Eine göttliche Suppe

von 22 robert  

Seit einiger Zeit schon hatte die Familie Scherze darüber gemacht, eine „sopa de iguana“, eine Leguansuppe, zu kochen. Ich ging davon aus, dass es sich tatsächlich um einen Scherz handelte. Als ich dann gestern in die alte Dusche spinkste, wurde ich Zeuge davon, wie eine Tochter der Familie zwei große Leguane entköpft hatte.

Lidieth, die jüngste Tochter meiner Gastfamilie, erzählte mir, wie sie die beiden Echsen am Fluss und mit Hilfe der beiden Hunde gefangen hatten und ich konnte es irgendwie nicht glauben. Als das Essen zubereitet war, probierte ich zuerst ein Leguanei. Die beiden Leguane waren nämlich schwanger gewesen. Ein Leguanei ist viel weicher als ein Hühnerei und irgendwie gummrig. Außerdem isst man (oder zumindest aßen wir) nur das Eigelb, indem man ein Loch in die Schale beisst und das Eigelb herausquetscht.

Ich ekelte mich ein wenig davor, das Ei zu essen. Dann erinnerte ich mich daran, wie oft ich schon Eier gegessen hatte und das Vögel und Reptilien eigentlich recht ähnlich sind und es daher albern sei, das eine zu verschmähen und das andere mit Genuss in sich rein zu stopfen. Und es schmeckte auch ziemlich wie Hühnerei. Das Fleisch war von Geschmack und Konsistenz auch vergleichbar mit Hähnchen. Nur die Haut, die schwarz- grün gemustert noch an den kleingehackten Stückchen Leguanfleisch dran hing, aß ich nicht. Einerseits hingen da noch so Zacken dran, die mal Teil des Rückenkammes des Tieres gewesen waren, andererseits ist Haut essen eh nicht so meins.

Über meine Abneigung gegenüber dem Verzehr von Leguanhaut freuten sich Canela und Pitufa, denen ich wiederum nicht gerade mit Sympathie begegnete, nach dem sie vor einigen Tagen einige frisch geschlüpfte Küken verspeist hatten. Sie hatten Hunger, muss man zu ihrer Verteidigung sagen. Nach der Mahlzeit gingen wir zum Gottesdienst. Gestern begann eine dreitägige Phase von Gottesdiensten. Diese finden drei Tage hintereinander bis in die Nacht statt. Am dritten Tag, der „Vigilia“, Nachtwache, sogar bis die Sonne wieder aufgeht.

Als Ich und Antonia ankamen, waren die letzen Vorbereitungen noch in vollem Gange und wir trugen ein paar Bänke durch die Gegend. Um Sieben begann der Gottesdienst, indem der Pfarrer aus vollem Halse ein Gesang zum Besten gab. Irgendwann wurden alle Männer nach vorne gerufen und sollten sich nebeneinander hinstellen. Mir wurde ein Mikrofon vor die Nase gehalten und ich sollte meinen Namen sagen. Genau so alle anderen Typen. Dann sangen wir ein Lied und klatschten in die Hände. Dann waren die Frauen dran und das Prozedere wiederholte sich, nur dass sich der Pfarrer etwas näher zu denen runter beugte, die ihren Namen sagen sollten. Anschließend bedankten sich alle bei Gott. Alle murmelten in in eigenem Tempo und Tonalität vor sich hin. Eine Frau, die ihr kleines Kind an der Hand hatte, fing prompt an zu heulen. Schnell schluchzte sie derart heftig, dass sich sich umdrehte und zusammenbrach. Auf allen Vieren weinte sie weiter, die Unterarme gestützt auf die Empore, auf der das Rednerpult stand. Das kleine Mädchen schien perplex. Eine halbe Stunde später fingen dann die Männer an. Zehn oder fünfzehn Mann hockten auf ihren Knien und weinten aus vollem Herzen. Der Pastor und sein Partner im Dienste gingen herum und tätschelten die Schultern der Greinenden.

