Der Regenwald als kultureller Lebensraum – Eine spirituelle Erfahrung

von martin_10  

Vom Stadtleben San Joses direkt in den Nationalpark Carara, die erste Woche bei Arbofilia war eine intensive Begegnung mit dem kulturellen Lebensraum „Regenwald“, über den wir lesen und ihn doch nicht erfahren können. Miguel, der Leiter und Denker Arbofilias mit indianischer Abstammung, hat uns ein wertvolles Gefühl dafür gegeben, wie der Mensch den Regenwald wahrnehmen und von/mit ihm leben kann.

Die Abhängigkeit indigener Völker und örtlicher Kulturen vom Regenwald, ihre Quelle für Nahrung, Medizin und Baumaterial, spielt in der Debatte um den Erhalt des Regenwalds eine immer größere Rolle, so werden ihre Rechte bei der Verwendung von Regenwald bedecktem Land oft übergangen (unter anderem ein Hauptkritikpunkt am UN-REDD Prozess).

Die Station Arbofilias liegt in vielerlei Hinsicht an einem Punkt der multiplen Übergänge, direkt an der Grenze, an der sich die Kulturen mesoamerikanischer Stämme vor allem der Mayas aus dem Norden und die zentralamerikanischen Stämme der Choco-Darien gegenüberstanden.

Diese beiden Einflüsse prägen die indigene Geschichte Costa Ricas, das nie eine eigene Hochkultur beheimatete. Die mesoamerikanischen und zentralamerikanischen Kulturen hatten sich ihren Waldgebieten, dem nördlichen Trockenwald und dem südamerikanischen Regenwald so angepasst, dass sie die Grenze zwischen diesen beiden Ökosystemen nie überschreiten konnten.

Bei dem Bau der Station wurden Überreste alter Gebäude und menschliche Gebeine gefunden. Forschungen ergaben, dass die verschiedenen Baukomplexe spezielle ihnen zugeteilte Funktionen für die damaligen Bewohner inne hatten. In einem der Gebäude wurden Fragmente eines kosmischen Kalenders gefunden, mit dessen Hilfe sich die Ureinwohner durch den Regenwald navigierten.  Vor allem die Feindschaft zwischen beiden kulturellen Stämmen prägte die Geschichte dieser Region, so wurden Kinder der zentralamerikanischen Kulturen von den Mayas mit der Absicht entführt, von ihnen über das Leben im feuchten Regenwald zu lernen. Der kosmische Kalender diente in diesem Fall dazu den Kindern beizubringen ihren Weg zurück zu ihren Eltern zu finden. Als bei den Bauarbeiten Gebeine eines kleinen Jungen aufgefunden wurden, hat Miguel zur Wertschätzung dieser kulturellen Geschichte an dem gleichen Ort einen Raum mit einem kosmischen Kalendar installieren lassen.

Ein weiterer Komplex stellte einen Meditationsraum dar, kenntlich an vier Säulen, die die vier Himmelsrichtungen symbolisierten. Dieser Raum diente für tägliche Bewusstseinsübungen um den Schwierigkeiten des Lebens im Regenwald entgegenzutreten. Im normalen Fall brauchen diese Übungen Zeit, so benötigt Miguel eigentlich eine Woche um sie an andere weiterzugeben. Uns gab er aber einen kurzen Einblick:

Der Norden ist ein Symbol für den Wind und die Fähigkeit der Unsicherheit und Furcht entgegenzutreten und mit ihr umzugehen. Die Erkenntnis, dass die Unsicherheit in uns, von uns gemacht ist, ist ein wichtiger Schritt zu einem Bewusstsein und einer Besinnung mit der wir unsere Umgebung und ihre Gesetze in ihrem Ganzen wahrnehmen können. Mit angehaltener Luft und starker Fokussierung auf das was sie umgab, übten die Beteiligten die Kraft des Windes in der Form eines Pfeils aus, den sie mit ihren Armen in die Luft zeichneten. Der Wind suche und ebne  dynamisch, kraftvoll und beständig einen Weg. Durch die Übung sollte die Fähigkeit trainiert werden Dinge im Regenwald im Voraus zu ahnen und ihnen vorzukommen.

Im Süden wurde Verbindung zu der Erde aufgenommen, der Bauchnabel stellte ein Symbol des Gebens und Nehmens, des natürlichen Kreislaufs dar. So berührte man mit seinen Händen den Boden, atmete allen inneren Wahnsinn und innere Ressentiments aus. Dies sollte einen Heilprozess durch die Natur und ihre Gaben darstellen, in gewisser Weise eine Wertschätzung und Eingebung ihrer reinigenden Lebenskraft.
Der Osten stand für das Wasser, die Fähigkeit dem Wandel der äußeren Umstände zu begegnen. Mit gegensätzlichen Bewegungen des Körpers, z.B. durch unterschiedliche, sich widersprechende Handbewegungen, wurden Flexibilität und Anpassung trainiert und verinnerlicht.

Der Westen charakterisierte das Feuer, die Fähigkeit alles Wissen durch eine hohe Konzentration abzurufen und in entscheidenden Momenten anzuwenden. Schnelles, hektisches Ein- und Ausatmen  trainierte die innerliche Anspannung als eine Quelle der Kraft und Besonnenheit, diese Technik ist in Drucksituationen anzuwenden.
Zu erfahren, welche kraftvolle, spirituelle Verbindung die örtlichen Bewohner zum Regenwald haben und welch Verständnis sie für die Kräfte und Bedrohungen des Gleichen empfinden, hat einem den Raum Regenwald, den wir nur aus der Ferne kennen, in einzigartiger Weise nahe gebracht. Wie gängige Krankheiten allein durch die natürlichen Stoffe der Baum und Pflanzenwelt geheilt, die Menschen die Nahrung des Regenwaldes mit spiritueller Wertschätzung aufnehmen und im Ganzen sich den Naturumständen geistig und körperlich angepasst haben, zeigt uns eine Welt an kultureller Einzigartigkeit auf.

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1 Kommentar

Kommentar von: James Maxwell [Besucher]

Echt gut geschrieben! Klingt wahsinnig interessant. Mehr davon! :)


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