Von nass zu trocken

von 18 emily  

Es ist nass, nass, nass. Die Kleidung feucht, der ein oder andere Reisepass schimmelt vor sich hin, ebenso mein Rucksack und jedes Kissen. Es ist Winter in Costa Rica, also Regenzeit. Man kann nachmittags die Uhr danach stellen, dass es anfängt zu regnen. Und dann fallen die ersten, großen Tropfen vom Himmel, der sich innerhalb kürzester Zeit zugezogen hat.

Ich sitze unter dem Wellblechdach und man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Unterhaltungen werden unmöglich und wegen des anfälligen Stromsystems kann es auch ganz schnell mal dunkel werden, unter diesem Dach. Manchmal zuckt dann aber doch ein Licht über den Himmel. Ein Blitz, so hell, dass er den Raum für einen Augenaufschlag in Licht taucht. Es blitzt, es donnert und ich bin glücklich hier gerade sitzen zu dürfen, unter dem Wellblech in der ohrenbetäubenden, lauten Ruhe. Die Tropfen prasseln in unglaublich hoher Anzahl auf das Metall, das mich direkt vor dem Wasser schützt. Und draußen wird die Erde aufgeweicht, die Pflanzen nehmen das Wasser auf. Die Natur strahlt in sattem Grün, das Dickicht ist nicht zu durchblicken und alles strotzt vor Leben. Überall schwirren unglaublich viele Insekten herum, die Gartenarbeit wird durch Tausendfüßler und Ameisen erschwert. Und es ist nass, nass, nass. Der Regen bildet Pfützen auf den Wegen, er bildet Bäche am Straßenrand. Alles wird ein wenig matschig, die Gummistiefel füllen sich mit jedem Tropfen ein wenig mehr und bescheren am nächsten Morgen nasse Socken. Und es ist nass, nass, nass. Die Wäsche muss in den Zimmern auf einem ausgeklügelten Leinensystem getrocknet werden und bleibt doch immer ein wenig feucht. Dann kommen der Oktober und November. Es wird noch nasser. Und es wird kalt. Die Uhr scheint zu spinnen, es regnet jetzt auch vormittags. Manchmal sogar einen ganzen Tag am Stück. Morgens trinken wir unseren Kaffee mit langen Hosen und Pulli und unterhalten uns darüber, dass die Nacht wieder zu kalt war, für die dünne Decke. Und alles ist so nass, nass, nass, dass man nur noch hoffen kann, auf den Anfang der Trockenzeit. Dann wird alles besser, haben wir uns gedacht. Der November zieht vorbei und so auch die dunklen Regenwolken. Die Uhr spielt weiter verrückt, manchmal regnet es, dann aber auch mehrere Tage nicht mehr. Und dann ist es vorbei.

Vorbei mit dem Regen und der Nässe. Die Böden trocknen langsam wieder ab und die Melonenzeit beginnt. Die Pflanzen haben noch genügend Wasser aus der kalten, nassen Zeit und doch werden ihre Blüten nicht vom Regen zerstört. Und dann wird alles immer trockener. Es ist trocken, trocken, trocken. Ich sitze nicht mehr unter dem Wellblech, weil es nicht schützt, sondern den Raum unter ihm in einen Ofen verwandelt. Die Wäsche hängt schon längst nicht mehr in meinem Zimmer, sie bleicht langsam aus, von der vielen Sonne, wenn man sie nicht nach kurzer Zeit von der Leine holt. Mein Regencape, das ich im Winter noch oft genutzt habe, liegt jetzt verstaubt in der hintersten Ecke meines Regals. Weil es ist trocken, trocken, trocken. Das Grün verschwindet aus der Natur und wird abgelöst von einem homogenen Braun. Die meisten Bäume lassen ihre Blätter fallen und es macht den Anschein, als wäre alles gestorben. Die Gärten müssen jetzt gegossen werden, was sich als immer schwieriger erweist, weil der Wasserdruck immer schwächer wird. Sie wirken wie eine Oase in all dem Grün, was viele Tiere anlockt, die auf Futtersuche sind. Die Wassertanks müssen gereinigt werden, weil ab jetzt immer Wasserspeicher vorhanden sein müssen. Wenn man das Haus verlässt muss man nicht mehr daran denken eine Tüte oder Brotdose einzupacken, um das Handy vor Feuchtigkeit zu schützen. Man kann die Nächte unter freiem Himmel am Strand schlafen, ohne sich Gedanken um eine Überdachungsmöglichkeit zu machen. Und es wird immer trockener, trockener, trockener. Und wenn eigentlich alles andere schon fast tot ist, dann wachsen an den immergrünen Mangobäumen Früchte, die die totale Trockenheit und das Braun der Umgebung mit strahlenden Farben unterbrechen.

