der Bibelstelle ist erst einmal wieder Stille, so fern dass mit 12 kleinen Kindern in einem Raum möglich ist, denn ständig spielen sie mit den mitgebrachten Rasseln und Schellen, klopfen und zupfen an der Gitarre und versuchen immer neue Wege zu finden Musik zu machen.

Jetzt wird das Wort an die Gemeinde übergeben und jeder, der möchte kann nun etwas sagen, vortragen oder auch singen. Sofort springt der zu Beginn erwähnte Junge auf und bricht in einen nicht enden wollenden Sermon aus, bei dem ich schon nach den ersten 10 Sätzen den Faden verliere und er auch nach einer gewissen Zeit, wie eine kaputte Schallplatte immer wieder wiederholt, dass Gott uns alle liebt.

Ein paar andere Gemeindemitglieder ergreifen nun auch die Gelegenheit und verschiedene Lieder, begleitet von Gitarre und Schellen werden zum besten gegeben und jeder singt mit, auch wenn niemand den Text zu kennen scheint. Jeder summt, oder füllt die Wortlosigkeit mit religiösen Floskeln oder Namen von Heiligen oder klopft nur mit den Händen auf seine Schenkel. Manche stehen, andere sitzen und wiederum andere tanzen sich wiegend durch den ganzen Raum. Auch mein kanadischer Sitznachbar summt und murmelt vor sich hin und benutzt die wenigen Brocken Spanisch die er beherrscht, um Gott zu preisen.

Eine gewisse Ekstase schwebt in der Luft, die jeden zu berühren scheint und ich erwische auch mich dabei, wie aus meinem Mund scheinbar sinnlose Wortfetzen auf Spanisch, Englisch und Deutsch fallen.

Nach einer gewissen Weile flaut das Gefühl ab und alle setzen sich wieder. Ein letztes Mal wird in die Runde gefragt, ob jemand noch etwas beisteuern möchte, dann kommt die allgemeine Aufbruchsstimmung. Innerhalb weniger Minuten verschwinden alle in den Regen hinaus. Ich bleibe noch eine Weile alleine im Dunkeln sitzen, überrascht von dieser Intensität und den Emotionen, die ich noch nie zuvor bei einem Gottesdienst erfahren und beobachten konnte.

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