Im (staatlichen) Krankenhaus.

von manali_12  

An einem Samstagmorgen mache ich mich auf den Weg ins nahegelegene Golfito, um von dort aus eine Mitfreiwillige zu besuchen. „Ich gehe nur im Krankenhaus vorbei, um zu sehen, was mit meinem Knie los ist, und dann fahre ich an den Strand, morgen bin ich wieder da“, erzähle ich einem Freund im Dorf, bevor ich losfahre. Mein Knie tut weh, wieder einmal, lange schon habe ich Probleme mit den Knien und so bin ich an Schmerzen in diesem Körperteil gewöhnt; obwohl ich eigentlich viel zu jung dafür bin, mich mit körperlichem Verschleiß abzufinden, nehme ich die Schmerzen als etwas hin, was mich gelegentlich in meinem Alltag begleitet und besorge mich nicht allzu sehr.

Vermutlich war der Fußmarsch am Fluss entlang in Las Vegas am Donnerstag, der Besuch der Wasserquelle gemeinsam mit einem Ingenieur des staatlichen Wasserversorgers, der erste Schritt auf einem langen, schwierigen Weg zur Verbesserung der Trinkwassersituation des Dorfes, zu anstrengend, und dann kam Freitags noch der vierzigminütige Fußmarsch auf dem Nachhauseweg, aus dem Dorf zum Taxi, dazu.

Die Schmerzen sind diesmal außerordentlich stark, das Knie dick geschwollen. So erscheint an diesem Samstagmorgen der zwanzigminütige Gang zur Bushaltestelle weiter als üblich, und ohne auf die Uhr gesehen zu haben, möchte ich sagen, er fühlte sich nach einer halben Stunde an. Der braune Bus, der unter der Windschutzscheibe in großen Lettern „Golfito“ verkündet, auch dann, wenn er in die Gegenrichtung fährt, kommt nach einigen Minuten, die ich inmitten der Eis- und Bananenchips-Verkäuferinnen wartend an der Bushaltestelle verbringe und darüber nachdenke, ob ich mir eine Zeitung kaufe, obwohl ich kaum Kleingeld habe und mir für den Einkauf von 200 Colones einen Zehhntausender-Schein wechseln lassen müsste.

Die Ankunft im Krankenhaus, die üblichen Komplikationen bei der Anmeldung in der Notaufnahme, nur ein Nachname,„no indica otro“ (kein weiterer angegeben) im Formularfeld für den zweiten. Als Ausländer wird man hier üblicherweise kostenlos behandelt, zumindest ging es mir so bei meinem letzten Besuch im Krankenhaus an einem anderen Ort, und auch von anderen Bekannten weiß ich es so. Doch hier in Golfito macht das Schwierigkeiten; weil ich auch nach einer längeren Unterhaltung noch als nicht versichert gelte, muss ich ein Formular unterzeichnen, dass ich für alle Kosten selbst aufkommen werde; ich weiß, dass meine Auslandskrankenversicherung mir das Geld zurückerstatten wird.

Im „Wartesaal“ das Krankenhauses, einer Art überdachten Veranda vor den Krankenhausgebäuden, hoffe ich, dass nicht allzuviele Stunden vergehen, bis mein Name aufgerufen wird, weiß schon, dass vor dem eigentlichen Arztgespräch ein Krankenpfleger Blutdruck und Gewicht messen wird, dass das anschließende Warten das eigentliche, längere sein wird. Ich bereue es, mir keine Zeitung gekauft zu haben, bestimmt wird mein Name gleich aufgerufen, wenn ich jetzt eine kaufen gehe, warte weiter und freue mich auf den Strand, den ich am Nachmittag sehen möchte.

Nach den ersten Messungen überbrücke ich die zweite Wartezeit damit, mir nun doch am Kiosk einen Mangonektar zu kaufen, es ist Essenszeit, das Frühstück lange her. Zeitungen sehe ich keine. Mir fällt erst auf, dass der Mann, der mich bedient, blind ist, als mein Blick im Weggehen über den Hinweiszettel auf der Theke streift. Später kehre ich zurück, kaufe eine Telefonguthabenkarte, möchte den Mann gerne fragen, wie er die Geldscheine unterscheidet, bin erstaunt über die Zielsicherheit, mit der er zuvor den Mangonektar aus den Getränkeflaschenreihen im Kühlschrank zog.

