Tapetenwechsel

von 21 frederik  

Die Stimmung war schon ziemlich gut, als der überladene Bus begann, sich in Bewegung zu setzen. Das, wofür wir hier hergekommen waren, sollte nun endlich seinen Anfang finden: praktische Arbeit draußen in der Natur.

Die Fahrt verlief ziemlich gut, auch wenn für die Uhrzeit schon ziemlich viel auf der Straße los war. Teilweise standen wir im Stau kurz still, woraufhin direkt Straßenverkäufer, die in der sengenden Sonne mitten auf dem Highway ihre Produkte anboten, angerannt kamen und hofften, irgendwie an ein bisschen Kleingeld zu gelangen.
Nach und nach ließen wir San José hinter uns. Bei ungefähr der Hälfte der Fahrzeit machte uns unser Fahrer darauf aufmerksam, dass wir gleich über eine Schlucht fahren würden, in dessen Graben sich Krokodile befänden. Einstimmig entschieden wir uns, eine kurze Pause einzulegen, um die Echsen zu betrachten, Bilder zu schießen und ihnen auf den Kopf zu spucken. Wie ein Freiwilliger, dessen Namen ich nicht erwähnen soll, nämlich bemerkte, wäre es einfach unglaublich, der Killermaschine, die schon ewig diesen Planeten beheimatet, einmal auf den Kopf zu spucken. Die Kombination aus mangelnder Zielgenauigkeit und schwierigen Windverhältnissen machten dieses Vorhaben aber unmöglich.
Zuvor hatte uns beim Aussteigen aus dem Bus die schwüle Hitze förmlich erdrückt. Wir waren alle verwundert, wie immens sich Temperatur und Luftfeuchtigkeit zu San José unterschieden, wir waren ja gerade erst einmal 1,5 Stunden unterwegs gewesen. Nach dem kurzen Stopp drängte es einige zum lokalen Eisverkäufer und dann schnell wieder zurück in den Bus, wo der Fahrtwind unser neuer bester Freund wurde. Nicht wirklich nötig zu erwähnen, aber eine Klimaanlage gab es in unserem Gefährt nicht.
Zugegebenermaßen lohnte sich die Busfahrt alleine schon für das Panorama Costa Ricas. Wir fuhren an vielen unterschiedlichen Landschaften vorbei, alle so ganz anders als das gewohnte; die Rheinaue, der Petersberg oder das Bad Godesberg. Und es wurde schöner und schöner. Nach etwa einer weiteren Stunde waren wir nahe der Pazifikküste und bogen irgendwann scharf links ab, mitten in den Wald hinein. Die Auffahrt begann. Links und rechts dichter Primärwald, vor uns der braun-rote Erdboden, den der Bus als Straße nutze. Je höher es ging, des so mehr Ohren poppten und glichen den Druckunterschied aus. Allmählich fing es auch an zu regnen, was für uns hier im Regenwald ein sich täglich wiederholendes Muster wurde. „Das Meer ist ja voll nah!“, hörte man es plötzlich und alle Köpfe drehten sich synchron Richtung Westen. Ein unbezahlbarer Ausblick: Um einen herum, die dichten, dunkelgrünen Hügelketten mit Bäumen jeder Größe und Form und unter einem das dunkelblaue Wasser.
Mir ist bis heute rätselhaft, wie der mit Freiwilligen und den dazugehörigen, riesigen Reiserucksäcken beladene Minibus es die extrem steilen Berghänge hoch schaffte. Um den Fluss zu durchfahren, der sich einmal quer über die Straße seinen Weg gesucht hatte, war er jedoch nicht gemacht und so stiegen wir aus und liefen die letzten paar Meter zu Fuß. Den Fluss und die darauffolgenden kleineren Bäche überquerten wir mit Brücken oder provisorisch mal dahin gelegten Brettern, die folgenden Tage nutzen wir unsere Gummistiefel.
