Nicaragua-Kanal: Wie die Zeit verrinnt

von 14 julian

Im März hatte ich das Privileg den Ort Polo de Desarollo am Río Punta Gorda besuchen zu dürfen um dort Menschen und Orte kennenzulernen, die vom geplanten Bau des Nicaraguakanals direkt betroffen sind. Es war eine sehr eindrückliche Erfahrung aus erster Hand von den Sorgen Betroffener und ihrer Wut gegenüber ihrer Regierung und der HKND, das Konsortium, das den Bau und Betrieb des Kanals durchführen soll, zu erfahren. Die Menschen sind vorsichtig geworden. Oft schlägt einem zunächst Skepsis entgegen, die jedoch meist schnell abebbt, wenn nach einigen Sätzen klar wird, dass ich mich wirklich für sie interessiere und nicht die Interessen der Kanalbauer vertrete.


Polo de Desarollo am Río Punta Gorda

Ich befinde mich hier nicht im Paradies. Es ist eine Region mit einer defizitären Infrastruktur. Oft findet man Trinkwasserbrunnen nur wenige Meter von der Latrine entfernt, wenn nicht direkt das Trinkwasser aus dem mit Abwasser und Agrochemikalien kontaminierten Fluss bezogen wird. An das hier herrschende Klima nicht angepasst Landwirtschaft, wie der Anbau von Wurzelfrüchten (u.a. Yuka, Malanga) und vor allem Viehzucht, ist allgegenwärtig. Dazwischen gibt es jedoch immer wieder Hoffnungsschimmer: Bauern, die auf ökologische Weise Kakao, Kaffee und mehr produzieren, ein kleines Stück Primärwald, geschützt durch eine Biobauernvereinigung und allen voran die Herzlichkeit der hier lebenden Menschen. Es gibt sie, die kleinen Flecken Paradies und sie haben das Potential zu wachsen. Allerdings nicht unter den gegebenen Bedingungen. Kaum einer macht derzeit mehr als zum bloßen Überleben nötig ist. Warum Energie in etwas investieren, von dem man befürchten muss, dass es einem bald abgenommen wird? Denn es drohen Zwangsenteignungen im Rahmen des Kanalbaus. So kann es keine Entwicklung geben, es herrscht Stillstand. Das einzige in das zusätzliche Energie investiert wird, ist die Organisation des Protest gegen das Mammutprojekt.

Bewegt von den Erlebnissen in Polo de Desarollo stelle ich mir nach meiner Rückkehr nach Nueva Guinea die Frage, was denn eigentlich geworden ist aus dem Kanalprojekt. Denn es ist ruhig geworden nach dem medienwirksam inszenierten ersten Spatenstich und den heftigen Protesten Ende Dezember, bei denen es nach nichtbestätigten Berichten sogar Tote gegeben haben soll (1). Seitdem sind nun mehr als vier Monate vergangen. Die Proteste sind geblieben, es sind inzwischen mehr als 40. Und der Bau des Kanals? Bis auf einige Schotterstraßen hat sich scheinbar bisher wenig getan. Die Verantwortlichen beteuern es sei alles im Zeitplan, man warte Umweltverträglichkeits- und Machbarkeitsstudie ab. Woher die plötzliche Vernunft, nachdem alles so schnell gehen musste und die entsprechenden Gesetze in Rekordzeit durch das Parlament gejagt wurden?

Es mehren sich die Zweifel, ob die HKND tatsächlich in der Lage ist, dieses ambitionierte Projekt zu stemmen, sie verfügt nach allem was man weiß über keinerlei Erfahrung mit großen Infrastrukturprojekten. Auch erscheint inzwischen fraglich, ob die HKND in der Lage ist, die benötigten finanziellen Mittel, geschätzte 50 Mrd USD, aufzubringen (2). Vertreter der Kanalgesellschaft werben in Europa und Andernorts um Investoren. So soll demnächst eine Delegation von Investoren aus Deutschland, Dänemark und Frankreich nach Nicaragua reisen, um sich vor Ort über das Projekt zu informieren. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich gut informieren über Unwägbarkeiten und die zu erwartenden Umweltschäden, und für ihr Geld ein besseres Investment finden (3).

Unterdessen gab es erste Anhörungen vor dem CIDH, der Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (4). Indigenenverbände haben gegen die Kanalpläne Widerspruch eingelegt, da sie die gesetzlich verankerten Autonomierechte verletzt sehen (5). Bekanntlich mahlen die Mühlen der Justiz langsam.