Ein Arzt, der weder ein Namensschild trägt, noch sich mir vorstellt, betrachtet mein Knie, notiert handschriftlich Dinge in meiner neuerstellten Patientenakte, ruft einen anderen Arzt hinzu, der kurz auftaucht und ebenso schnell namenlos nickend wieder verschwindet.

Fünf Tage müsse ich bleiben, sagt er mir, ich habe eine Entzündung im Knie, die mit Antibiotika behandelt werden müsse. Ich frage nach Alternativen, nach dem Namen und der Ursache meiner Erkrankung, zum Ärger des Arztes, der sich in seiner Arzteswürde verletzt und gelästert sieht von meinen misstrauisch wirkenden und doch nur interessierten Fragen. Er beschwert sich, als ich ihm erkläre, dass ich weiterhin eine Behandlung zu Hause einem Klinikaufenthalt vorziehen würde, und ihn bitte, mir demensprechend meine Möglichkeiten zu erklären, weiter darauf bestehe, dass er mir den Namen seiner Krankheit nennt. Ich würde zu viel von seiner Zeit in Anspruch nehmen, so viele Patienten warten noch draußen, er ist ungeduldig, und droht mir mit „Wenn die Entzündung schlimmer wird, müssen wir dein Bein im Zweifelsfall sogar amputieren.“

Mein Vertrauen in den Arzt ist in diesem Moment an einen Tiefpunkt gesunken, doch mein Knie tut weh, dass da etwas nicht stimmt, und dass es dringend behandelt werden muss, kann ich sogar ihm glauben. Widerwillig lasse ich mich also einweisen, denke an all die Querelen mit der Auslandskrankenversicherung, daran, ob es wohl vegetarisches Essen geben wird, an den Strand, den ich an diesem Tag wohl nicht mehr sehen werde, an fünf lange Tage und Nächte des Alleinseins in einem Krankenhausbett, habe kein Buch dabei.

Noch vor dem notwendigen Röntgen werde ich zu einem Umkleideraum gebracht, soll meine eigenen Klamotten gegen ein kaum knielanges, rosafarbenes Krankenhausnachthemd austauschen. Spätestens in diesem Moment verliere ich die Fassung, wenn ich schon krank sein muss, möchte ich wenigstens nicht aufgrund meines Frauseins diskriminiert werden, und überhaupt ist mir als Produkt einer hochindividualisierten Gesellschaft diese Uniformierung unheimlich, in die die costaricanischen Kinder schon mit der Schuluniform hineinwachsen – das rosa Nachthemd wird in diesem Moment eine Art Feindbild, das vieles verkörpert, was mich schon seit Monaten beschäftigt: Diskriminierende Geschlechterrollen, die gefühlte Überwachung durch das, was „die Leute“ über einen reden könnten, die gefühlte Einschränkung der Entfaltung meiner individuellen Freiheit durch das kollektive Kontrollorgan Gesellschaft.

Schließlich bekomme ich einen hellblauen Schafanzug, aus der Männerabteilung.

Durch schwachbeleuchtete, menschenleere Gänge werde ich im Rollstuhl zum Röntgen geschoben, ein Wachmann in Uniform kreuzt den Weg, weiter durch dunkle, menschenleere Gänge, ein Stockwerk nach oben, ein Stück nach links. Vor mir liegen in einem Schlafsaal etwa zehn Frauen in rosa Nachthemden, einige leere Betten, in Besucher sitzt an der Seite einer weißharigen Dame, die wohl seine Mutter ist. Einen Moment lang soll ich sitzend warten, die Betten seien noch nicht gemacht. Der Mann auf dem kleinen weißen Hocker an der Seite seiner Mutter nutzt die einzige Sitzgelegenheit im Raum. Man schiebt mich im Rollstuhl vor ein Fenster. Freunde aus Río Claro, mit denen ich telefoniere, wollen gleich vorbeikommen. Ich soll keine Behandlung beginnen, bevor sie nicht da sind und den Ärzten nicht zu sehr vertrauen, warnen sie mich. Noch während des Telefonats hält mir eine Pflegerin ungefragt ein Fieberthermometer an die Stirn, das ich wie eine lästige Fliege mit einer Handbewegung zu verscheuchen versuche.

Ich warte über eine Stunde im Rollstuhl am Fenster sitzend. Möchte allein sein, zumindest nicht von so viel Krankheit umgeben, ich bin hungrig und will auch eine Zigarette rauchen, es wäre die erste an diesem Tag. Also erhebe ich mich aus dem Rollstuhl, humple vorsichtig los. Ich habe kaum drei Schritte zurückgelegt, da trifft mich der tadelnde Blick der Pflegerin, wo ich hinwolle, fragt sie mich, nach draußen, antworte ich, eine rauchen und auf meine Freunde warten, aber sie können nicht raus, sagt sie, schließlich sind sie hier interniert, versucht sie, sich mir in den Weg zu stellen.

