Alltag in der indigenen Kommune Rey Curré - Tradition oder Moderne?

von 19 jana  

Ich sitze auf einem durchgesessenen Sofa in der Küche meiner Gastfamilie. Über dem offenen Feuer köchelt der Reis und die Bohnen in zerbeulten Töpfen vor sich hin.

Man hört die Geräusche des Regenwaldes und Wortfetzen der Gespräche der Frauen aus dem Dorf, die vor der offenen Haustür zusammen sitzen.

Mein erster Gedanke: Größer könnten die Unterschiede zu meinem Leben in Deutschland kaum sein.

Das 3000 Einwohner große Dorf Rey Curré liegt in den vom tropischen Regenwald bewaldeten Bergen im Süden von Costa Rica. Das Leben der Boruca spielt sich draußen und mit allen zusammen ab. Die Menschen arbeiten von früh morgens bis mittags in unterschiedlichsten Projekten - unser Gastvater beispielsweise in den Bergen, um den durch die Landwirtschaft zerstörten Regenwald wiederaufzuforsten und Regenwasserrinnen am Wegesrand zu graben.
Die Arbeit wird hier mit den einfachsten, aber auch anstrengesten Mitteln bei gefühlt 100% Luftfeuchtigkeit bestritten: Spaten, Schaufel, Spitzhacke, Schubkarre und, am Wichtigsten, die eigenen Hände.

Am Nachmittag und Abend sitzen die Menschen zusammen in den Häusern oder auf den Straßen. Jeder kennt jeden hier: wenn unser Gastvater auf der Straße Leuten begegnet, stellt er die große Mehrheit als „amigo" vor. Die kleinen Häuser der Familien sind sehr offen gestaltet, sodass die Geräusche von draußen und den vielen anderen Bewohnern immer präsent sind. An Privatsphäre ist nicht zu denken. Alleine im Raum zu sein kommt allerhöchstens 10 Minuten vor – am wahrscheinlichsten ist dies auf dem Klo, was allerdings ohne bis zur Decke hochgezogene Wände quasi mitten im Wohnzimmer liegt.

So manch einer mag sich die Boruca als ein ursprüngliches indigenes Volk im Herzen der Natur vorstellen. Doch auch hier hat selbstverständlich der westliche Einfluss voll zugeschlagen. Die Familien besitzen große Kühlschränke, Fernseher und Smartphones. Social Media, auch wenn der Internetempfang häufig schlecht ist, spielt eine wichtige Rolle im Alltag. Mein Gastvater und seine Arbeitskollegen lieben es, von Reggeaton über Rammstein bis Disney, Musik zu hören.

Die traditionelle Kleidung ist schon lange durch kurze Hose und T-Shirt ersetzt worden. Die Kinder des Dorfes besuchen den Kindergarten, die Grundschule und die weiterführende Schule und lernen dort genau wie bei uns Mathe, Englisch, Geschichte und vieles mehr. Auf der großen Hauptstraße fahren mehrmals täglich Busse und die Motorengeräusche von Motorrädern, Autos und LKWs sind ständig präsent. Lebensmittel werden im örtlichen Supermarkt eingekauft.

Die Verwestlichung der Indigenen in Costa Rica kann natürlich als eine durch den Kolonialismus entstandene Situation als kritisch angesehen werden. Auch ich persönlich finde es nicht toll, dass die Familie den Sonntag vorm Fernseher verbringt und Chips futtert.. Aber im Großen und Ganzen ist die Mischung aus Tradition und Moderne in Rey Curré angenehm. Der Respekt für die Natur, die Gemeinschaft der Menschen und der kulturelle Stolz sind inspirierend. Gepaart mit den westlichen Angewohnheiten zeigt mir die Zeit in der Kommune mal wieder, dass wir Menschen uns super ähnlich sind – warum auch sollten Indigene nicht gerne Süßigkeiten essen und Zeit im Internet verplempern, wenn ich es auch tue?

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