Immer wieder findet man in der Presse Irritierendes. Wenig verwunderlich ist, dass die landvermessenden Mitarbeiter der HKND nicht sonderlich beliebt sind und sie daher immer wieder in der Durchführung ihrer Arbeit behindert werden. Dies macht offensichtlich erfinderisch. Ein Team von vermeintlichen Ärzten versuchte die Besitzverhältnisse der Campesinos zu erfassen. Scheinbar wenig erfolgreich (6). Der Militärarzt Yadder Montiel wird verurteilt aufgrund kritischer Äußerungen zum Vorgehen der Sicherheitskräfte gegenüber Demonstranten (7). Und während einerseits um ausländische Investoren geworben wird, wird auf der Vulkaninsel Ometepe ohne Vorwarnung und Begründung ein fast fertiggestelltes Hotel, eine Millioneninvestition, dem Erdboden gleich gemacht, von Vertretern eben der selben Regierung. Dass das Hotel in der Kanalzone lag, mag vielleicht Zufall sein, für das Vertrauen möglicher Investoren in den Standort Nicaragua ist dies jedenfalls nicht förderlich (8).

Gelegentlich stolpert man über die Information russische Militärschiffe sollen Bau und Betrieb des Nicaraguakanals absichern. Vermutlich wurde dies bei Putins Nicaraguabesuch letzten Sommer vereinbart. Auf den ersten Blick erscheint eine militärische Absicherung des Projekts durch Russland wenig logisch. Mit dem Wissen, dass Russland und Nicaragua schon lange militärisch kooperieren, bekommt das Ganze wieder einen Sinn. Nicaragua erhält von Russland seit Jahren Militärhilfe in Form von Waffen und finanziellen Mitteln. Darüber hinaus kooperieren die beiden Staaten im Antidrogenkrieg. Russland ist vor allem geostrategisch an der Region interessiert, erhofft sich eventl. sogar eine Militärbasis in der Kanalzone unter dem Deckmantel der Gewährleistung von Sicherheit für den Kanal. Offiziell wird dies natürlich nicht bestätigt. Dennoch die Kanalkonzession könnte die Möglichkeit hierzu bereiten (9).

Es mag ruhiger geworden sein um den Kanal. Ich mag das Gefühl haben, die Zeit zerrinne, ohne dass etwas geschieht. Aber stetig und leise passiert doch einiges. Man muss aufmerksam bleiben!


Quellen:

(1) „Navidad con reos políticos“, Iván Olivares, Confidencial, 25.12.2014 http://www.confidencial.com.ni/articulo/20531/navidad-con-reos-politicos
(2) „Nicaraguakanal-Projekt kommt nicht in Fahrt“, Denis Düttmann und Gabriela Selser, N-TV, 21.03.2015, http://www.n-tv.de/wirtschaft/Nicaraguakanal-Projekt-kommt-nicht-in-Fahrt-article14749051.html
(3) „Nicaragua-Kanal lockt deutsche Investoren“, N-TV, 11.03.2015, http://www.n-tv.de/incoming/Nicaragua-Kanal-lockt-deutsche-Investoren-article14676606.html
(4) „Gobierno trastabilla en sesión CIDH“, Wilfredo Miranda Aburto, Confidencial, 16.03.2014, http://www.confidencial.com.ni/articulo/21220/gobierno-trastabilla-en-sesion-cidh
(5) „Indigene in Nicaragua – Der anhaltende Kampf um Anerkennung“, Julian Bleich, forestguardians.net, 10.02.2015, http://forestguardians.net/blog/?p=1372&more=1&c=1&tb=1&pb=1
(6) „Puerto Príncipe bajo 'custodia' de antimotines“, Wilfredo Miranda Aburto, Confidencial, 21.01.2015 http://www.confidencial.com.ni/articulo/20759/puerto-principe-bajo-039-custodia-039-de-antimotines
(7) „Médico militar a "juicio político"“, Ismael López, Confidencial, 10.03.2015 http://www.confidencial.com.ni/articulo/21169/medico-militar-a-quot-juicio-politico-quot
(8) „Empresario acusará al gobierno de Ortega“, Wilfredo Miranda Aburto, Confidencial, 07.04.2014 http://www.confidencial.com.ni/articulo/21383/empresario-acusara-al-gobierno-de-ortega
(9) "Growing Military Relations Between Nicaragua and Russia", Brenda Fiegel, International Relations and Security Network (ISN), ETH Zurich, 15.12.2014 http://www.isn.ethz.ch/Digital-Library/Articles/Detail/?id=186294

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