Ich weiß nicht, ob daran eine Bildungslücke Schuld ist, aber für mich kam das unerwartet. Am Anfang fragte ich mich, ob die Männer traurig waren oder weinten, weil sie so viele Sorgen haben. Aber schnell belehrte mich die Atmosphäre, die das Schluchzen, die Musik und die durch die Lautsprecher donnernde, felsenfest überzeugte Stimme des Pfarrers eines Besseren: sie weinten vor Glück, aus ihrer Nähe zu Gott heraus. Wegen eines Gespräches, dass ich tagsüber mit einem Nachbarn geführt hatte, wusste ich, dass in Las Vegas einige der gläubigsten Kirchgänger eine alkoholgetränkte Vergangenheit haben und der Glaube sie gerettet hat. Und plötzlich erschien mir das Geschehen, welches sich vor meinen Augen abspielte, gar nicht mehr komisch, sondern ziemlich plausibel. Wenn man sich da mal richtig reingefuchst hat, in dieses Religionsgetue, dann ist das bestimmt ganz schlüssig und schön.

Da ich das allerdings nicht getan hatte, als ich da auf der Bank saß, konnte ich mich nicht davon überzeugen, mich dem allgemeinen Gejammer auch hinzugeben. Immerhin verstand ich das Ganze irgendwie. Sonst hätte es mich vielleicht besorgt (was noch in Ordnung gewesen wäre) oder gar belustigt (was gar nicht gut gewesen wäre).

Nach einigen Minuten war der Spuk vorbei, die Herren wischten sich die Tränen aus den Augen und setzten sich wieder auf ihre Bänke, als wäre nichts geschehen.

Am Sonntag, der „Vigilia“ arbeiteten ich und Antonia während des Gottesdienstes in der Küche, machten Empanadas, Hojaldras und sonstige Leckereien. In freien Minuten nutzte ich die Zeit, um den Gottesdienst mitzuverfolgen, für den geschätzt 300 Leute aus allen umliegenden Dörfern angereist waren. Um zwei Uhr morgens wurde ich dann doch tatsächlich Zeuge, wie der Pastor eine Diabetes-kranke Frau heilte, in dem er ihr einen Dämonen austrieb. Ich wusste in dem Moment nicht, ob er das wirklich tat, jedoch sah es ganz danach aus und ich hatte vorher gehört, dass das in dieser Kirche schon häufiger passiert war. Ihr Mann führte sie stützend zum Altar, der Pfarrer näherte sich mit erhobener Hand. Ein weiterer Pfarrer gesellte sich dazu, ein weißes Tuch in der Hand und aus allen Mündern ertönte ein dauerhaftes Gebetsgemurmel. Die Frau begann zu zittern und den Kopf zu schütteln. Die Pfarrer trieben sie rückwärts durch den Gang zwischen den Bänken. Immer energischer weinte die Frau, bäumte sich auf und ging unter dem weißen Tuch des Pfarrers zu Boden, wo sie dann stumm liegenblieb. Ich kniff schnell die Augen zu; in dem Moment wo der Dämon seinen Wirt verlässt, dürfen Außenstehende niemals hingucken, da sich der vertriebene Teufelsdiener sich das zu Nutze machen könnte und Besitz von einem ergreifen könnte. So wurde es mir erzählt und man weiß ja nie. Lieber kurz nicht hinschauen und keinen Dämon haben, so mein Gedanke.

In der Kirche haben wir dann heute morgen mitgeholfen, Bänke hellblau zu pinseln. Mit dem Assistenten des Pastors unterhielt ich mich über den Verzicht von Fleisch, den er gar nicht verstehen konnte. Hühner, Kühe und Fisch seien schließlich eine Art Opfergabe an Gott, gerade zu deshalb existent, um vom Menschen verspeist zu werden – wenn ich das so richtig verstanden habe. Nur Reptilien, so fuhr er mit vor Ekel verzogenem Gesicht fort, als ob er sich meiner Sünden genau bewusst wäre, seien nicht zum Essen gedacht.

Oh Gnade, dachte ich und konnte den Zorn des Herrn fast spüren. Ich sagte irgendwas. Nur von der Leguansuppe, die es bei uns am Vortag gegeben hatte, erzählte ich lieber nichts.

BlogNo:04

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