Drinnen und draußen

von 16 sabrina  

Als ich vom Schaukelstuhl aus in den mit blühenden Hibiskus gesäumten Garten blicke, baden sich Tauben, Spatzen und winzige Tropenvögel mit blauem und gelbem Gefieder in einem kleinen Brunnen, der wohl die scheinbar einzige, saubere Wasserquelle weit und breit ist. Es ist Ende April und die Regenzeit hier im kleinen Fischerdorf „Masachapa“ an der Pazifikküste Nicaraguas scheint noch fern.

Es gibt offenbar nichts, was diese romantische Szene trügen könnte. Dafür sorgt eine hohe Mauer, die das Paradies über drei hölzerne, zinnoberrote Türen zugänglich macht. Als heiße Ascheflöckchen auf meiner Haut landen, werde ich aus meinen Träumereien im Garten Eden der „Villa Carlos“ gerissen, die seit 30 Jahren das Wahlzuhause des Vaters meiner Chefin ist. Ich frage mich, ob einer der vielen Vulkane aktiv ist.


Zinnoberrote Tür von aussen

Eine Hofeinfahrt wie jede andere

Auch ein blindes Huhn findet mal ein Plastikstück

Zinnoberrote Tür von innen

Farbenfrohe Blumen, farbenfroher Müll

Das schlachtreife Hausschwein döst im Schatten

Wie ich herausfinden sollte ist die Asche ein Abfallprodukt der letzten Zuckerrohrernte, die eingefahren wird. Was die Mauer neben der Asche nicht abschirmen kann, sind die Geräusche harter, körperlicher Arbeit unter der heißen unerbittlichen Sonne, die zu mir vordringen. Die Kakophonie aus Klopfen, Sägen und Ächzen vereint sich mit dem Grunzen staubiger Schweinenasen und dem Krähen knochiger Hähne. „Von der Hand, in den Mund“, denke ich.

Obwohl ich gestern erst spät abends in der Dunkelheit ankam und die Festung noch nicht verlassen habe, kann ich genau das spüren und hören.

Noch als ich die Klinke in der Hand habe und mein Blick auf die schwitzenden Bauarbeiter fällt, die seit einigen Tagen damit beschäftigt sind, auf den bisherigen Staubpfad vor dem Haus Kopfsteinpflaster zu verlegen, weiß ich, dass ich mich hier nicht mehr verstecken kann. Im Valle Central in Costa Rica hält man mich aufgrund meiner Haut-und Haarfarbe für eine Tica. Hier, wo die Menschen dunkler sind, kann ich mich mit meinem erschlichenen Prädikat nicht mehr schützen. Die Blicke der Menschen bohren sich von allen Seiten durch mich hindurch. Es ist fast wie das stechende Gefühl der noch heißen Ascheflocken. Nun bin ich draußen. Nicht das anders Aussehen erschreckt mich, als vielmehr der starke Kontrast zwischen Haben und Nicht-Haben.

Trotzdem möchte ich mehr sehen von der Draußenwelt. Verdrecktes Wasser schlängelt sich durch Rinnen bergab, bunter Plastikmüll bricht den monoton ockerfarbenen Staubboden vor den dürftig zusammengezimmerten Hütten. Unter löchrigen Hängematten schlafen schlachtreife Schweine, die bereits zu dick sind, um sich aus dem Schatten zu wursteln. Als mich eine mit Zement beladene Pferdekutsche überholt, fühle ich mich als hätte ich eine Zeitreise aus der Schweiz Mittelamerikas in die eigentliche Realität vieler zentralamerikanischer Staaten gemacht.


Unmotorisiertes Taxi

Im Schatten lässt sich das Leben fristen

Reichtum ist Definitionssache

Im Fischeridyll Masachapa ticken die Uhren anders

Laute Farben, buntes Leben

Tür und Blumen farblich aufeinander angestimmt

Noch bevor ich mich versehen kann, sitzen wir in dem Haus einer Freundin meiner Chefin. Wir wurden herzlich empfangen und von allen umarmt, angestrahlt und willkommen geheißen. Hier ist man sich menschlich sehr nah. Auf dem nackten Lehmboden des kleinen Wohnraumes picken die Küken aka das Mittagessen von Morgen unsichtbare Krümel auf. Die Hausherrin ist alleinerziehende Mutter dreier Mädels. Die älteste Tochter Mercedita musste die Schule mit zwölf abbrechen, um ihrer Mutter dabei zu helfen, Brot zu verkaufen. Ihr täglich Brot. Mercedita war heute Morgen wegen eines kleinen, glücklicherweise nicht ernsten Notfalles im Krankenhaus, wo wir sie besuchen wollten.

Ich war neugierig und fragte dort den jungen Mann an der Rezeption, wie das Gesundheitssystem hier funktioniere. Er war äußerst stolz darauf, mir berichten zu können, dass die medizinische Versorgung in Nicaragua umsonst ist. Nahezu ungefiltert traf mich der Gedanke, dass sich die Ticos davon eine Scheibe abschneiden könnten, die sich gegenüber den Nicas generell äußerst überlegen fühlen, sich selbst allerdings zusehends Kürzungen der Krankenkasse gegenübergestellt sehen (ich berichtete kürzlich da: The right to protest in Costa Rica)

Ich mag es draußen, hier ist das laute farbenfrohe Leben: Fischer flicken ihre Netze, klappernde Pferdehufen, Bohnen, die auf Feuerstellen vor den Häusern köcheln- lecker. Aber hier draußen ist auch Armut.

Wieder drinnen in der Festung des im Ruhestand lebenden Vaters meiner Chefin, und wie ich herausfand ehemaliger Manager eines US-amerikanischen Ölkonzernes, angekommen, bereite ich ein Treffen mit einer Menschenrechtsorganisation vor, mit der wir in wenigen Tagen in Managua über eine zukünftige Zusammenarbeit sprechen werden. Wir werden uns über die Klimaziele von Paris unterhalten, über Methoden, Kohlenstoff zu binden, über Frauenrechte und Zugang zu Wasser. Letzteres ist hier in Nicaragua momentan eines der dringendsten Probleme. Die Bauern warten sehnlichst auf Regen, denn Regen ist Leben, ist Nahrung.

Nahrung - drei hungrige Kindergesichter strecken sich durch eine der zinnoberroten Türen, unterdessen ich mir meinen Kopf über die Rettung der Menschheit zerbreche. „Kekse? Pizza? Zehn Pesos? Eis? Süßigkeiten? Limonade?“

Drinnen und draußen, Haben und Nicht-Haben. Welt retten und Magen füllen. Kontraste.

BlogNo:12

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