Und dann waren wir da! Mitten in der Pampa stand eine zweistöckige, große Holzhütte mit offenen Wänden, einem Wellblechdach und einigen Bettgestellen. Die darauf liegenden, modrigen Matratzen trauten sich die wenigsten zu nutzen und so spannten wir alle unsere Hängematten auf. Es war schon fast 17:00 Uhr und begann zu dämmern.
Als es gegen 17:30 Uhr stockdunkel war (übrigens das einzige, was mich hier an den deutschen Winter erinnert) begaben wir uns zum benachbarten Gebäude, wo sich weitere Schlafgelegenheiten, ein Wasserfass mit Trinkwasser, die Dusche und eine Art Versammlungsraum, der auch als Küche diente, befanden. Von Räumen kann man nur bedingt sprechen, dazu fehlten Wände, Fenster und Türen. Auch die Dusche besaß nur einen Vorhang, der den Leuten in der Küche, die sonst freies Sichtfeld gehabt hätten, den Anblick nahm. Zur Rechten war sie komplett offen und bot während des Duschens einen tollen Blick auf den Regenwald und einen tollen Eingang für Skorpionen, Schlangen und Giftfrösche.
Wir bekamen in unserer Zeit hier erstaunlicherweise nur Letzteres zu Gesicht. Zusätzlich dazu aber auch handgroße Kakerlaken, die manchmal kurz vor unseren Füßen bruchlandeten, Geckos, die einen beim Nutzen der Toilette auch mal auf den Kopf sprangen und riesige Spinnen, die einen zum Verwenden der anderen Sanitäreinrichtung rieten.
Auch wenn Hermann mit vielen Eigenschaften überzeugen kann, zählen Organisation und Koordination eher selten dazu und so war vor allem der erste Abend sehr stressig. Noch befand sich kein Herd in der Küche, alles war schmutzig und heruntergekommen und wir mussten den ganzen Ort erst mal bewohnbar machen. Hermann nannte das „Survivaltraining“. Als dann alles mehr oder weniger benutzbar war, hatten wir die folgenden Tage aber eine unvergessliche Zeit.
Wir frühstückten täglich gegen 6:30 Uhr, meist Haferbrei mit Obst, und begaben uns dann auf Ausflüge. Wir bekamen eine Tour über das Gelände einer „Ecolodge“, die ihre Besucher mit einer riesigen Fläche an Primärwald, den dazugehörigen Tieren (vor allem Vögel) und lokal nachhaltig angebauten Produkten anlockt. Wir machten Touren über Felder, aßen wild wachsende Kakaofrüchte, Kokosnüsse und Sternfrüchte, sahen Tukane, Aras, Schmetterlinge jeglicher Art und kleine Pflanzen, die ihre Blätter einklappen, sobald man sie streichelt. Wir durchquerten viele Flüsse, manchmal auch per Huckepack, weil Jasper sich die Füße so an den schlecht geschnittenen Gummistiefeln aufschürfte, dass sie anschwollen und er Wanderschuhe tragen musste, die aber kein schienbeinhohes Wasser abhielten.
Abends schliefen wir in unseren Hängematten zu den Geräuschen des Regenwalds ein, der viel lauter ist als man denkt. Manchmal trommelte der Regen auf das Wellblechdach oder die fallenden Temperaturen weckten einen am frühen Morgen auf. Das Leben im Regenwald war sehr einfach, dafür aber irgendwie pur. Man fühlte sich im Moment und verbrachte, vor allem wegen der nicht vorhandenen Internetverbindung, kaum Zeit an elektronischen Geräten. Diese lagen meist im Trockenraum, wo ein Gerät die Feuchtigkeit aus der Luft sog, sodass sie durch die hohe Luftfeuchtigkeit, die draußen herrschte und sich nachmittags als Regenwasser über uns ergoss, nicht kaputt gingen.
