Die jauchzende Vacita

von 22 robert  

Mit der gesamten Familie habe ich einen kleinen Ausflug zum Fluss “la vacita” unternommen. Durch eine benachbarte Finca sind wir, mit Edder, dem Kleinkind der Familie, und einem neu erworbenem Spielzeugbagger (der sich auf dem Trip als extrem unpraktisch erwies) im Gepäck am Fluss angelangt.

Um Palmwedel und Holz zu holen, waren wir bereits mal in die andere Richtung flussaufwärts gelaufen. Diesen Flussabschnitt nun kannte ich noch nicht, da er weiter flussabwärts und weiter westlich lag. In langer Reihe stapften wir den Fluss hinab. Um weiterzukommen, galt es, durch Stromschnellen zu klettern und und durch den Fluss zu waten. Ich war mit Crocs unterwegs, denn mit Gummistiefeln ist man weniger agil.

Der Fluss schlängelte sich schluchtartig durchs Gestein. Fünf Meter hohe Felswände säumten die Windungen des Gewässers, dass tiefere Tümpel füllte und wieder breitere, flachere Stellen bildete, um dann in kleineren Wasserfällen oder Stromschnellen schwerkraftsbedingt tiefer ins Tal zu donnern. Über mir, in unklarem Übergang zu den immer tropfenden Felsen, erhob sich auf beiden Flussufern eine undurchdringbare Wand aus Wald. So weit, wie man den Fluss auf- und abwärts blicken konnte, ragte dieses immergrüne, dampfende Dickicht über die widerstandsvolle Unterbrechung, die der Fluss darstellte auf, fast 300 Meter hoch und schien sich über dem Fluss fast wieder zu verbinden.

Ich schaute ab und zu einfach nur nach oben und war richtig beeindruckt von dem Anblick, der sich mir bot. Keine Anzeichen von menschlichem Einfluss, die mir in Deutschland manchmal die Seele trüben. Kein Flugzeuglärm, kein hintergründliches Dröhnen von Autoverkehr, stattdessen die Geräuschkulisse der unberührten Natur: Pfeifen, Knacken, Rauschen, Keckern, Trällern und sonstiges Geläut sind hier die immerwährende Hintergrundmusik. Die Hänge, die ich betrachtete, so wurde mir in diesem Moment erstmals richtig klar, waren von Primärwald überzogen. Noch nie gab es dort einen Acker oder eine forstwirtschaftliche Nutzung zum menschlichen Zweck. Ich konnte mir in diesem Moment gar nicht vorstellen, dass diese millionenjährige, brutale Fruchtbarkeit durch Menschenhand schwinden könnte. Zu dicht, zu voll mit Leben. Jedenfalls setzten wir unseren Weg fort bis zu einem größeren Wasserfall, der sich in einen tieferen Tümpel ergoss.

Dort sprangen wir ins Wasser. Im Wasser bissen mich kleine Fischchen in die Nippel, was schmerzte. Von der felsigen Felswand rann ein kleines Rinnsal in den Fluss. Davon tranken wir. Mit einer selbstgebauten Harpune und einer Taucherbrille hüpften die Söhne meines Projektleiters Marcos in die Tümpel auf der Jagd nach Fischen. Gefangen wurden keine. Eine andere Methode war ertragreicher: wir spannten ein Moskitonetz in eine der Stromschnellen und leerten dieses nach einer Stunde aus. Ungefähr 15 kleine Fischchen waren das Ergebnis.

Ein anderes Mal, am selben Fluss, allerdings an anderer Stelle, kamen wir an eine tückische Passage: mehrere Baumstämme hatten sich in der Schlucht verhakt und dazwischen hatten sich kleine Äste, Rinde und sonstige Walderzeugnisse (keinerlei Müll) angesammelt, sodass man nur weitergehen konnte, wenn man über diesen faulenden, stinkenden Kladderadatsch drüber kletterte. Darum herum tummelten sich einige “Machacas”, mittelgroße Fische, von denen ich in dem sehr klaren Wasser ungefähr 15 auf einen Schlag zählte. Die drei Jungs sprangen wieder wahlweise mit Machete oder Harpune bewaffnet in das schattige, von Baumstämmen durchzogene Wasser unterhalb des Staus. Auch ich probierte es natürlich aus und tatsächlich sah man durch die Taucher Brille unter sich recht große Fische. Blitzartig ließ ich die Machete auf eines der vorbeiflitzenden Tiere herunter, doch verfehlte es knapp. Zwei, drei Zentimeter trennten den Fisch von der todbringenden Klinge. Dann musste ich Luft holen. Im Nachhinein war ich doch recht froh, den Fisch nicht getroffen zu haben.

Daween, ein Familienmitglied und wesentlich erprobter im Machaca-Jagen, zertrennte einem Fisch mit der Machete den Kopf. Daraufhin tauchte er mit dem noch lebenden Ding auf und drückte es mir prompt in die Hand. Ich stand gerade am nächsten. Mit Mühe und Not konnte ich den glitschigen Fisch festhalten, der sich in meinen Händen heftig wand. Erst sah ich den Schnitt am Kopf gar nicht und dachte, das Tier sei unversehrt. Der Fisch war bestimmt 30 Zentimeter lang. Es war echt eine Erfahrung, den sterbenden Fisch festzuhalten. Er oder sie war wie unter Strom. Unregelmäßig schickten die Nerven Signale. Mal krümmte sich der Fisch mit aller Kraft, mal öffnete und schloss sich das Maul, dann die Kiemen.

An anderer Stelle des Flusse wurden die Fische dann direkt entschuppt und ausgenommen. Dann sah ich, dass die drei Fische, die wir gefangen hatten, voll mit Eiern waren. Zuerst hielt ich die symmetrisch im Körper angeordneten Rogen für ein Organ. Dann erklärte mir Minor, dass die Fische aus den größeren Flüssen im Winter (der Regenzeit), wenn der erhöhte Wasserspiegel es zulässt, die Stromschnellen überwinden, um in den kleineren, saubereren Zuflüssen, wie beispielsweise der Rio La Vacita, zu laichen. Den „Kaviar”, so meinte Minor, esse Edder gerne zum Reis.

Abends dachte ich, mein Mund etwas geschunden von den Gräten der Fische, mit denen sie an ihren Henkern post mortem Rache ausübten, dass es besser ist, einen ganzen Tag damit zu verbringen, Fische zu fangen und danach zu essen, als kurz für ein Viertelstündchen in den nächsten Supermarkt zu hüpfen. Trotzdem kann man es natürlich grausam finden, was wir dort gemacht haben: kerngesunde, schwangere Fische aus ihrem Leben zu reissen, in dem man mit der Machete auf sie einhackt.

Diese Empfindung ist glaube ich wiederum gebunden an einen Luxus, der nicht jedem vergönnt ist: das nötige Kleingeld und einen Supermarkt für Alternativen. Jagen und Fischen bedeuten für viele Menschen nicht weniger als einen (monetär) kostenlosen Beitrag zur Ernährungssicherheit der eigenen Familie. Und schnell verschwindet die Missbilligung.

BlogNo:02

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