Ich erkläre ihr, dass mein Knie krank ist, nicht aber mein Gehirn, dass es das wohl binnen kürzester Zeit werden würde, wenn ich an einem solchen Ort eingesperrt bliebe, verweise sie auf meine Freiheit, zu gehen, wohin ich möchte und verlasse den Schlafsaal einige Meter hinein in den Korridor, in dem ich gerade meine Freunde auftauchen sehe.

Die Pflegerin ruft den Chefarzt aus. Nachdem ich mit meinen Freunden gesprochen habe, nach einem gescheiterten Versuch, nach draußen zu gelangen, bei dem sich mir der Wachmann in den Weg durch die Glastür nach draußen verweigert, gebe ich auf. Mein Knie ist krank, und mich auf eigene Verantwortung aus dem Krankenhaus zu entlassen, erscheint mir riskant. Fünf Tage im Achtzehnbettschlafsaal also. Wie ich mich da erholen soll, ist mir unklar, schon in der ersten Nacht wälze ich mich hungrig und unruhig umher, das vegetarische Abendessen war voller Tunfischstückchen, für einen Tropf um Mitternacht weckt man mich, danach Schmerzmittel, um die ich nie gebeten hatte, ebenfalls intravenös, ich bin zu müde um mich zu wehren, tropfen langsam eine Wolke in meinen Kopf, dorthin wo mein Gehirn sein sollte. Die verwirrte Großmutter von gegenüber singt im Schlaf. Die Besuchserlaubnis, die meine Freunde für mich errungen haben, erlaubt mir, auch außerhalb der Zeiten von 12:30-13:00 und 18:00-18:45 Uhr eine Person an meiner Seite zu haben. Weitere Löcher lassen sich nicht in die Mauer des Gesundheitsgefängnisses schlagen.

Das Frühstück wieder nicht vegetarisch, ich habe Hunger, verweigere das frischgewaschene rosa Hemd, das für mich bereit gelegt wurde; die Windel der verwirrten Großmutter aus Bett gegenüber vor Augen, die kaum bedeckt wurde, bitte ich die Pfleger um einen Schlafanzug, wie an jedem weiteren Tag meines Klinikaufenthalts auch. Ich lasse mir Essen von draußen mitbringen, eine neue schriftliche ärztliche Genehmigung ist dafür erforderlich.

Gemeinsam mit meinem Besuch vergehen die Tage schneller, spielend, redend, lesend, den Blick auf das kleine Stück des Meeres gerichtet, das ich durch mein vergittertes Fenster sehe, von der Freiheit träumend, ab und zu werde ich an den Tropf angeschlossen, aber die Schmerzmittel bekomme ich nicht mehr, dafür klappt das mit dem vegetarischen Essen besser, die wenigen Freunde, die ich habe, sind zuverlässige Besucher und bringen mir immer ein Lächeln mit, ich unterhalte mich mit den anderen Frauen im Schlafsaal, betrachte den Schimmel an der Decke und einen kleinen Gecko, der an der gegenüberliegenden Wand hoch und runter läuft und erinnere mich an einen Anrufer, der mich, halb scherzend, halb ernst, gefragt hatte, ob wenigstens die Spritzen steril seien.

Am Mittwochmorgen empfange ich einen letzten kurzen Besuch, donnerstags soll ich entlassen werden. Die Dame im Nebenbett, die am Vorabend heimlich in ihr Kopfkissen geweint hatte, fragt sie mich später verwundert nach meinen Freunden, die sie an diesem Tag nicht gesehen hatte, erzählt mir, wie traurig sie sich am Vortag fühlte, als sie wider Erwarten nicht entlassen, nicht besucht wurde. Statt fünf Tagen war sie da schon acht in der Klinik.

Als ich Donnerstags gegen neun Uhr den Krankenhaussaal, diesmal auf meinen eigenen beiden Füßen, verlasse, bleibt sie dort. Fast vier Stunden später steige ich nach der Klärung finanzieller Versicherungsformalitäten mit einer Wochendosis Antibiotikatabletten die Krankenhaustreppe auf die Straße herab, wo mir der braune Bus, der in großen Lettern „Golfito“ verkündet, auf dem Weg nach Río Claro und Cuidad Neily vor der Nase wegfährt.

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