Vor allem im Gedächtnis blieben mir aber zwei Ereignisse. Das Baden im Fluss und die Verleihung der Macheten. Miguel, ein Costa-Ricaner, der mit unserer Organisation zusammenarbeitete, kam eines Tages mit einem Sack voller Macheten zu uns in den Aufenthaltsraum und strahlte ein bisschen Mr. Ollivander aus (Der Verkäufer, der in den Harry Potter Filmen, den Leuten ihren Zauberstab zuteilt). Ganz wie er, war Miguel der Auffassung, dass Mensch und Werkzeug zueinander passen müssen. Wir saßen also in einem Halbkreis vor ihm und beantworteten seine Fragen, woraufhin wir die Macheten in die Hand gedrückt bekamen. Auch, was wir gerne in unserer Freizeit machen, war von Bedeutung. Er will aber nicht wissen, aus welcher Stadt wir genau kommen. „You are made up of many places, you know that, right?“, war seine Antwort darauf. Auch von ihm könnte man herrliche zu jedem Beitrag Zitate veröffentlichen, dazu sehen wir ihn aber leider zu selten. Auf Max Frage, wie viele Bäume denn jedes Jahr gepflanzt werden würden, begann er seine zehnminütige Antwort mit: „You know, life is like an onion.“
Wie lange, wir eigentlich im Regenwald bleiben würden, wussten wir zum Zeitpunkt unserer Ankunft noch nicht. Diesbezüglich änderte sich auch wenig bis zwei Tage vor Abreise. Abhängig war das vom Migration Center in San José. Dort hatten wir einen Termin beantragt, um unser Visum von einem dreimonatigen auf das eines Freiwilligen zu verlängern. Das war anscheinend immer das gängige Verfahren, auch schon die Jahre zuvor, gewesen. Plan war also eigentlich, sobald man den Termin hat, nach San José zu fahren, diesen wahrzunehmen und sich von dort aus in die Projekte zu zerstreuen. Als Hermann uns den zugeteilten Termin dann mitteilte, dachten wir kurz, er müsse sich versprochen haben: 01.11.2022. Die costa-ricanische Bürokratie wurde ihrem Namen also gerecht. Nach kurzer Verwirrung beschlossen wir, am Donnerstag, den neunten Dezember, in die Hauptstadt zurückzukehren und am darauffolgenden Samstag in die Projekte zu reisen. Bis zum Termin beim Migration Center in einem Jahr reicht es übrigens, eine Bestätigung des Termins in Kombination mit dem Reisepass bei sich zu tragen, für den Fall, dass man sich als legaler Arbeiter oder Tourist ausweisen muss.
Am Donnerstagmorgen packten wir also unsere Sachen und verabschiedeten uns von Dennis, der hier in der Nähe in einem Projekt wohnen würde. Wir waren pünktlich eine halbe Stunde zu spät bei dem mit dem Taxibusfahrer vereinbarten Ort vor dem Fluss, wo er uns abholen sollte und die Reise ging weiter.

Das reicht dann jetzt auch erst mal wieder. Wie ihr sicherlich merkt, hänge ich mit dem Blog den beschriebenen Ereignissen etwa zwei Wochen hinterher. Das liegt daran, dass in den ersten Wochen einfach sehr viel passiert ist und es mir schwerfällt, alles in einen Beitrag zu quetschen. Zusätzlich denke ich, dass, wenn sich die Arbeit im Projekt dann mal eingependelt hat, ein Arbeitsalltag entsteht, in dem sich vieles wiederholt und man im Vergleich nicht so viel zu berichten hat. Um das zu vermeiden oder zu kompensieren, zögere ich die zeitgleiche Berichterstattung von Ereignis und Veröffentlichung noch ein bisschen hinaus.

In diesem Sinne hoffe ich, ihr seid alle munter und wohlauf!

Frederik

„Wenn wir was sagen, gehen wir davon aus, dass ihr nicht zuhört.“
(Hermann zu einer verzweifelten Sandra, die ihren ganzen Blogeintrag auf Spanisch geschrieben hat, weil Hermann das mal so wollte, ihn jetzt aber doch lieber auf Deutsch oder Englisch haben möchte.)

BlogNo:03

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