Wut, Wasserhähne, Weltuntergang

von 22 anna_a  

*Kurzes Vorwort: Vor ein paar Monaten habe ich diesen Blog angefangen. Mitten im größten Chaos in meinem Projekt und am Tiefpunkt meiner Stimmung hier. Ich habe ihn angefangen und dann liegen gelassen.

Mit der Zeit hat sich die Situation hier deutlich gebessert und damit auch meine Stimmung etwas beruhigt. Heute wäre der folgende Text wohl anders ausgefallen. Nichts desto trotz ist er Teil der Gedanken, die ich hier hatte und ich möchte ihn auch jetzt noch veröffentlichen, obwohl ich ihn heute wohl nicht mehr so verfassen würde.* Ende Vorwort.

Ich bin wütend. Nicht grundsätzlich und nicht im Normalzustand, aber im Moment. Wütend und frustriert. Das fängt an bei dem Lärm der Autos, Straßen und Menschen, den San José 24 Stunden am Tag, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat um mich schmeißt, geht weiter bis zum viel zu lauten Wasserhahn und zum Brummen des Kühlschranks, den ätzenden, künstlichen, viel zu fröhlich schnarrenden Stimmen aus dem Fernseher und den nervtötend schrillen Audios der Videos, die aus den Handys um mich herum plärren, als hätte die Menschheit nicht so was praktisches wie Kopfhörer erfunden, die den Ton nur in die Ohren des willigen Hörenden lenken, satt die gesamte Umgebung zu beschallen.

Natürlich sind das alles Dinge, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort sind und ich hoffe einfach, dass ich meiner Weltansicht zumindest im Bezug auf die Gefühlswelt eines Wasserhahns noch genug trauen kann, um kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sich meine negative Stimmung jetzt auf ihn ablädt.

Es ist einfach leichter, sich über diese Winzproblemchen aufzuregen, anstatt das große Ganze anzugehen. Denn meine Wut bezieht sich natürlich nicht auf das Handy, auf die kreischende Motorsäge von nebenan, nicht auf den dummen Kühlschrank, der einfach nicht still ist.

Ich bin wütend auf die Welt. Und mit ihr alle Menschen, die in ihrer Arroganz und Ignoranz dazu beitragen, dass sie ist, wie sie ist. Und da ich nun auch einmal ein Mensch bin, bezieht sich diese Wut auch auf mich.

Wenn ich ganz ehrlich bin ist die Wut nur die Folge einer unglaublichen Frustration und Hoffnungslosigkeit, die ich verspüre. Hoffnungslosigkeit angefangen im Bezug auf den Zustand meiner Einsatzstelle bis hin zum Zustand der Welt, der Menschheit und überhaupt allem und jedem.

Wir müssen anfangen, ehrlich zu uns sein. Wir können schlicht und einfach nicht so weiterleben, wie wir leben. Es funktioniert nicht. Selbst wenn man moralisch zu abgestumpft ist zu erkennen, wie unsere kapitalistische, imperialistische Lebensweise für eine überwältigende Mehrheit des Lebens auf unserem einzigen Planeten Leid bedeutet, nur, um einigen Wenigen einen Lebensstil zu erlauben, der die größtenteils künstlich geschaffenen Bedürfnisse auf absurde Weise zu erfüllen vermag, selbst dann muss man zumindest mit dem letzten bisschen Hirnschmalz, das doch wohl hoffentlich noch in jeder und jedem von uns zu finden ist, erkennen, das sich unser System selber auffrisst.

„Die imperiale Lebensweise beruht auf Exklusivität, sie kann sich nur so lange erhalten, wie sie über ein Außen verfügt, auf das sie ihre Kosten verlagern kann“ (S 15, „Imperiale Lebensweise-Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“, U. Brand; M.Wissen). Langsam aber sicher (...und so langsam ist es mittlerweile gar nicht mehr) kommt dieses „Außen“ an seine Grenzen.

Irgendwann gibt es nicht noch mehr Ressourcen, die man ausbeuten, noch mehr Länder, die man in Abhängigkeit und Armut stürzen kann, noch mehr Land, dass man zerstören, noch mehr Wälder, die man abholzen, noch mehr Flüsse, die man vergiften kann. Irgendwann müssen die Menschen, die bequemer Weise für uns die ganze Scheiße ausbaden, die wir hier veranstalten, aus den von unserem System zerstörten Bedingungen ihres Umfelds fliehen, nur um zu überleben. Irgendwann ist das Meer voll mit Plastik und die Atmosphäre voll von CO2. Irgendwann sind die Grenzen erreicht, irgendwann geht es nicht mehr weiter und irgendwann werden auch wir unter den Konsequenzen unseres Lebensstils leiden müssen.

Wenn also das Argument vom Leiden zigtausender anderer Leben nicht ausreicht, dann doch bitte zumindest diese Erkenntnis.

Wir haben nur einen Planeten, einen einzigen Planeten mit sehr realen Grenzen, die wir bald erreicht haben. Wenn wir nicht verstehen, dass zu viel von dem, was uns wichtig und richtig vorkommt, sich nicht an der Realität der menschlichen Bedürfnisse und der Realität unserer Welt orientiert, sondern an den künstlichen Zwängen, die uns der Kapitalismus und all seine Ideen auferlegt, dann müssen wir gar nicht anfangen, über die Rettung der Welt nach zu denken. ( Oder sollte ich besser sagen, die wir uns durch den Kapitalismus selber auferlegen?).