Es ist wie ein Wunder, dass genau in dieser Zeit Früchte in Massen von den Bäumen fallen und mit der Schubkarre abtransportiert werden müssen, die zu 80% aus Wasser bestehen. Die Trockenheit aber, ist der natürliche Schutz dieser Früchte. Schon länger habe ich keinen Tausendfüßler mehr herumkrabbeln sehen und auch unsere Schutzmaßnahmen den Ameisen gegenüber konnten wir etwas einstellen. Die Früchte werden also auch nicht so schnell von Schädlingen befallen. Und es ist trocken, trocken, trocken. So trocken, dass wir kein Wasser mehr bekommen und alles aus dem eigenen Brunnen hinaufbefördern müssen. Die Tanks sind oft leer, es gibt kein fließendes Wasser mehr und aus dem Brunnen kann immer seltener über eine längere Zeitspanne gepumpt werden, weil das Wasser immer langsamer zurückkommt. Und es ist trocken, trocken, trocken.

Man ist sich einig: Guanacaste ist eindeutig schöner in der Regenzeit. Alles ist so tot und das Leben wird durch die Wasserknappheit erschwert. Dann kommt der April. Der Monat, vor dem man uns gewarnt hat, weil er der heißeste ist. Und es wird so heiß, dass man sich keinen Meter mehr bewegen möchte. Es wird so heiß, dass die ohnehin schon trockene Umwelt den letzten Wasserspeicher auch noch abgibt und alles ist so trocken, trocken, trocken. Doch dann, dann fällt ein Regentropfen auf das Wellblech. Man könnte sich fragen, was da wohl gerade über dem Kopf gelandet ist, bis immer mehr Tropfen fallen. Und dann geht es für wenige Augenblicke richtig los. Es schüttet unaufhaltsam Wasser auf den ausgetrockneten Boden. Es schüttet Leben. Es schwillt wieder der ohrenbetäubende Lärm der vielen Tropfen an. Dann ist alles ganz schnell wieder vorbei.

In der nächsten Zeit regnet es immer mal wieder, manchmal sehr stark, manchmal aber auch nur ein wenig und dann mehrere Tage oder Wochen nicht mehr. Bis der Mai kommt. Am 1. Mai fängt der Regen an, sagte man uns und ich dachte noch, das wäre dann wohl eine ungefähre Angabe, das was der Kalender sagt. Pünktlich am 1. Mai ging es aber wirklich los. Der Regen prasselt seitdem immer wieder in großen Mengen auf die Erde herunter. Innerhalb weniger Tage hat er das Leben zurück in die Natur geholt. Das einst aus staubigen Stämmen bestehende Gebiet neben dem Haus ist wieder zu einem grünen Wald geworden, der nicht zu durchblicken ist. Die Insekten sind zurückgekommen, ohne Mückenspray kann man nicht mehr draußen unterwegs sein. Und es wird nass, nass, nass. Es regnet und die Erde wird aufgeweicht, sodass einem nach jedem Schritt eine dicke Matschschicht unter den Sohlen der Schuhe klebt. Die Hitze weicht einer angenehmeren Temperatur.

Manchmal regnet es jetzt einen ganzen Tag lang, manchmal vormittags und manchmal nachmittags. Doch dann, irgendwann, findet die Uhr wieder ihren Rhythmus. Alles findet sich wieder ein, in den Rhythmus der Regenzeit. Es regnet immer nachmittags und vormittags kann es schon auch mal ganz schön heiß werden. Und es ist nass, nass, nass. Bis der Regen wieder geht.

BlogNo:09

2 Kommentare

Kommentar von: Doris [Besucher]

Sehr, sehr schön geschrieben!

Kommentar von: Hanna [Besucher]

Emily, das ist Kunst :)


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