Ein Tag im Wald

von eva_l_10  


Die Schilder mit den Baumnamen sind nicht nur
gut für ausländische BesucherInnen: so mancher
Tico kennt die Bäume im Wald nicht mehr.
Nur ein kurzer Fussmarsch von der Finca meiner Gastfamilie aus, vorbei an einigen den Weg flankierenden Ananasfeldern, findet man sich plötzlich in einem grünen Meer aus Bäumen wieder, von dem man sich gerne verschlingen lässt. Mich begleiten Israél, ein Junge aus der Nachbarschaft, und mein Gastbruder José Antonio, der sein umfangreiches botanisches Wissen einst von seinem älteren Bruder vermittelt bekommen hatte. Dieser wiederum war vor gut 10 Jahren mit einem Team von Biologen (darunter u.a. Vertreter der Umweltschutzorganisation Coecoceiba) im Gemeindewald unterwegs. Damals wurde eine Inventur des Baumbestands des 70 ha umfassenden Waldes durchgeführt und eine Kennzeichnung diverser Baumarten mit Namensschildern vorgenommen. 

Gleich am ”Eingang” zum Wald raubt einem ein Koloss des Ceibabaums den Atem.

An die 600 Jahre lang soll er die Sonne schon auf und untergehen sehen und er hat allen Widrigkeiten des Lebens (zu der schlimmsten wohl die Menschheit zählt) getrotzt. Angenehm kühl ist die Luft, das dichte Blätterdach lässt kaum einen Sonnenstrahl auf den Boden dringen.

 


Es gibt viele Bienenarten - sie bestäuben
Pflanzen und produzieren leckeren Honig.

Auf unserem Weg durch den mit einem fast unsichtbaren Wegenetz durchzogenen Wald zeigt mir José Antonio einige Exemplare aus dem großen Spektrum der Baumarten und erklärt deren spezifischen Charakteristika, anhand derer man sie den Arten zuordnet. Dabei spielen z.B. die Größe des Baumes, die Form seiner Wurzeln, die Farbe und Struktur seiner Rinde, seine Früchte und Blüten und, zu guter letzt, natürlich die Merkmale seiner Blätter eine entscheidende Rolle. Vor allem letztere lassen sich aus einer Distanz von 20 bis 30 Metern oft schwer erkennen, zumal sich die Äste und Blätter unterschiedlicher Bäume überlagern und so die Zuordnung zu einem bestimmten Baumstamm erschweren. Sehr häufig gibt es auch parasitäre Schlingpflanzen, die die Nährstoffzufuhr des Baumes anzapfen und ihn bisweilen sogar "fällen", so dass man als Neuling in Sachen Botanik schon mal leicht deren Blätter für die des Baumes halten kann.

Die Fülle an verschiedenen Baumnamen, die es sich zu merken gilt, sprengt schon bald mein Fassungsvermögen, so dass ich verzweifelt zu Kamera, Stift und Notizblock greife. Bisweilen kommt es vor, dass ich richtig liege oder besser gesagt rate, was mich sehr euphorisch stimmt. Vor allem “Tamarindo”, der oft mehr als 30 m in die Höhe ragt, dessen Holz sehr hart, die Frucht essbar und die Blätter wechselnd angelegt sind, hat einen großen Wiedererkennungswert.

Immer wieder macht mich José Antonio auf bunte Vögel und Schmetterlinge aufmerksam, auf Vogelnester die entlang des Baumstamms oder im Geäst hängen, auf Bienen, die in einer hohlen Wurzel Unterkunft gefunden haben, auf bunte Raupen und giftige Frösche. In einem alten Baum des tropischen Regenwaldes können sich hunderte Insektenarten und viele 1000 Individuen befinden. Seine Früchte dienen Vögeln als Nahrungsquelle, die wiederum der Verbreitung der Baumsamen dienen.

Mir wird klar, dass es einige Zeit brauchen wird, bis man seine Sinne für all die mannigfaltigen Formen des Lebens im Wald geschärft bekommt. Aber ich bin geduldig und neugierig. Auf unserem Weg sind die Spuren eines Tapirs deutlich zu erkennen. Der Größe nach muss es sich um ein stattliches Tier gehandelt haben, das in Begleitung seines Nachwuchses den Pfad entlang gegangen ist. Wir überqueren einen kleinen Bach mit vielen Fischen. Er fließt zum Fluß Tres Amigos. Dieser ist auch unser Ziel.

Als der Wald sich etwas lichtet, weniger verwuchert ist und die Baumriesen fehlen, wird mir schnell klar, dass wir den Sekundärwald erreicht haben. Auf dieser Waldfläche, die ca. 20 Prozent des Gemeindewaldes ausmacht, findet “regeneración natural” statt, d.h. die Natur wird dort seit 20 Jahren sich selbst überlassen. Vor diesem Zeitraum wurden “nur” die größten Bäume abgeholzt, der Wald entging also einem kompletten Kahlschlag.

In diesem Teil des Reservats begegnen wir auch einem Forscherpärchen, das schon seit einiger Zeit überall im Wald Kameras für Vogelstudien aufgestellt hat. Durch ihre Anwesenheit und die ihrer Kameras lassen sich anscheinend die Wilderer abschrecken. Das lauter werdende Rauschen des Flusses verrät uns, dass wir unser Tagesziel fast erreicht haben.


Es gibt viele Bienenarten - sie bestäuben Pflanzen
und produzieren leckeren Honig.

Jedoch müssen wir zuvor noch an einer Sippe der Kongoaffen vorbei, die im Guyaba Mono Baum sitzen und mit ihren Fäkalien nach uns werfen. Haarscharf entkommen wir der hinterhältigen Attacke und machen eine kurze Rast am Fluss, bis uns der erste Affe erreicht, den die anderen als Späher vorausgeschickt haben und der uns zum Aufbruch zwingt.

 

Kurz bevor wir den Wald verlassen, ist der Weg streckenweise von umgestürzten Bäumen bedeckt, schmerzhaft grell scheint die Sonne. Vor etwa zwei Monaten ist ein mächtiger Orkan über das Land gezogen und hat auch den Gemeindewald teilweise in Mitleidenschaft gezogen.

Meine wöchentlichen Waldpatrouillen, die den Zweck erfüllen, die Wilderer von der illegalen Jagd abzuhalten oder es ihnen zumindest zu erschweren, dienen noch einen anderem Ziel. Je vertrauter ich mit dem Gemeindewald werde und je mehr Kenntnisse ich mir theoretisch und in der Praxis über das Ökosystem des tropischen Regenwalds erworben habe, desto leichter lässt sich die geplante Umweltbildung mit den Kindern und Jugendlichen von Santa Elena umsetzen. Denn auch in Costa Rica gilt ...

 


Die Grenze des Reservats: Der Tres Amigos
Fluß - und weit und breit kein Wilderer

Letztendlich werden wir nur das bewahren,
was wir lieben,
wir lieben nur das, was wir verstehen,
wir verstehen nur das, was sie uns zeigen

(Baba Dioun, Dichter aus Senegal)

 

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