Sich einzubilden, man könnte auch nur im Ansatz so weiterleben, wie wir es gerade tun und ein paar Schräubchen verdrehen, um das ganze ein bisschen Grüner zu machen, ist naiv und realitätsfern. Schwierig zu erkennen ist das nicht. Das eigentlich Schwierige ist, es nah genug an sich ran zu lassen und die Entscheidung zu treffen, sein Handeln entsprechend anzupassen. Leon Festinger erläutert in seiner Theorie der kognitiven Dissonanz, dass Menschen erst dann ihr Verhalten ändern, wenn sie nicht mehr länger ignorieren können, dass es im Konflikt steht mit einer oder mehreren Kognitionen, d.h also Wertvorstellungen, Bedürfnissen, Einstellungen etc. Denn Ignorieren bedeutet meist einen geringeren Aufwand als eine Änderung des Verhaltens.

So erklärt er, dass die Leute nicht mit dem Rauchen aufhören, obwohl sie wissen, dass es ihnen schadet. Erst wenn Lungenkrebs diagnostiziert wird, ist die Diskrepanz zwischen Wissen und Verhalten so groß, dass es leichter ist, sein Verhalten zu ändern und mit dem Rauchen aufzuhören, als weiter den Schaden zu ignorieren, den man verursacht.

Wende ich diese Theorie auf den Gesamtzustand der Welt an, scheint es mir , dass nicht mal die Diagnose reicht. Muss man schon nicht mehr Atmen können mit der von Tumoren zerfressenen Lunge, um die Kippe wegzulegen? Es scheint so. Sonst wären wir nicht an dem Punkt, an dem wir sind.

Wir alle können mehr tun, das wissen wir nur zu gut - wir wollen es nur nicht genug.
Nicht gerade motivierend dabei ist zugegebenermaßen die Erkenntnis, dass wir nun mal leider nur ein kleiner Teil des Systems sind, das der eigentliche Ursprung der Probleme ist. Man sieht sich der Aufgabe gegenüber, sich irgendwie im falschen System richtig zu verhalten.

Hier kommt die Frustration wieder ins Spiel, von der ich vorhin geschrieben habe. Denn das geht nicht. Es scheint unmöglich. Vielleicht scheint es das nicht nur, vielleicht ist es das einfach: unmöglich. Man kann tun, was man will, jegliche Art von Kraftaufwand verläuft sich im Nichts, zerbricht an den festgefahrenen Wänden unserer Gesellschaftsstrukturen. Alles, was ich als Individuum tun kann, von veganer Ernährung und dem Verzicht auf Flugreisen bis zu zivilem Ungehorsam oder Schlimmerem.

Gemessen an der Gesamtheit der Scheiße, die in der Welt abgeht, ist es auch egal. Greta Thunberg wird, statt dass sie und ihre Anliegen auch nur mit einem Hauch von Ernsthaftigkeit behandelt werden, mittlerweile als eine hübsche Ergänzung in den scheinheiligen Kongressen und Gipfeln genutzt, ihre Einladung zum Aufpolieren des Rufs und danach als Taschentuch zum Wegwischen der Krokodilstränen genutzt.

Es fällt leicht, zu ignorieren. Weil es uns so leicht gemacht wird, zu ignorieren und weil wir diese Leichtigkeit mit Freuden annehmen.

*Nachwort:
Jetzt, einige Monate später, habe ich diesen Text wieder heraus gekramt, lese ihn durch und bin hin und hergerissen, ob ich das veröffentlichen will. Wenn ihr das hier lest, habe ich mich wohl dafür entschieden. Da ich ja nun viel weiser und älter bin, möchte ich noch einen etwas runderen Schluss hin zufügen:
Ich bin noch immer wütend. Nicht mehr auf den Wasserhahn, der mittlerweile übrigens repariert wurde. Nicht mehr auf den Kühlschrank, der immer noch viel zu laut brummt, nicht auf den Fernseher, nicht auf die Abwesenheit von Kopfhören (obwohl mich das immer noch stört). Nein. Ich bin immer noch wütend auf mich.

Ich habe nichts Besseres zu tun, als laut rum zu heulen und darüber zu schreiben, wie schlecht die Welt doch ist und dann selber nichts zu tun. Will ich es einfach nicht genug? Oder weiß ich wirklich nicht, was ich machen kann? Und wenn ich keine Antwort auf diese Frage habe, ist es dann besser, das ganze Thema nicht anzusprechen, bis ich sie gefunden habe, mich „richtig“ verhalte und mir somit das Recht erarbeite, über all jene zu klagen, die es nicht besser machen?

Kann man es überhaupt besser machen oder sind wir einfach zu dem Weg verdammt, auf dem wir uns befinden? Und wenn man schon an diesem Punkt ist, sollte man dann nicht einfach aufhören, sich darüber Gedanken zu machen, wie schlimm alles ist und ohne schlechtes Gewissen einfach schamlos auszunutzen, dass wir durch irgendeine glückliche Fügung des Schicksals in der Lage sind, die Vorteile auszunutzen, die uns unser krankes System bietet? Würde das bedeuten, aufzugeben? Oder mich einfach von für mich vermeidbaren Sorgen befreien?

Ich bin eigentlich niemand, die schnell aufgibt. Aber im Moment weiß ich weder weiter, noch weiß ich, an wen man sich wenden sollte, um es heraus zu finden. Denn irgendwo kommen doch alle Menschen, die es „besser machen“ wollen, an diesen Punkt, scheint mir.
Vielleicht muss ich doch etwas finden, an das ich glauben und zu dem ich beten kann und darauf hoffen, dass uns schon noch irgendwas retten wird.

BlogNo:07

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