In der Krise von einer unipolaren zu einer multipolaren solidarischen Welt - Vortrag von Wim Dierckxsens am 15.01.2015

von 13 dominica  

Der holländische Soziologie Wim Dierckxsens (*1946) hat an der Universität Nijmegen in Sozialwissenschaften promoviert, war für die Vereinten Nationen in der Demografieforschung tätig und hat mehrere Master-Studiengänge in politischer Ökonomie in Mittelamerika mitkonzipiert. Er lebt und lehrt schon seit einigen Jahren in Zentralamerika und hatte Lehraufträge sowohl an der Universidad de Honduras als auch an der Universidad de Costa Rica erhalten und Gastprofessuren in Valencia und Sevilla.

Gerade deswegen ist er nicht nur der spanischen Sprache mit costa-ricanischem Einschlag, sondern auch der lokalen Gestik vertraut, die er gerne zur Untermalung seiner Thesen nutzt. Besonders intensiv ist das Schütteln der locker nach oben gestreckten Hand, sodass die Finger mit einem kleinen Aufschlag aufeinandertreffen. Es bedeutet eine Art Verstärkung der gerade Gesagten oder eine gewisse Zustimmung. Die hat Dierckxsens an diesem Abend auf jeden Fall sicher.

Es sitzen ungefähr 40 Zuhörer_innen in dem kleinen Versammlungsraum der Juventud de Frente Amplio in San Pedro, einem studentischen Stadtteil von San José. Auf einem Barhocker, mit Mikrofon in der Hand sitzt der Vortragende. Ganz locker und nahe an den Menschen, die globalen Verflechtungen der Macht erklärend. Hinter ihm die Kulisse einer gelb-schwarzen emblemischen Darstellung, wie die costa-ricanische Linkspartei ihre Wurzeln und Entstehung interpretiert. Die Neonröhren scheinen grell von oben und alle 20 Minuten klingeln die Schranken und der Zug nach San José rumpelt geräuschvoll über die Schienen. Dennoch hört das gut durchmischte Publikum gebannt zu. Jung und Alt sind gekommen, Costa-Ricaner und Europäer, Parteiaktionäre und andere Interessierte, um zu hören, was der Soziologe, der schon lange in der politischen Ökonomie forscht, erzählt, wie er die aktuelle Krise des Dollars und vor allem die Zukunft deutet.

Auch wir drei Freiwillige, Fania, Marit und ich wurden von unserer Organisation Pro Regenwald auf diese Veranstaltung aufmerksam gemacht und folgten gerne den interessanten Ausführungen des Wissenschaftlers. Dieser sieht den US-amerikanischen Verlust ihrer Weltmachtstellung und damit den Wandel weg von einer unipolaren, also US-amerikanisch zentrierten Vormacht in der Weltpolitik und - wirtschaft in Kürze kommen. Dollar- und Ölpreis sinken unaufhaltsam - und der globale Wandel von Öl als Backup hin zu einer gold- und silberzentrierten neuen Leitwährung. Die USA versuchen zwar noch durch einige politische Strategien, andere Währungen auch schwächer zu machen, wie den Yen und den Euro, jedoch wird dies nicht verhindern, dass, so Dierckxsens, die USA Macht verlieren wird. Er prognostiziert den Wandel in der globalen Machstruktur schon für Beginn diesen Jahres. Denn die Stärke der USA, verkörpert in der New Yorker Wall Street und deren Akteure, ist keine an einen Ort gebundene Macht. Das Geld und die Börsen kennen keine Nationalgrenzen oder gar ein nationales Interesse, sie gehen dorthin, wo es lohnenswert erscheint. Dieser leere Raum würde dann nicht von einer anderen einzelnen Macht übernommen werden, sondern von mehreren geteilt regiert. Seiner Meinung nach werden die neu aufstrebenden und finanzstarken BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) eine gemeinsame Strategie finden und Währung einführen, die das neue Leitmedium werden könnte.

Auch Europa sieht er in dieser brisanten Zeit mit sich kämpfen und kann sich ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union durch einen Ausstieg Deutschlands und Griechenlands sehr gut vorstellen. Es wird wichtiger, nach vorne zu schauen und neue Lösungen in einer multipolaren Welt zu suchen, anstatt sich zurück auf vergangene Errungenschaften zu blicken. Dierckxsens sieht so in dem Chaos der Krise durchaus Potenzial einen besseren Ausweg zu finden aus der Umklammerung internationaler Banker. An dieser Stelle wäre es für kleine Staaten wichtig, über die Grenzen hinaus zu denken und gemeinsam solidarisch zu agieren, um gegen die unlokalisierbare Macht internationaler Geldwetten anzukommen. Dies sieht er auch als eine gute Seite des starken Nationalstaates und des Nationalismus: Die Möglichkeit und der Willen gegen die Banker und internationales Wetten vorzugehen. Auch sieht er eine stärkere Rolle und Wichtigkeit in ländergrenzenübergreifenden sozialen Bewegungen, die sich selbst auch neu formieren und finden müssen.

Nach gut zwei Stunden, in denen das Publikum gebannt dem Vortrag des Holländers lauschten, folgt noch eine Fragerunde, in der die Zuschauer um einige Einschätzungen des Wissenschaftlers fragten. Eine betraf das Thema Kanalbau in Nicaragua, welches gerade medial für Aufruhr sorgt und auch schon von Julian in einem Blog beschrieben wurde: Eine Sorge eines jungen Zuschauers war, welche Folgen es für Costa Rica hat, wenn sie zwischen einem US-amerikanischen und einem chinesischen Kanal leben werden. Diercksxens sieht hinter diesen Bauten weniger die Nationalstaaten, sondern privatwirtschaftliche Interessen, die verwirklicht werden. China sei eher an einer eurasischen Integration interessiert und überhaupt sieht er in China alleine keine neue alleinige Weltmacht, da die Herstellung von elektronischer Technologie nicht nachhaltig das Land weltpolitisch stark machen würde und sieht eine ähnliche Biografie wie Japan für das Land der Mitte voraus.

Ein spannender und interessanter Abend schloss mit einer Erfrischung durch Kaffee, Softdrinks (ja, auch das schwarze Zuckergetränk dessen Etikett vorsorglich entfernt wurde) und Hefebrot sowie der Option, zwei aktuelle Abhandlungen Wim Dierckxsens käuflich zu erwerben.

Mehr über Einschätzungen der aktuellen Entwicklungen der (Finanz-) Machtaufteilung in der Welt auf Dierckxsens Homepage (in Spanisch oder Englisch): mariwim.info

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